Hedwig Courths-Mahler

Das Halsband


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erst von ihm gehört. Den will ich sprechen und ihn beauftragen, Horsts Aufenthalt zu ermitteln. Ich habe Wunderdinge von diesem Manne gehört. Meinst du nicht auch, daß es ihm gelingen wird, Horst aufzufinden?«

      »Wenn er noch am Leben ist, wird er ihn hoffentlich finden.«

      »Und wenn er nicht mehr am Leben wäre — so könnte ich doch an seiner Familie gutmachen. Ach, Grill, du ahnst nicht, wie ich mich danach sehne, es zu tun.«

      Grill nickte lebhaft.

      »Frau Gräfin haben nie einem Menschen weh tun können.«

      Gräfin Thed blieb vor ihr stehen.

      »Nun geh, Grill, rüste alles zur Reise. Morgen früh fahren wir nach Berlin.«

      »Sehr wohl, Frau Gräfin sollten auch guten Mutes sein. Ein Mensch kann doch nicht so ohne weiteres verloren gehen oder gar eine ganze Familie. Der Detektiv wird es schon herausbringen. Und ich bin so froh, daß der Rendant doch ein ehrlicher Mann war.«

      Grill ging hinaus.

      Gräfin Thea trocknete sich den Schweiß von der Stirn und trat an ihren Schreibtisch, um das Halsband wieder in die Kassette zu legen. Dann sah sie lange zu dem Bilde ihres Sohnes empor.

      »Gut machen will ich, mein Joachim, hundertfältig will ich sie entschädigen, was sie schuldlos erduldet haben. Und dadurch, daß ich den Irrtum auf mich nahm, kann ich den Namen Wildenfels vor einem Flecken bewahren. Gott wird mir helfen zu sühnen,« flüsterte sie vor sich hin. Dann sank sie in den Sessel zurück und barg weinend ihr Haupt in den Händen. Die Tränen lösten endlich die Spannung ihrer Nerven und erleichterten sie.

      Kurze Zeit darauf kam Lothar zu ihr.

      »Da bin ich schon zurück, Großmama!«

      Sie zog ihn in seine Arme.

      »Warst nur kurze Zeit mit Mama spazieren?«

      »Ja — Mama fand es langweilig im Parke. Und ich bin auch lieber bei dir. Willst du mich wirklich nicht mit nach Berlin nehmen? Wer soll dich denn trösten, wenn du traurig bist?«

      »Ich bleibe ja nur zwei Tage, Lothar, und kann dich wirklich nicht gebrauchen. Auch müßtest du zwei Tage den Unterricht versäumen, und das sieht Herr Wetzel nicht gern.«

      Lothar setzte sich zu ihren Füßen auf ein Kissen und sah zu dem Bilde seines Vaters auf. Eine lange Pause entstand. Endlich sagte Lothar aus tiefen Gedanken heraus: »Großmama, warum hat Papa nie so fröhlich ausgesehen, wie hier auf dem Bilde?«

      Gräfin Thea seufzte leise.

      »Damals war er noch jung und sorglos. Später drückte ihn mancherlei.«

      Lothar faßte ihre Hand.

      »Großmama — ich muß immerfort über die Worte nachdenken, die Papa gesprochen, als ich in der Nacht an seinem Bette stand.«

      »Was waren das für Worte?« forschte die Gräfin.

      Lothar sah sinnend vor sich hin. Dann sagte er fast andächtig:

      »Sei stark und fest, mein Sohn — und treu dir selbst.« So sagte er zu mir. Diese Worte habe ich wohl verstanden und ich will immer daran denken und danach handeln. Aber dann sprach er etwas zu dir über mich.«

      »Was meinst du?«

      »Er sagte: »Wenn du das Werk nicht vollenden kannst, Mutter — dann soll Lothar alles wissen — dann soll er gutmachen.« Und da wollte ich dich fragen, ob ich dir nicht gleich helfen könnte bei dem Werke, das dir Papa aufgetragen hat?«

      Gräfin Thea streichelte sein Haar. Ihr Blick umflorte sich wieder.

