hatte eine richtige Pistole zum ersten Mal mit achtzehn Jahren in den Händen gehalten – mächtig Schiss inklusive.
Das bewies einmal mehr: Selbst Dinge, die man später erlernte, konnte man perfektionieren. Man benötigte lediglich etwas Talent und Geduld.
Oder, wie in meinem Fall, viel Munition.
»Oh!«, rief mein Kollege versucht erstaunt aus, nachdem ich meinen letzten Schuss abgefeuert hatte. Der Schwerpunkt lag auf »versucht«, gelang es ihm doch nicht wirklich, den schadenfrohen Klang, welcher üblicherweise in harten Vernehmungen zum Einsatz kam, zu unterdrücken. »Ein Neuner.«
»Fuck!« Frustriert entnahm ich das leere Magazin und warf dieses und die mit offenem Verschluss befindliche Glock 17 auf den Tresen. »Zur Hölle noch mal!«
Da heute glücklicherweise alleine mein Kollege und ich uns im Keller gelegenen Schießstands des in die Jahre gekommenen Polizeipräsidiums austobten, durfte ich den lästigen Ohrenschützer und die juckenden Ohropax entfernen.
Dan wirkte entgeistert. Dies war gut an seinem unverwechselbaren Mienenspiel zu erkennen: ein Nach-Oben-Ziehen des vorderen Teils seiner dezent geschwungenen mittelbraunen Augenbrauen.
Das wiederum sah jedes Mal zum Brüllen komisch aus.
Heute allerdings konnte ich nicht darüber lachen.
»Was ist los?«
»Na was wohl!« Ich gestikulierte durch die Luft und verzog das Gesicht. »Eine verkackte Neun!«
Ein neues Kopfschütteln folgte. »Du bist doch nicht mehr ganz dicht.«
Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Nur, weil ich besser sein will, als der verdammte Durchschnitt?«
Schließlich musste ich besser sein, wollte ich in meinem Leben noch irgendwann etwas erreichen!
Er ergriff meine Schultern und schüttelte mich einmal kräftig durch. »Du bist besser als der Durchschnitt.«
»Und trotzdem sitze ich noch immer hier in Hintertuxing und ärgere mich im besten Fall mit alkoholisierten Vollidioten herum!«
Oder mit senilen alten Säcken, die ihre Krankenpflegerinnen auf dem Balkon aussperrten, splitterfasernackt aus dem Haus stürmten, die Haustür verschlossen, den Schlüssel irgendwo ins nahe gelegene Gebüsch warfen und mit wehenden knorrig-faltigen Armen durch die Gegend hüpften und dabei schrien: »Ich bin frei … ich bin frei!«
»Das nächste Mal schaffst du den Aufnahmetest«, versicherte er. »Bedenke, erst zwei Frauen haben es in die Spezialeinheit geschafft. Du brauchst dich deshalb nicht verrückt zu machen.«
Das tat ich aber. Und wie!
Seit meinem sechzehnten Lebensjahr träume ich davon, in das Einsatzkommando Cobra aufgenommen zu werden.
Gut, ich gebe es gerne zu: Zu Beginn meiner beruflichen Karriere war ich vollkommen zufrieden gewesen, den polizeilichen Aufnahmetest überstanden und meinen Abschluss mit Auszeichnung gemacht zu haben, woraufhin ich einige Jahre glücklich und stolz in diesem kleinen Kaff für Recht und Ordnung sorgen durfte. Letztlich lag es an der permanenten Unterforderung, welche mich zu langweilen begann – und der Wunsch, einen vernünftigen, sprich aktiven und gefährlichen Job auszuüben, drängte sich Schritt für Schritt in den Vordergrund zurück. Ergo: Ich bewarb mich um einen Posten bei der österreichischen Spezialeinheit.
Ich trainierte wie eine Verrückte, dennoch versagte ich bei einer der vier K.O.-Prüfungen: eine Distanz vom dritten bis zum fünften Stock eines Kletterturms mithilfe einer Stahlstrickleiter unter fünf Minuten zu überwinden …
Ich brauchte fünf Minuten und zehn Sekunden.
Verfickte zehn Sekunden!
