Hedwig Courths-Mahler

Das Halsband


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      Einige Damen und Herren sahen noch einige Male interessiert und grüßend nach Mutter und Tochter zurück. Ein älteres Ehepaar trat zu ihnen heran, als sie die Brücke passiert hatten und, auf den Gepäckträger wartend, stehen blieben.

      »Kann ich noch etwas für Sie tun, Mrs. Warrens?«

      »Ich danke Ihnen sehr, Mr. Nobbs — Sie haben mir schon während der ganzen Reise so viele Dienste erwiesen, Sie und Ihre liebe Frau Gemahlin.«

      »Ach, davon reden wir doch nicht, meine liebe Mrs. Warrens,« warf die alte Dame ein. »Es war wenig genug, was wir für Sie tun konnten. Wir bedauern nur, daß wir Sie nun verlassen müssen. Aber Sie wissen, unsere Reise geht noch weiter.«

      »Bitte, lassen Sie sich nicht länger durch mich aufhalten, sonst erreichen Sie Ihren Anschluß nicht mehr.«

      »O, auf einige Minuten kommt es nicht an. Da ist ja Ihr Gepäck, kommen Sie, wir begleiten Sie noch zu einem Wagen,« sagte Mr. Nobbs.

      Die Unterhaltung wurde in englischer Sprache geführt. Man schritt zusammen zur Droschke.

      »Haben Sie gar keine Verwandten mehr in Deutschland, Mrs. Warrens?« fragte Mr. Nobbs teilnehmend.

      »Nein,« antwortete die blonde Frau traurig.

      »Ach, so hätten Sie doch lieber drüben bleiben sollen,« rief Mrs. Nobbs lebhaft. Mrs. Warrens sah mit einem todtraurigen Blick in die Augen der alten Dame.

      »Ich konnte nicht — Sie wissen — da drüben habe ich alles hergeben müssen, was mir im Leben lieb war — auf eine furchtbare, grausame Art. Ich kann kein Herz mehr fassen zu jener Welt dort drüben. Und mein Töchterchen wollte ich wenigstens in meine alte Heimat retten — sie ist das einzige, was mir geblieben ist.«

      Mrs. Nobbs streichelte ihr die Hand.

      »Armes, liebes Kind — Ihr Schicksal war hart. Aber Amerika ist groß. Sie brauchten ja nicht in dem fürchterlichen Lande zu bleiben, wo ein Aufstand dem anderen folgt. Es gibt auch drüben bei uns ruhige, friedliche Stätten.«

      »Das wohl — aber überall hätte ich ein neues Leben anfangen müssen, und da zog es mich doch nach Deutschland zurück, wo ich eine glückliche Jugend verlebte. Aber nun will ich Sie wirklich nicht länger aufhalten.«

      »Gott mit Ihnen und Ihrer lieben kleinen Jonny. Adieu, Mäuschen, süßer kleiner Schatz.«

      Mrs. Nobbs beugte sich zu der Kleinen nieder und küßte sie. Das Kind nickte ihr lachend zu, als sie Mr. Nobbs in den Wagen hob. Dieser half auch Mrs. Warrens einsteigen und schloß den Wagenschlag. Der Gepäckträger hatte das Gepäck schon aufgeladen. Mrs. Warrens sagte dem Kutscher den Namen des Hotels, welches ihr empfohlen worden war. Dann fuhren sie davon. Noch ein letzter Gruß herüber und hinüber und Mr. Nobbs mit seiner Gattin waren ihren Blicken entschwunden.

      Mrs. Warrens seufzte tief auf. Nun war sie ganz allein mit ihrem Töchterchen, losgelöst von allem, was sie noch mit dem fremden Weltteile verbunden hatte, in dem sie nichts als Gräber und ein verwüstetes, wertloses Stück Land zurückließ.

      Mrs. Warrens kam aus Venezuela. Bei einem Aufstande waren ihre Eltern und ihr Gatte ums Leben gekommen und ihr ganzer Grundbesitz verloren gegangen, Nichts, als ihr und ihres Töchterchens Leben und eine bescheidene Summe Geldes hatte sie aus dem völligen Zusammenbruche retten können. Schreckliche, furchtbare Bilder hatten sich ihr auf der Flucht eingeprägt. Ohne die Hilfe eines treuen, alten Dieners wäre auch sie und das Kind verloren gewesen. Schaudernd war sie mit ihrem Kinde geflohen aus den Greueln jenes Landes, wo blutiger Parteihaß ohne Erbarmen alles zerstörte, was ihm in den Weg kam.