      »Du bist ja noch ein Kind, mein Lothar.«

      »O — ich bin schon sehr verständig, und vielleicht ist es dir allein zu schwer.«

      »Nun, ich verspreche es dir, daß ich es dir sagen will, wenn du mir helfen kannst. Jetzt grüble nicht mehr darüber nach, das mußt du mir versprechen. Ein wenig kannst du mir jetzt schon helfen, aber ich fürchte, es ist vielleicht zu schwer für dich.«

      Lothar richtete sich auf. Seine Augen blitzten. »Um so besser — recht schwer soll es sein.«

      »Nun also, du sollst gegen jedermann schweigen über diese Worte.«

      Lothar sah enttäuscht aus. »Ach, das ist doch nicht schwer.«

      Gräfin Thea lächelte wehmütig.

      »Mein lieber Junge — es gibt zuweilen nichts Schwereres, als schweigen. Und es ist sehr viel, was du damit tust. Hörst du, kein Mensch soll von diesen Worten wissen, auch Mama nicht. Es muß wie ein Geheimnis zwischen uns bleiben. Willst du mir das versprechen?«

      Lothar nickte energisch und gab ihr mit einer raschen Bewegung die Hand. »Ehrenwort, Großmama!«

      Sie küßte ihn, gerührt über seinen jugendhaften Eifer.

      »Ich danke dir, mein Kind.«

      »Weißt du, was ich wünschte?«

      »Nun?«

      »Ich wünschte, du wärest zu schwach, das Werk zu vollenden. Ich möchte selbst furchtbar gern Papas letzten Wunsch erfüllen, weil ich ihm doch nun gar nichts mehr zuliebe tun kann.«

      »Mein Goldjunge, mein lieber. Werde du nur ein guter, starker Mensch, dann wirst du deinem Vater auch genug Liebe erweisen.«

      »Das will ich ganz sicher. Und frage nur den Herrn Kandidaten — er ist jetzt sehr zufrieden mit mir.«

      »Das freut mich sehr. Herr Wetzel ist ein prächtiger Mensch, tue nur immer, was er verlangt. Er erzieht dich ganz im Sinne deines Vaters.«

      »Aber denke, Großmama, Mama ist gar nicht mit ihm zufrieden. Sie sagte vorhin im Parke zu mir, er wäre nicht ehrerbietig genug ihr gegenüber. Kannst du dir so etwas denken?«

      Gräfin Thea schüttelte den Kopf.

      »Nein. Er ist nur ein aufrechter Mensch, der sich seines Wertes männlich bewußt ist. Mama war wohl nur ein wenig nervös und verstimmt, als sie das sagte,« erwiderte sie und nahm sich vor, ein ernstes Wort mit Susanne zu reden. Mit solchen Ausfällen gegen den Kandidaten Lothar gegenüber untergrub sie nur die Autorität des Lehrers. Das durfte nicht sein.

      6.

      Ein großer Dampfer war angekommen. Ueber die Landungsbrücke ergoß sich ein Strom von Menschen. Ein unruhiges Hasten und Treiben von Ankommenden, Abholenden, Kofferträgern, Bedienten und Schiffsmannschaften entwickelte sich. Begrüßungen und Verabschiedungen der Reisenden untereinander. — Man hatte sich auf der langen Reise miteinander befreundet — hier und da eine Verabredung für ein späteres Zusammentreffen. Umarmungen, Küsse, Tücherschwenken — alles schwirrte, rauschte, lachte und weinte durcheinander. Die Lastträger fluchten, wenn ihnen jemand im Wege stand, die Kutscher riefen laut ihre Nummern, nach und nach lichtete sich das Treiben und nur einzelne Gruppen standen noch beieinander in lebhafter Unterhaltung.

      In dem Strome der Ankommenden war auch eine schlanke junge Frau mit goldblondem Haar und blassem Gesicht über die Brücke geschritten. Sie trug Trauerkeider von einfachem Schnitt und führte ein reizendes kleines Mädchen von vielleicht sechs Jahren an der Hand. Die Frau mochte im Anfange der dreißiger Jahre stehen und sah aus, als habe ein schweres, körperliches Leiden ihre Jugendfrische aufgezehrt. Trotzdem war ihr feingeschnittenes Gesicht immer noch sehr schön, und die traurig blickenden braunen Augen strahlten noch jetzt einen eigenen Zauber aus. Das Kind an ihrer Seite glich ihr so sehr, daß man sofort die Mutter in ihr erkannte. Nur war die liebliche Schönheit des Kindes frischer, leuchtender, in dem runden Gesichtchen pulsierte das Blut rasch und gesund und die braunen