Hedwig Courths-Mahler

Das Halsband


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      Aber in stillen Nächten erwachte doch noch zuweilen die alte, brennende Sehnsucht. Ihr holder Jugendtraum spann sie in den alten Zauber ein. Die Erinnerung wurde wieder wach an die wenigen glückseligen Stunden. Ein holder Frühlingsabend am Wildenfelser See — als sie in Joachims Armen gelegen und gläubig und vertrauend seinen heißen Liebesworten gelauscht hatte — wie glücklich war sie damals gewesen, hatte nicht an die Zukunft gedacht, nur an die köstliche Gegenwart. Bald darauf war das Leid gekommen — das bittere Leid — und die Trennung. — —

      Und nun war sie, elender und unglücklicher denn je, aus dem fremden Lande zurückgekehrt. All ihre Lieben waren ihr genommen worden, bis auf ihr Kind, die kleine, liebe Jonny. Die mußte nun ihres Lebens ganzer Inhalt sein, des Kindes wegen mußte sie es weiter tragen, obwohl sie es gern wie eine drückende Last von sich geworfen hätte. Wahrlich, viel des Schweren und Trüben war ihr aufgebürdet worden und sie kam sich mit ihren dreiunddreißig Jahren wie eine Greisin vor.

      Sie schauerte zusammen, trotz des warmen Sommerabends. Ein leichter Schwindel befiel sie, so daß sie sich an ihren Stuhl klammern mußte.

      Erschrocken blickte sie um sich. Um Gotteswillen — nur nicht krank werden jetzt. Gewaltsam riß sie sich zusammen, und klingelte dem Zimmermädchen.

      »Bringen Sie mir bitte noch ein Glas Tee, aber recht heiß,« sagte sie hastig.

      Das Mädchen sah die fremde Frau mitleidig an. Wie blaß und traurig sie aussah.

      Eilig brachte sie den Tee herbei und unaufgefordert legte sie noch einige Tageszeitungen auf den Tisch.

      »Wenn gnädige Frau vielleicht ein wenig lesen wollen,« sagte sie freundlich.

      Mrs. Warrens dankte. Als das Mädchen gegangen war, nahm sie ein warmes Tuch um die Schultern und trank den Tee so heiß wie möglich. Da wurde ihr doch ein wenig behaglicher zumute. Sie setzte sich an den Tisch und blätterte in den Zeitungen.

      Wie seltsam vertraut ihr die deutschen Worte erschienen. Es war wie ein Gruß, den ihr die alte Heimat brachte. Sie konnte gar nicht genug davon bekommen, es war, als erzähle ihr die Zeitung von lauter alten Bekannten.

      Und plötzlich zuckte sie zusammen. War es ein Phantasiegebilde oder hatte sie wirklich den Namen Wildenfels gelesen? Sie strich sich mit zitternden Fingern über die Augen und sah dann noch einmal scharf prüfend auf dieselbe Stelle. Ja — da unter den Adelsnachrichten — da stand klar und deutlich der Name, der einst ihr Lebensinhalt gewesen war: »Graf Joachim Wildenfels.«

      Ihre Hände zitterten, ihre Augen umflorten sich. Sie mußte sich erst beruhigen, ehe sie lesen konnte, was die Zeitung über Joachim Wildenfels berichtete. Welch seltsamer Zufall, daß ihr dieser Name gleich am ersten Lage in der alten Heimat ins Auge fiel.

      Endlich hatte sie sich soweit gefaßt, daß sie lesen konnte:

      »Das Unwetter, welches in der Nacht vom Montag zum Dienstag in ganz Norddeutschland große Verheerungen angerichtet, hat auch ein Menschenleben vernichtet. Unweit seines Schlosses ist Graf Joachim von Wildenfels samt seinem Pferde von einem durch den Sturm entwurzelten Baum erschlagen worden.«

      Annie Warrens stand plötzlich kerzengerade da, den entsetzten Blick ins Weite gerichtet, als sähe sie eine furchtbare Erscheinung. Und dann brach sie ohnmächtig zusammen. So fand sie das Zimmermädchen, als es frisches Trinkwasser für die Nacht brachte.

      Es wusch ihr mitleidig Gesicht und Hände mit kaltem Wasser, öffnete ihr das Kleid und richtete sie empor.

      Langsam kam Annie Warrens wieder zu sich.

      »Gnädige Frau sind nicht wohl. Sie sollten lieber zu Bette gehen,« sagte das Mädchen besorgt.

      Annie erhob sich mit deren Hilfe und starrte auf das Zeitungsblatt. »Es war — ich las da zufällig — vom Tode eines — eines alten Bekannten. Und dazu — die weite Reise — ich bin wirklich sehr müde. Sie haben recht, ich werde zu Bett gehen,« sagte sie matt.

