Axel Schade

Kriminalhauptkommissar Ronny Mittler


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er ihr Hauptverdächtiger ist? Aber das ist vier Jahre her. Sie glauben doch nicht ernsthaft, er ...?“ „Was wir glauben, ist zweitrangig.“, erklärt Merle. „Für uns zählen Fakten. Wie die Tatsache, dass zwischen Jakobs und van der Leuwen ein Zwist bestand. Dem gehen wir im Verlauf der Ermittlungen nach. Das ist unsere Aufgabe. Dabei lassen wir Umstände nicht außer acht, die Dennis entlasten, seien sie dessen versichert.“

      Lena fragt: „Frau Siemers, sie sagen, dass sie Ruhe vor Thilo hatten, nachdem ihr Freund ihn zur Rede stellte. Ab wann belästigte er sie erneut mit Anzüglichkeiten?“ „Wo ich im BOOTSHAUS zu kellnern anfing, kamen wieder obszöne Bemerkungen. Gleich am ersten Arbeitstag ging das los. Vergangenen Samstag war es dann einfach zu viel.“

      „Es kam demnach regelmäßig vor?“ „Das er mich blöd anmachte, meinen sie?“ „Ja.“ „Wie gesagt. Seit ich dort zur Aushilfe kellnere. Vor knapp zwei Jahren habe ich bei Lola zum ersten mal ausgeholfen. Manchmal machte Thilo einen Spruch am Abend, ein anderes Mal mehr. Es kam vor, dass er nichts sagte, darum ist es schwierig, es in Zahlen zu fassen, Frau Oberkommissarin.“

      „Wie äußerte er sich? Wie führte er sich auf? Wie muss ich mir seine Belästigungen vorstellen?“ „Häufig machte Thilo dumme Bemerkungen. Hin und wieder betatschte er mich.“ „Wo berührte er sie? Wie ging das vonstatten?“ „Wenn ich beim Stammtisch bediente und in Reichweite stand, gab er mir schonmal einen Klaps auf den Hintern.“ „Was noch?“ „Er griff an meine Beine, streichelte über die Oberschenkel.“ „Wie reagierten sie?“ „Ich drehte mich weg oder schlug auf seine Hand.“ „Sie sagten nichts dazu?“ „Doch. Sicher. Ich sagte, er soll es lassen.“

      „Wie regierte er auf Ablehnung?“ „Meistens laberte er irgendwelchen Mist.“ „Was zum Beispiel? Erklären sie es. Wie müssen wir uns das vorstellen?“ „Kam ich an den Stammtisch, um Bestellungen aufzunehmen, sagte er: Da kommt die schärfste Saftschubse von Norden. Wenn seine Freunde darüber lachten, war er zufrieden.“ „Das klingt wie ein harmloser Scherz, Frau Siemers. Belästigung sieht anders aus. Ein Chauvinist sähe in dem Spruch sogar ein verstecktes Kompliment. Leider ist das so, möchte ich hinzufügen.“, erklärt Merle. „Vor Gericht würde diese Bemerkung wenig Eindruck machen. Es hilft uns nicht weiter.“, ergänzt Lena. „Geben sie uns handfeste Beispiele. Wie beleidigte er sie aufs Heftigste? Sprechen sie es aus.“, motiviert Merle sie.

      „Thilo sonderte ordinäre Kommentare ab.“, druckst Carola herum. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, sie greift zu einem Papiertaschentuch. „Wir sehen, wie sehr das Thema sie belastet, Frau Siemers. Dennoch müssen wir darum bitten, sich zu erinnern, welche Worte Thilo wählte.“, erklärt Lena sanft. Carola nickt. Flüsternd berichtet sie: „Einmal behauptete er, man höre, wenn ich zum Tisch käme. Das Geräusch meiner wippenden Titten würde mich verraten.“ „Das sagte er? Wörtlich?“ „Ja. Wort für Wort. Und Schlimmeres! Doofe Sprüche, die er in Witze verpackte.“

      „Welcher Art waren diese?“, erkundigt sich Merle. „Machte er sexistische Anspielungen?“ „Ja richtig fiese!“ „Erinnern sie sich an den Wortlaut?“ „Nicht an jeden. Aber einiges blieb im Gedächtnis.“ „Haben sie ein Beispiel für uns?“, möchte Lena wissen.

      Carola beugt sich vor. Mit gedämpfter Stimme erzählt sie: „Er machte sich einmal über meine Schamlippen lustig. Zur Clique sagte er, als Kind hatte Carola Schamlippchen. Jetzt hat sie Schamläppchen. Und mit vierzig bekommt sie Schamlappen! Diese Worte begleitete er mit Handbewegungen und Geräuschen. Bei seinen Leuten kam das natürlich super an. Die lachten sich kaputt und ich war die Doofe!“

      „Gerieten sie in Wut?“ Sie zögert mit einer Antwort. „Klar, ich war sauer. Denke ich darüber nach, war ich mehr beschämt. Und beleidigt!“

