Hedwig Courths-Mahler

Das Halsband


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die Mutter des Kindes dasselbe Haar, dieselben Augen habe und trotz ihrer Mattigkeit sehr schön sei. Weiter erfuhr ich, daß die Dame schon seit einer Woche hier in dem Hotel wohne und gleich am ersten Abend eine Ohnmacht gehabt hatte, als sie in der Zeitung die Nachricht von dem Tode eines alten Bekannten gelesen habe. Ich stellte die Zeitung durch unverfängliche Fragen fest und beschloß, vorläufig meine Nachforschungen aufzugeben, um nicht aufzufallen. Zuerst verschaffte ich mir nun die fragliche Zeitung. Hier habe ich sie Ihnen mitgebracht.«

      Er nahm eine Zeitung aus seiner Brusttasche und legte sie vor die Gräfin hin, auf eine Notiz darin zeigend.

      »Ich fand darin die Nachricht über den plötzlichen Tod Ihres Herrn Sohnes, des Grafen Joachim Wildenfels, als ich sie gründlich durchstudierte. Ob diese Nachricht imstande war, eine erschütternde Wirkung auf die Dame auszuüben, weiß ich nicht. Ich habe Ihnen nur, um Ihnen meinen Gedankengang klarzulegen, die Zeitung mitgebracht.«

      Gräfin Thea starrte auf die Zeitungsnotiz. Ihre Ahnung, daß jene blonde junge Frau Annie Horst sei, schien sich zu bestätigen. Und wenn sie bei dieser Nachricht ohnmächtig geworden war, dann war auch ihr Joachim nicht gleichgültig geworden, trotz ihrer Ehe mit einem andern.

      »Weiter,« flehte die alte Dame, tonlos mit zuckenden Lippen.

      »Ich bin nun bald zu Ende. Am nächsten Morgen sah ich die Kleine wieder draußen auf dem Korridor. Sie nickte mir schon ganz vertraulich zu. Ich trat zu ihr. Sie spielte am Fenster mit einer Anzahl Visitenkarten, aus denen sie ein luftiges Gebäude aufführen wollte. Es mißlang jedoch, und ich erbot mich zur Hilfe. Als ich die Karten in die Hand nahm, hätte ich beinahe einen Freudenruf ausgestoßen, denn ich las wohl zehn bis zwölf Mal: Annie Warrens geb. Horst.

      Als ich noch gedankenverloren mit den Karten spielte, kam das Zimmermädchen herbei und erzählte mir, daß Mrs. Warrens heute noch elender sei, und daß sie auf eigne Gefahr einen Arzt wollte rufen lassen.

      Blitzschnell entwarf ich einen Plan, um mich unverfänglich mit Mrs. Warrens in Verbindung zu setzen. Ich habe in meiner Jugend einige Semester Medizin studiert und sagte nun dem Mädchen ruhig, ich selbst sei Arzt und wolle zu ihrer Beruhigung nach der Kranken sehen. Das Mädchen meldete mich an und Klein-Jonny an der Hand, trat ich zu Mrs. Warrens ins Zimmer. Jonny sprang auf die schöne bleiche Frau zu, die auf dem Diwan ruhte. Innig umschlungen sah sie zu mir auf. Es war ein holdseliger und rührender Anblick, die schöne, bleiche Frau und das entzückende Kind.

      »Mami — da ist ein Onkel Doktor, der dich gesund machen will,« sagte die Kleine.

      Wirkliches Mitgefühl ließ mich fast meine Rolle vergessen. Ich sah auf den ersten Blick, daß ich es mit einer Schwerkranken zu tun hatte. In meinem Berufe beobachtet man scharf. Ich hätte nicht Arzt zu sein brauchen, um zu bemerken, daß Mrs. Warrens hohes Fieber hatte. Ich fühlte nur ihren Puls, um festzustellen, daß er meine Beobachtungen bestätigte. Es war klar, daß hier dringende ärztliche Hilfe nötig war.

      Es gelang mir, das Vertrauen der armen Frau zu gewinnen. Teilweise freiwillig, teils auf meine vorsichtigen, teilnehmenden Fragen antwortend, erzählte sie mir alles, was ich Ihnen eben berichtet habe. Nur von Wildenfels und der Veranlassung, die sie und ihre Eltern nach Amerika getrieben hatte, erzählte sie kein Wort. Zum Schlusse beschwor sie mich, sie schnell wieder gesund und kräftig zu machen, denn sie dürfte nicht krank werden.

      Ich war tief bewegt, gnädigste Frau Gräfin. Es lag etwas Rührendes in dem Wesen der jungen Frau und auch das liebe kleine Mädchen sah mich an, als wollte es sagen: »Nun hilf du schnell meiner lieben Mutter!« Glauben Sie mir, ich bin selten so glücklich über die Lösung einer Aufgabe gewesen, als in diesem Falle, wußte ich doch, daß ich wirkliche Hilfe bringe in der höchsten Not.