      Und in ihrer Verlassenheit, in ihrem Elend war die Sehnsucht nach der alten Heimat in ihr erwacht. Sie hatte auf einem Dampfer, der nach Deutschland fuhr, für sich und ihr Kind Plätze belegt. Hier wollte sie versuchen, mit der bescheidenen Summe, die ihr geblieben war, für sich und ihr Kind eine neue Existenz zu gründen. Wie sie das anfangen wollte, wußte sie selbst noch nicht. Die furchtbaren Aufregungen und Strapazen, Angst und Sorge, tagelanges Kampieren im Freien und der Schmerz um den Verlust geliebter Menschen hatte ihre schon seit Jahren sehr zarte Gesundheit schwer geschädigt. Sie fühlte sich unsagbar matt und elend und so mutlos, daß sie vorläufig nicht imstande war, feste Pläne zu fassen. Einige Wochen Ruhe, so hoffte sie, würden sie soweit herstellen, daß sie weiter denken und schaffen konnte. In dem einfachen, aber sehr guten und sauberen Hotel, welches ihr Mitreisende empfohlen hatten, nahm sie für einige Zeit Wohnung. Gerade hier in der großen, verkehrsreichen Stadt hoffte sie am ehesten später etwas zu finden, womit sie sich und ihr Kind ernähren konnte. Man kam ihr in dem Hotel sehr freundlich entgegen. Das große Leid des Lebens hatte sie gezeichnet und ihre Trauerkleider hatten gleichfalls ihre Sprache. Dazu kam, daß die entzückende kleine Jonny alle Herzen gefangen nahm. Die Bediensteten des Hotels wetteiferten, dem Kinde etwas Liebes zu tun. Das hübsche, frische Zimmermädchen erbot sich freiwillig, Jonny abends zu Bette zu bringen und morgens anzukleiden, da sich Mrs. Warrens so matt fühlte.

      Am Abend des ersten Tages brachte Berta, so hieß das Zimmermädchen, etwas Tee und Butterbrot und ordnete es zierlich und einladend auf dem runden Tische. Sie half dann auch Mrs. Warrens beim Auspacken.

      Jonny wurde zeitig zu Bette gebracht. Sie war müde von der Reise und den neuen Eindrücken, die das kluge lebhafte Kind beschäftigten.

      Mrs. Warrens saß, in ein schlichtes, bequemes Gewand gehüllt, am Fenster und starrte mit müden, traurigen Augen hinab auf das Großstadtgetriebe. Aber ihre Sinne nahmen es nicht auf. Ihre Gedanken flogen zurück in die Vergangenheit, weit fort aus dem schlichten Hamburger Gasthofszimmer.

      Vor fünfzehn Jahren, da war sie mit ihren Eltern schon einmal zwei Tage in Hamburg gewesen. Damals war sie noch jung und gesund, wenn auch das erste Leid schon drückend auf ihren Schultern ruhte. Aber mit achtzehn Jahren glaubt man noch nicht an die Dauer des Leides, da hofft man noch auf irgend ein Wunder, das alles Leid in Freude kehrt. Nur als es dann ernst wurde mit dem Abschiede von Deutschland, als das Schiff sich in Bewegung setzte, ohne daß ein Wunder geschah, da brach sie haltlos zusammen.

      Noch sah sie den Vater vor sich, wie er beruhigend und tröstend auf sie einsprach. Ach — er kannte ja nicht den ganzen Umfang ihres Leides — niemand hatte ihn kennen gelernt, auch ihre liebevolle, zärtliche Mutter nicht, die so tapfer hinauszog in ein unbekanntes neues Land. Mutig hatte die Mutter gelächelt, als der Vater sie fragte: »Wird dir der Abschied sehr schwer?«

      »Ich nehme ja alle meine Schätze mit, dich und mein Kind. Ihr beide seid meine Heimat.« So hatte sie geantwortet, die tapfere, liebe Mutter, obwohl ihr das Herz fast brach, daß der geliebte Gatte, mit unverdienter Schmach bedeckt, die Heimat verlassen mußte.

      »Mutter — liebe, teure Mutter — wie gesegnet war dein Leben — trotz allem.«

      Mrs. Warrens seufzte tief auf, sie sah sich wieder zwischen Vater und Mutter an Bord des Dampfers, wie sie alle drei zurückblickten, bis die Augen brannten. Welch eine drückende Trostlosigkeit lag auf ihrer Seele. Wußte sie nun doch, daß sie den einen, einzigen, nie mehr sehen würde, dem sie ihre junge Seele in jubelndem Entzücken zu eigen gegeben hatte. Nun lag das Weltmeer zwischen ihm und ihr, er kam nicht mehr, wie sie gehofft hatte, um ihr zu sagen: »Was auch geschehen ist, ich liebe dich und lasse nicht von dir.«

      Weiter und weiter wurde der Raum, der trennend zwischen ihnen lag, und das zuckende Herz mußte seinen Jammer fest in sich verschließen, um das Leid der geliebten Eltern nicht noch zu vergrößern.

      Wochenlang waren sie dann alle drei von einem Orte zum anderen gereist, bis der Vater in dem fremden Lande die Farm gekauft hatte. Nun gab es Arbeit in Hülle und Fülle unter schwierigsten Verhältnissen. Aber diese Arbeit war gesegnet. Sie lenkte ab von Leid und Schmerz und half ihr langsam, das seelische Gleichgewicht wiederzufinden. Das schöne, blonde, deutsche Mädchen fand bald auch in jener weltfernen Gegend Bewerber. Aber alle schlug sie aus. Zu ihren treuesten Verehrern gehörte ein junger Engländer, Mr. Warrens, der in der nächsten Nähe eine Farm besaß. Er diente fast um sie, wie einst Jakob um Rahel, ohne Unterlaß — sieben Jahre. Da endlich entschloß