Renate Dr. Dillmann

China – ein Lehrstück


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sie die Macht, die allen anderen Staaten modernste Technik verkaufen konnte – nun nötigen oder bestechen sie andere Nationen, nicht bei China zu kaufen. Die Vereinigten Staaten sind dabei durchaus in der Lage, einiges für diese Politik in die Waagschale zu werfen: Die Drohung mit ökonomischen Nachteilen ist für jedes Land dieser Welt eine heikle Frage angesichts dessen, was seine Kapitale und Banken in den USA erwirtschaften bzw. angesichts dessen, was ein eventueller Ausschluss vom internationalen Finanzmarkt bedeuten kann, auch wenn man gar nicht unmittelbar mit oder in den USA handelt.

      Internationale Handels- und Investitionsabkommen

      China versucht, mit dem Abschluss von internationalen Handels- und Investitionsabkommen dagegen zu halten. Mitte November 2020 wurde in Hanoi RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) unterzeichnet und damit die weltweit größte Freihandelszone begründet (2,2 Mrd. Menschen, rund 30 % des Welthandels). Zu den Unterzeichnern gehören die zehn ASEAN-Staaten, China, Japan, Südkorea sowie Australien und Neuseeland; Indien zog sich kurz vor Vertragsabschluss aus dem Projekt zurück, da es befürchtet, der chinesischen Konkurrenz in vielen Wirtschaftszweigen nicht gewachsen zu sein. Damit ist es China gelungen, die Staaten, die die USA zuvor in ihre transpazifische Partnerschaft gegen China einbinden wollten (TPP, das Donald Trump zu Beginn seiner Präsidentschaft abrupt gekündigt hat), nun seinerseits zu einer Freihandelszone zusammen zu schließen.

      Ende Dezember 2020 haben die EU und China ein Investitionsabkommen unterzeichnet. In öffentlichen Stellungnahmen betont die chinesische Seite, dass der Vertrag das Interesse beider Parteien an weiter wachsenden Investitionen (bisher betragen die EU-Investitionen in China 180 Mrd. Dollar, die Chinas in die EU 138 Mrd. US-Dollar) auch gegen US-amerikanischen Druck zum Ausdruck bringe – das ist ein Zeichen, auf das die Volksrepublik zurzeit viel Wert legt.1 Tatsächlich wäre die EU und gerade Deutschland empfindlich getroffen, wenn „Decoupling“ ernsthaft durchgesetzt würde. Die Europäische Handelskammer in China hatte deshalb angesichts der ersten bereits eingeleiteten Maßnahmen auf US-amerikanischer Seite und den Reaktionen aus der Volksrepublik in einer Studie gewarnt: „Direkte Marktzugangshindernisse wie Negativlisten und nationale Sicherheitsmaßnahmen werden durch indirekte Hindernisse wie nationale Standards oder Lizenzanforderungen ergänzt. Die Studie, betonte EUCCC-Präsident Jörg Wuttke auf der Pressekonferenz, wolle auch darauf hinwirken, dass Administrationen in China und in den USA erkennen, wie schädlich Decoupling für die Wirtschaft sei.“2

      Die EU ihrerseits lobt am Investitionsabkommen, dass sie durch harte, sieben Jahre dauernde Verhandlungen weitgehende Zugeständnisse erreicht habe (neue Regeln für den „Zwangstransfer“ von Technologie, Öffnung vieler Wirtschaftszweige, darunter „Fahrzeuge, Cloud- und Finanz-Dienstleistungen, Gesundheitsversorgung“). Es ist zu vermuten, dass die feindselige Haltung der USA gegenüber der Volksrepublik der EU Verhandlungsvorteile verschafft hat.

      Mit dieser Politik untergraben die amerikanischen Politiker allerdings die Prinzipien der Weltordnung, die sie selbst nach Weltkrieg II eingerichtet haben: Souveräne Staaten, die in freier kapitalistischer Konkurrenz nach ihrem Vorteil streben.

      Für dieses Prinzip steht inzwischen der chinesische Präsident Xi Jingping ein – ein deutlicher Ausdruck dessen, welche Nation im Augenblick den Nutzen aus dieser von den USA geschaffenen Weltordnung zieht …