      Dankbar nahm sie die Hilfe des Mädchens beim Auskleiden an. Als sie im Bette lag, atmete sie schwer auf.

      »Morgen früh werden gnädige Frau sich schon besser fühlen, gute Nacht,« sagte Berta und ging hinaus, nachdem sie noch ein Glas Wasser für Annie bereit gesetzt hatte.

      Annie Warrens lag in ihrem Bette, als sei ihr Körper von Stein. Ach — so liegen und schlafen können — und nie mehr aufwachen — alles vergessen — alles. Aber das Kind — Jonny — meine liebe, kleine Jonny. Nein — vernünftig sein, tapfer, nichts denken, als daß das Kind sie braucht — nichts denken — sonst würde sie krank. Nicht an Sterben denken, gesund bleiben für das Kind. Das Denken mußte sie sich abgewöhnen, das richtete sie noch zugrunde. Da waren die toten Eltern — wie sie bleich und starr in ihrem Blute lagen — und daneben John Warrens, ihr Gatte, der sie hatte schützen wollen. Mit dem eigenen Leben hatte er es büßen müssen. Tot — alles tot — alles, was ihr lieb und teuer — nun auch Joachim Wildenfels — erschlagen — erschlagen mit seinem Pferde. Die lachenden Augen, die sie so geliebt — starr — leer — und dort — der Wildenfelser See — Mondenschein — wie das Wasser silbern flimmerte. Die Blätter an den Bäumen — lauter Silber — und die Nachtigallen sangen so süß. Joachim Wildenfels von einem Baume erschlagen — und die Eltern — von bösen, wilden Menschen — tot — alle tot — nur sie noch und das Kind. Jonny — süße, kleine Jonny. Nein — nur nicht mehr denken an all das Grausame — gesund bleiben — nicht krank werden. Um Gotteswillen nur nicht krank werden. —

      Am anderen Morgen vermochte sich Annie Warrens nur schwer zu erheben. Aber die Angst vor dem Krankwerden trieb sie doch aus dem Bette.

      Klein Jonny plauderte so lieb und drollig mit dem blassen Mütterchen und Berta kleidete sie an, nachdem sie das Frühstück gebracht hatte. Jonny schwatzte deutsch und englisch durcheinander und auch einige spanische Worte liefen mit dazwischen. Berta lachte und war ganz verliebt in das reizende Kind.

      Später ging Annie mit ihrem Töchterchen ein wenig ins Freie. Aber sie schleppte sich nur bis zu den nächsten Anlagen. Dort setzte sie sich auf eine Bank und Jonny plauderte abwechselnd mit ihr und mit dem Püppchen, das sie mit sich genommen hatte.

      Um die Mittagszeit kehrte Annie in das Hotel zurück. Und so zwang sie einige Tage die schleichende Krankheit nieder, immer hoffend, daß es nur eine vorübergehende Schwäche sei.

      Acht Tage waren so vergangen, als es ihr eines Morgens nicht möglich war, sich weiterzuschleppen, als vom Bette bis zum Diwan. Berta suchte sie zu überreden, einen Arzt zu befragen. Aber Annie wehrte ängstlich ab. »Nein, nein, liebe Berta, ich bin ja nicht krank. Nur ein wenig müde und matt von allen Strapazen. Ich muß mir nur einige Tage richtige Ruhe gönnen, nicht ausgehen. Jonny kann leider einige Tage nicht hinaus. Aber es muß gehen.«

      »Ich werde Jonny mit mir hinaus nehmen, sie kann auf dem Korridor spielen, da hat sie mehr Platz und gnädige Frau haben Ruhe. Ich gebe gut acht auf die Kleine, gnädige Frau können ganz außer Sorge sein.«

      »Gute Berta, ich bin Ihnen so von Herzen dankbar, daß Sie sich meiner und Jonnys annehmen.«

      »O, das Kind macht mir gar keine Last. Sie ist so lieb und artig, die kleine Jonny. Ich tue es gern, gnädige Frau, erholen Sie sich nur in aller Ruhe.« Damit ging Berta mit der fröhlich plaudernden Jonny hinaus. Annie sah ihnen mit trüben Augen nach. Es war hart, auf die Barmherzigkeit einer gutmütigen Dienerin angewiesen zu sein. Und doch dankte sie dem Schicksal, das sie gerade hierher geführt hatte.

      7.

      Gräfin Thea hatte sich schon einige Tage vor ihrer Abreise nach Berlin brieflich mit dem ihr gerühmten Auskundschafter in Verbindung gesetzt. Sie hatte um eine Unterredung gebeten und angefragt, ob