Renate Dr. Dillmann

China – ein Lehrstück


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trifft im südchinesischen Meer auf das Interesse der neuen Handels-Großmacht China. Deren Führung verlangt Sicherheit für ihre Im- und Exportrouten und will sich diese nicht durch eventuelle Boykott-Maßnahmen der USA stören lassen, wie sie aus vielen Fällen der jüngeren Geschichte bekannt sind und wie Chinas Strategen sie angesichts der zunehmenden Konkurrenz der beiden Mächte vorhersehen. Der Ausbau kontinentaler Verbindungswege im Zuge der BRI ist ein Teil des chinesischen Umgangs mit diesem Problem; der andere liegt in der Aufrüstung der Marine und dem Versuch, mit einer vorgelagerten Stützpunktpolitik zumindest einige Verteidigungslinien in relativer Nähe zu ziehen. Das ist der Kern des vor etwa zehn Jahren neu eröffneten „Inselstreits“, bei dem China einige völkerrechtlich umstrittene Inseln in Besitz genommen und militärisch ausgerüstet hat, wogegen diverse Nachbarstaaten (Japan, Vietnam, Philippinen) protestieren.45 Die USA „verteidigen“ in diesem Konflikt den Status quo, in dem sie ganz unangefochten die Oberhoheit haben, gegen den unangenehmen Aufsteiger, der zwar dasselbe macht wie sie, aber gerade deshalb ein Störenfried ihrer Ordnung ist.

      In der Konsequenz ermuntern sie die Anrainerstaaten (Japan, Südkorea, Philippinen, Vietnam) in ihren Ansprüchen gegen China, was die Konflikte in der Region anheizt. Die Amerikaner vereinbaren, als dafür nötige Rückendeckung der „kleinen und schwachen“ Staaten, mit ihnen neue militärische Zusammenarbeit, zeigen mit ihren Aufklärungsflugzeugen Präsenz und traten auf der Shangrila-Konferenz 2015, einer regionalen (!) Sicherheitskonferenz, zu der die USA selbstverständlich dazu gehören (ebenso übrigens Deutschland, vertreten durch die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen) mit harten Angriffen gegen China auf: „Push back“ schrieb die New York Times und fand eine kompromisslose Haltung der damaligen Obama-Regierung für unbedingt notwendig.

      China war und ist nicht gewillt, in diesem Konflikt einzulenken – auch nicht um den Preis der angedrohten Verschlechterung der Beziehungen und einer eventuellen militärischen Konfrontation. Es machte zwar gewisse diplomatische Angebote, indem es den militärischen Charakter des Inselausbaus kleinredete und umweltpolitische Zielsetzungen betont hat, um die Situation von sich aus nicht zu verschärfen. In der Sache aber blieb es hart. China lässt sich keine Eindämmung von Ansprüchen bezüglich dieser Inseln bieten – nicht von seinen Nachbarn und auch nicht von der existierenden Weltmacht. Auch die Volksrepublik agiert in diesem Streitfall sehr prinzipiell. Sie exerziert daran exemplarisch ihr ungehindertes Recht auf ihren weiteren weltpolitischen Aufstieg und dessen militärische Absicherung durch und will dieses Vorgehen international anerkannt bekommen.

      Letztes Update:

      Die neue US-Regierung wiederum hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen eine „Flugzeugträgergruppe“ unter Führung der „USS Theodor Roosevelt“ ins Südchinesische Meer geschickt, um dort das Manöver „Navigationsfreiheit“ abzuhalten.

      So stehen auf beiden Seiten Rechte gegeneinander – und da entscheidet letztlich bekanntlich die Gewalt. Auch wenn momentan tatsächlich keine der Parteien die „große Auseinandersetzung“ will, ist das der sehr gewaltträchtige Kern ihres Verhältnisses (von dem es dann irgendwann wieder heißen wird, dass die Mächte in ihren Krieg „reingeschliddert“ sind ...).46

      Fazit:

      Erstens: China ist ein einzigartiger Sonderfall der Weltgeschichte. Die Volksrepublik, die sich immer noch sozialistisch nennt, hat geschafft, was die großen westlichen Staaten den „Entwicklungsländern“ immer so generös als Resultat ihres Einstiegs in den Weltmarkt verheißen hatten: Sich zu entwickeln, reich und mächtig zu werden und ihnen auf Augenhöhe entgegenzutreten! An den Reaktionen der „Etablierten“ ist abzulesen: Ein solches Resultat war und ist so nicht vorgesehen.