      In der Voraussetzung, in Ihrem Sinne zu handeln, habe ich mir erlaubt, sofort einige Vorkehrungen zu treffen. Zuerst teilte ich der Kranken mit, daß ich leider an demselben Tage wieder abreisen müsse. Ich würde ihr jedoch sofort einen mir bekannten Arzt schicken, der ihre Behandlung übernehmen würde. Ueber den Kostenpunkt brauche sie sich keine Sorge zu machen, dieser Arzt sähe sich seine Leute an und würde nicht viel berechnen. Wenn sie schnell gesund werden wolle, müsse sie sich am besten in der Klinik des Arztes aufnehmen lassen, ich würde dafür sorgen, daß sie nicht mehr Kosten davon haben würde, als ihr der Aufenthalt im Hotel verursache.

      Sie sträubte sich erst dagegen, weil sie glaubte, sie müsse sich von ihrem Kinde trennen. Ich beruhigte sie darüber und versprach ihr, daß sie Jonny bei sich behalten dürfe. Jedenfalls sei es nötig, daß sie sich meinen Anordnungen füge, sonst würde sie ihr Leiden verschlimmern.

      Seufzend willigte sie ein, daß ich die nötigen Schritte tue. Sie dankte mir so inbrünstig, daß ich mich schämte, da mir dieser Dank gar nicht zukam.

      Ich sagte mir, daß Sie, gnädigste Frau Gräfin, keine Kosten scheuen würden, um der unglücklichen Frau zu helfen. So suchte ich einen Frauenarzt auf, der eine Privatklinik leitet. Ich sagte ihm soviel, als er unbedingt wissen mußte, um die Sachlage zu verstehen und verbürgte mich für alle entstehenden Kosten. Das Kind wollte er erst nicht aufnehmen, aber mein Hinweis, daß ihm alles reichlich vergütet werde und daß es einfach Pflicht der Menschlichkeit sei, ließ ihn einwilligen. Morgen Nachmittag soll die Kranke, wenn es der Arzt nach der Untersuchung für nötig befindet, in die Klinik gebracht werden. Ich reiste sofort ab, um Ihnen Nachricht zu bringen.«

      Gräfin Thea drückte ihm, wortlos und ergriffen, die Hand. Dann erhob sie sich und ging einige Male, nach Fassung ringend, im Zimmer auf und ab. Endlich blieb sie vor Völker stehen, ihre Augen leuchteten.

      »Ich danke Ihnen — danke Ihnen tausendmal. Mit Geld allein kann ich Ihnen das nicht lohnen. Daß Ihnen ein glücklicher Zufall Ihre Aufgabe erleichtert hat, macht Ihren Dienst nicht geringer. Ich reise gleich morgen früh nach Hamburg, um die junge Frau gleich selbst aufzusuchen. Aber jetzt sollen Sie sich vor allen Dingen stärken und erfrischen. Wollen Sie heute noch nach Berlin zurückkehren?«

      »Das möchte ich allerdings. Bis zum Abendzuge bleiben mir noch drei Stunden.«

      »So lange sind Sie mein Gast. Ich werde dafür sorgen, daß zu rechter Zeit ein Wagen für Sie bereitsteht.«

      Sie klingelte und befahl dem eintretenden Diener, daß im kleinen Speisesaale eine Mahlzeit in kürzester Zeit aufgetragen würde.

      Als der Diener hinaus war, wandte sie sich wieder zu Völker.

      »Sie haben die Güte und notieren mir die Hamburger Adressen — das Hotel, den Arzt und die Klinik. Inzwischen gehe ich zum Rendanten hinüber und hole Ihnen den Betrag, den ich Ihnen zugedacht habe. Entschuldigen Sie mich einige Minuten.«

      Schnell und elastisch schritt sie aus dem Zimmer. Man merkte ihr an, daß ihr Wesen frischer und angeregter war, als alle Tage seit dem Tode ihres Sohnes. Sah sie doch nun ihre Aufgabe greifbar vor sich, wußte sie doch nun, daß sie den Wunsch ihres Sohnes erfüllen konnte, daß sie gutmachen konnte, wenn auch nicht an Horst selbst, so doch an seiner Tochter und ihrem Kinde.

      Kurze Zeit darauf trat sie wieder zu Völker in den Salon und händigte ihm eine Summe Geldes ein. Er sah betroffen auf.

      »Das ist zu viel, gnädigste Frau Gräfin — Sie belohnen mich weit über Verdienst,« sagte er verwirrt.

      »Nehmen Sie nur — nehmen Sie nur,« drängte sie. »Ich allein weiß, was mir Ihr Dienst wert ist. Ich bin so froh, daß Sie mir so schnell Nachricht brachten — vielleicht wäre es sonst zu spät gewesen. Nun kommen Sie, ich führe Sie selbst in das Speisezimmer hinüber, damit Sie sich erfrischen können.«

      Völker dankte mit freudig strahlendem Blick und steckte das Geld in seine Brieftasche.

      »Lauter solche Aufträge — dann wäre ich bald Millionär,« dachte er.

      Dann händigte er Gräfin Thea den Adressenzettel ein, den sie sorgfältig zu sich steckte.

      Im Speisesaale überzeugte sie sich selbst, daß es Völker an nichts fehlte. »So, mein verehrter Herr Völker — nun muß ich mich von Ihnen verabschieden. Ich habe noch allerlei zu ordnen