      Insofern hat der amerikanische Verteidigungsminister Mark Esper nicht überraschend auf der Münchener Sicherheitskonferenz des Jahres 2020 Bilanz gezogen und die Nato-Alliierten zu einer klaren Entscheidung gedrängt.43 Esper hat an den WTO-Beitritt Chinas vor 20 Jahren erinnert (den er mitverhandelt hat): Ein Teil der US-Delegation hätte gehofft, durch verstärkte ökonomische Liberalisierung auch die politische voranzutreiben und China zu einem „verantwortungsbewussten globalen Akteur“ zu machen. Nun sei zu konstatieren, dass unter Präsident Xi Jinping das Gegenteil eingetreten sei: „mehr interne Unterdrückung, räuberischere wirtschaftliche Praktiken, mehr Härte und – für mich am besorgniserregendsten – eine aggressivere militärische Haltung“. China habe sich „durch Diebstahl, Zwang und Ausnutzung freier Marktwirtschaften“ Vorteile verschafft und sinne darauf, das System „zu untergraben und zu zersetzen“, das ihm seinen Aufstieg ermöglicht hat. Es strebe überall auf der Welt „neue strategische Beziehungen“ an und übe „Druck auf kleinere Nationen“ aus. Das sagt allen Ernstes der Vertreter der Weltmacht USA – Kommentar überflüssig. Während die USA in konventionelle und moderne Raketenabwehrsysteme investieren, „um unser Heimatland, unsere Interessen und unsere Verbündeten zu schützen“, habe man es in der Volksrepublik mit einem Land zu tun, das „Langstreckenraketen entwickelt und bereitstellt, um Nachbarländer zu bedrohen“. Und so weiter und so fort – das Weltbild ist klar: Hier die Guten, die die Werte beschützen, dort die Bösen, die mit fiesen Methoden überall Unheil und Unterdrückung anrichten. Dann wörtlich: „Verstehen Sie mich nicht falsch, wir suchen den Konflikt mit China nicht. Das ist es nicht, was wir wollen – keineswegs. Wir streben vielmehr einen fairen und offenen ökonomischen Wettbewerb an. Und ganz allgemein verlangen wir von Peking nur das, was wir von jedem Land verlangen: sich an die Regeln zu halten, internationale Normen einzuhalten und die Rechte und die Souveränität anderer zu achten. Das US-Verteidigungsministerium leistet seinen Teil, um eine gerechte Basis wiederherzustellen. Wir konzentrieren uns darauf, von Fehlverhalten abzuschrecken, unsere Freunde und Verbündeten zu beruhigen und die globalen Gemeinschaftsgüter zu verteidigen. Um den Frieden durch Stärke zu wahren, setzen wir die Nationale Verteidigungsstrategie der Vereinigten Staaten um.“

      Zum Glück sind die europäischen Verbündeten gegen Russland schon weitgehend auf Linie! Gerade deshalb müssen sie – so Esper – darauf achten, im Falle Chinas wegen seiner tückischen ökonomischen Nützlichkeit keine Fehler zu machen und sich rechtzeitig auf die richtige Seite zu stellen.

      Chinas Aufrüstung und der „Inselstreit“ im südostasiatischen Meer

      Chinas Rüstungsetat hat nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI im Jahr 2019 den russischen überholt, liegt allerdings noch weit hinter den USA.44 Das Ziel der chinesischen Führung besteht darin, eine von bisherigen Rüstungszulieferern (insbesondere Russland und Israel) unabhängige Rüstungsproduktion in allen Sparten auf die Beine zu stellen – von modernen Kampffliegern bis zu atomgetriebenen U-Booten und Flugzeugträgern. Besonderen Wert wird auf den Ausbau der Marine gelegt, denn China will die bis jetzt unangefochtene Monopolmacht der USA im Südpazifik bestreiten.

      Chinas Marine

      „Im jüngsten Bericht des Pentagons zur militärischen Rüstung der Volksrepublik China wird bestätigt, dass deren Marine zahlenmäßig die amerikanische Navy erstmals übertrifft. Sie wird Ende 2020 über 360 Kriegsschiffe verfügen, darunter 130 moderne Kreuzer, Zerstörer, Fregatten und Korvetten sowie 62 U-Boote, darunter 12 atomar betriebene. Zwei Flugzeugträger mit eingeschränktem Potenzial sind in Betrieb, sie dienen vor allem als Testplattformen. Der dritte steht im Bau und wird ein mit amerikanischen Flugzeugträgern vergleichbares Schiff mit Katapulten sein, das vermutlich 2024 einsatzbereit sein wird. Drei weitere Träger dieser Art werden bis in die Dreißigerjahre erwartet.

      Im Inventar der Marine figurieren neuerdings große amphibische Helikopterträger, eigentliche Kopien der amerikanischen Wasp-Klasse. Diese und weitere moderne Docklandungsschiffe sind für das im Aufbau befindliche chinesische Marinekorps bestimmt, das dereinst bis zu 100.000 Mann umfassen soll.“1 Im Unterschied zur Darstellung der ökonomischen Potenzen lautet die Devise bei Militär und Aufrüstung offenbar, den chinesischen Gegner groß und gefährlich zu machen – eine aus dem Kalten Krieg und der Darstellung der sowjetischen Militärkräfte wohlbekannte Tradition. Die US-Navy verfügt nach eigenen Angaben zwar „nur“ über 280 Schiffe, allerdings über 11 Flugzeugträger und hat aktuell 340.000 Soldaten im Dienst.2 Zudem verfügen die USA nach offiziellen Angaben über 761 Stützpunkte auf der ganzen Welt – wobei nur die gezählt werden, auf denen aktuell US-Soldaten stationiert sind. Nimmt man die Anzahl der vertraglich vereinbarten und im Krisenfall nutzbaren, sind es nach Experten-Schätzungen etwa 1.000.

      Bis jetzt gilt hier (wie auf der