»Ja, ich weiß.« Ich bemühte mich erst gar nicht mehr, meinen Frust zu verstecken.
Zu lange und zu sehr nagte mein Versagen an meinem Ego.
Ich war nun einmal ein Perfektionist. Steckte ich mir ein Ziel, dann erreichte ich dies üblicherweise beim ersten Versuch.
»Nichtsdestoweniger kotzt es mich an … Es kotzt mich alles an.«
Dans Züge nahmen einen eigenartigen Ausdruck an. »Was du brauchst, ist ein vernünftiger Mann.«
Ja, genau! Sicher doch!
Aber weshalb wunderte ich mich überhaupt? Schließlich sprach Dan dieses Thema bei einer jeden passenden Gelegenheit an. Er suchte regelrecht danach, um mich mit solcherlei Aussagen auf die Palme zu bringen. Insbesondere dann, wenn ich schlechter Laune war.
Idiot.
Nun … andererseits waren sämtliche Kollegen unseres Stützpunktes verheiratet und/oder mit zwei bis drei Kindern bestraft worden.
Ich bildete die einsame Ausnahme.
Der Single-Fels in der Mini-Van fahrenden Familiensippen-Brandung.
Alter Schwede …
Der Gedanke, selbst einmal auf tobende und weinende Mini-Ichs aufzupassen und den lieben langen Tag zu Hause zu sitzen und Hausarbeiten zu verrichten … Oh, Gott!
Nein, danke!
Eine solche Karriere strebte ich nicht an!
Ich war nicht zur Polizei gegangen, um eine Familie zu gründen und auf nervende Kinder aufzupassen, während mein ach so braver Ehemann sich mit Lorbeeren schmückte!
Nein, ganz bestimmt nicht!
Ich wollte Erfolg, Anerkennung und in meiner spärlichen Freizeit mein Leben genießen. Eine Beziehung hatte da keinen Platz – und würde niemals einen Platz finden … konnte schlichtweg keinen Platz finden.
Ich fasste nach meiner Waffe. »Hör mir bloß auf mit dem Scheiß! Schließlich bin ich die Einzige von euch, die nicht in einer erbärmlichen Beziehung steckt.«
Seine Züge härteten sich. »Ganz genau! Du bist die Einzige! Es wird Zeit, dass du langsam sesshaft wirst.«
Sesshaft.
Alleine das Wort löste Brechreiz aus. Und Dans schadenfrohes Gegrinse erweckte überdies das Bedürfnis, ihm einen harten linken Haken zu verpassen.
Voll auf die Fresse.
Ich atmete tief durch und lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Glock in meiner Hand.
Beruhige dich, Evina. Es bringt nichts. Lass dich von solchen infantilen Neckereien nicht aus der Reserve locken.
»Wechseln wir das Thema.«
Selbst für mich klang meine Stimme äußert aggressiv.
»Nein.«
Offenkundig wollte mein lästiger Kollege wahrhaftig Prügel kassieren.
»Mich interessiert deine romantische Einstellung überhaupt nicht, okay?« Um mein Gesagtes zu unterstreichen, besah ich Dan auf die finsterste mir mögliche Weise. »Und wenn du noch einmal mit dem Blödsinn kommst, dann –« Ich hielt ihm die Glock vors Gesicht. »Ziehe ich dir diese unpraktische Waffe über deinen Lockenkopf.«
Meine Drohung entlockte ihm ein niedliches Schmunzeln, welches meine Wut nicht sonderlich abmilderte.
»Wenn du einmal jemanden Besonderes begegnest, dann wirst du deine Meinung schon ändern. Inklusive Kinderwunsch. Wetten?«
»Das passiert nie.«
Seine Mundwinkel zuckten. »Das habe ich auch gesagt.«
»Aber ich bin nicht du! Ich hasse Kinder! Ernsthaft, ich halte das nicht aus.«
»Wetten wir! Du wirst Mama, hundertprozentig!«
Nun wurde es mir richtig schlecht.
Aber okay. Wenn er wetten wollte, dann bitte schön.
»Gut.« Ich steckte das leere Magazin in die dafür vorgesehene Tasche meines Funktionsgürtels. »Worum wetten wir?«