      „Haben sie ein weiteres Beispiel dieser sogenannten Scherze?“ „Eine Sache war letztes Jahr im Sommer. Ich trug einen kurzen Rock. Wo ich Getränke zum Tisch brachte und die Gläser verteilte, fragt Thilo: Was passiert, wenn ich Carolas Kitzler festhalte, während sie zur Theke zurückgeht? Die Antwort gab er gleich selbst. Lasse ich los, gibt´s folgendes Geräusch. Er steckte einen Finger in den Mund, machte ein Ploppgeräusch und rief Tschüüüühüüüssss.“ „Auweia. Das ist deftig. Wie reagierten die Personen am Tisch?“ „Sie lachten.“ „Verstehe. Darunter befanden sich Frauen, richtig?“ „Ja, einige.“ „Entrüsteten die sich nicht?“ „Nein.“

      „Carola, sie waren sein erklärtes Ziel für Spott. Thilo amüsierte sich auf ihre Kosten und stand bei seinen Gefährten gut da. Bekam ihr Freund das mit?“ „Nicht immer. Ich erzählte es ihm nicht unbedingt.“ „Warum nicht?“

      Carola schweigt. Beißt auf die Lippen. Alles, was sie im Zusammenhang mit Dennis aussagt, wird gegen ihn verwendet, denkt sie.

      „Ich wiederhole meine Frage.“, bohrt Lena. „Weshalb verschwiegen sie ihrem Verlobten die Erniedrigungen, denen sie ausgesetzt waren?“ „Weil ich nicht wollte, dass es Stunk gibt.“ „Was befürchteten sie?“

      Carola sieht sich in die Ecke gedrängt. Wie das Kaninchen vor der Schlange windet sie sich vor der Antwort, bis sie wispert: „Das Dennis eine Dummheit macht.“

      Auf dem Rückweg zum Revier fragt Lena: „Welchen Eindruck macht Frau Siemers auf dich?“ „Insgesamt einen Guten. Eine Sache verstehe ich allerdings nicht.“ „Die da wäre?“ „Über Jahre hinweg belästigt, erniedrigt, beleidigt der Kerl sie. Er behandelt sie aufs Ekligste und sie sucht sich keine Hilfe. Warum?“

      „Die Erfahrung lehrt, solches kommt häufig vor. Denk an Häusliche Gewalt. Wie viele Frauen ertragen über Jahre ein Martyrium! Bis es eskaliert. Und dann kommen wir und kehren den Mist zusammen!“

      Gerichtsmediziner Dr. Albert Meyer sitzt neben Ronny Mittlers Bett und lässt sich ein Butterbrot schmecken. Es ist später Nachmittag. Die Salamistulle war eigentlich zum Verzehr in der Frühstückspause gedacht. Er kam nicht dazu, sie zu essen. Kauend erklärt er: „Der Verstorbene stand unter Einfluss von Betäubungsmitteln. Abgefüllt bis Oberkante Unterlippe! Der war weder ansprechbar, geschweige denn in der Lage, sich aufzuhängen.“

      Hauptkommissar Mittler klatscht in die Hände. „Wusst´ ich´s doch! Es war kein Suizid!“ „Dein Orakel - Magnet sah es voraus! Verlässlich wie eh und je“, kommentiert Meyer.

      „Was kannst du mir zum Seil des Erhängten sagen, Albert?“ „Moment.“, antwortet der Rechtsmediziner. Er schiebt das letzte Stück Brot in den Mund und kaut in aller Ruhe. Nachdem es heruntergeschluckt ist, greift er nach seiner Tasche. Daraus entnimmt er eine Thermoskanne, die anhand ihrer Form an einen Leuchtturm erinnert. Er schraubt den Deckelbecher ab, gießt ein und trinkt.

      „Wird das heute noch was, mit der Antwort?“, drängt Ronny Mittler. „Abwarten und Tee trinken! Dann Sachen machen!“, antwortet Albert Meyer seelenruhig. In sich ruhend, genießt der Pathologe seinen geliebten Ostfriesentee. Sanft lächelnd stellt er den Becher neben die Thermoskanne auf Mittlers Nachttischschrank. Es amüsiert Meyer, den Freund in der Warteschleife hängen zu lassen. Der trommelt derweil erwartungsvoll mit den Händen auf der Bettdecke. Aus der Aktentasche zieht der Rechtsmediziner einen Schnellhefter, platziert diesen auf den Schoß. Bedächtig klappt er ihn auf, liest stumm die ersten Zeilen. Schließlich hebt er den Kopf. Prüfend schaut er den Hauptkommissar an. Dessen volle Aufmerksamkeit ist ihm sicher.

      „Vorneweg gesagt, es fand sich keine verwertbare DNA-Spur. Weder an der Leiche noch am Seil. Es handelt sich um ein 8 Millimeter starkes Polypropylenseil in der Farbe Blau mit schwarzem Kennfaden. Seine Länge beträgt 20 Meter. Es ist 16-fach geflochten. Die Bruchlast liegt bei 700 Kilogramm. Ein schlichtes Universalseil, lieber Ronny. Bekommst du in jedem gut sortierten Baumarkt. Es ist für den Einsatz im Freien geeignet. Beispielsweise im Garten, beim Camping und so weiter. Zum Spannen und Befestigen von Planen verwendet man es gerne. Aus persönlicher Erfahrung möchte ich anmerken, dass derlei Seil für diverse Belange ausgesprochen hilfreich ist. Ich sichere damit zum Beispiel Strauchschnitt auf meinem Anhänger, wenn ich zur Deponie fahre.“

      „Nimmt