      Zweitens: Das heutige China ist geradezu ein Lehrstück über den notwendigen Zusammenhang von Geschäft und Gewalt in der Weltordnung. Seine Führer haben ihre frühere sozialistische Planwirtschaft Stück für Stück und mit viel staatlicher Betreuung transformiert in eine kapitalistische Ökonomie. Die immanenten Notwendigkeiten des kapitalistischen Geschäfts bescheren ihnen inzwischen eine ganze Agenda an außenpolitischen Tätigkeiten. Ein bedauernswerter „Sachzwang“ der Globalisierung ist das keineswegs gewesen. Zunächst hatte der „freie Westen“ die Existenz eines kommunistischen Staatenblocks nicht hingenommen und mit einem Kalten Krieg darauf geantwortet, d. h. die sozialistische Staatenwelt mit seiner Aufrüstung zu enormen Rüstungsanstrengungen gezwungen, denen sie letztlich nicht gewachsen war. In diesem Konflikt hat China aus seinen nationalen Berechnungen heraus freiwillig die Seiten gewechselt, sich in die kapitalistische Konkurrenz gestellt und mit diesem Entschluss entscheidend dazu beigetragen, dass die Welt heute tatsächlich „globalisiert“ ist, sprich: dass überall die Freiheit des Kapitals herrscht.

      Seitdem ist seine Regierung damit befasst, die „Eigengesetzlichkeiten“ eines erfolgreichen Kapitalismus machtvoll durchzusetzen. Denn wer sich einmal dafür entscheidet, auf die „kapitalistischen Produktivkräfte“ zu setzen, der muss die Wachstumsbedürfnisse des Kapitals a) respektieren und b) nach Kräften fördern, wenn die Sache Erfolg haben soll – ganz egal, wie „antiimperialistisch“ oder „friedliebend“ er bis gestern agiert hat. Dementsprechend sehen die Aktivitäten aus: Sie reichen von der Förderung des Warenexports bis zur militärischen Sicherung der Handelswege und sie schließen eine Verteidigung der – mit jedem Erfolg wachsenden – „vitalen Interessen“ ein, gegen Eindämmungsbestrebungen, die die herausgeforderte Weltmacht Amerika China selbstverständlich entgegensetzt. So geht es eben zu, wenn eine neue Macht in der Konkurrenz kapitalistischer Staaten aufsteigt – eine friedliche Angelegenheit ist das nicht.

      Mit diesen Überlegungen sollten zugleich einige gängige Vorstellungen widerlegt sein:

      Es ist sachlich falsch, Chinas außenwirtschaftliche oder -politische Konkurrenzpraktiken als besonders bösartig zu charakterisieren. Sie haben ihren Grund in den marktwirtschaftlichen Prinzipien des Umgangs mit Land und Leuten, die im Westen entwickelt, allen sozialistischen Ländern immerzu gepredigt wurden und die das asiatische Land nun eben auch bei sich installiert hat. Die erneute Rede von einer „gelben Gefahr“ drückt insofern zuallererst den umfassenden westlichen Anspruch auf diese Welt, ihre Ressourcen und den Nutzen aus dem globalen Handel aus.

      Es ist ein unangebrachter Idealismus, zu glauben, man könne den Kapitalismus einsetzen zur Entwicklung von Technik und Produktion zum Segen für Land und Leute und seine hässlichen Seiten irgendwie außen vorhalten. Die Analyse von Chinas Ökonomie und seiner Außenpolitik, die zu dieser Ökonomie gehört und sich keineswegs jenseits, auf irgendwelchen luftleeren Feldern politologischer Kategorien von „Macht und Interesse“ abspielt, macht deutlich, dass der Kapitalismus „System“ hat bzw. eines ist.

      C. Zur Feindschaft das Feindbild: Ein neues

      „Reich des Bösen“

      Mit den wachsenden Erfolgen Chinas kommt auch das Feindbild in großen Schritten voran. Aktuell vergeht kaum ein Monat, ohne dass ein neuer „Skandal“ in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wird: Chinas „neokoloniale Politik“ der „Neuen Seidenstraße“, Spionageaktivitäten seiner IT-Kapitale, die Behandlung der Protestbewegung in Hongkong, die angeblich in Konzentrationslagern internierten Uiguren, die vom Standpunkt westlicher Werte indiskutablen Methoden zur Eindämmung der Corona-Epidemie, die Verdächtigung, dass China überhaupt schuld sei am Corona-Virus und seinen Folgen usw. usf. Diese Art öffentlicher Feindbildpflege trifft nicht nur China – auch Russland und der Iran sind in dieser Hinsicht Dauerbrenner der westlichen Öffentlichkeit. Und sie ist natürlich auch nicht neu. Erinnern wir uns: In den Mao-Zeiten galt das damals noch sozialistische Land als „gelbe Gefahr“, und seine Einwohner firmierten als „blaue Ameisen“ – was heute vielleicht als „politisch inkorrekt“ gelten würde.

      Die Wende der kommunistischen Staatspartei hin zum Kapitalismus wurde im Westen dann erleichtert bis euphorisch begrüßt. Deutsche Unternehmer und Politiker waren ganz vorne dabei, als es darum ging, Beziehungen zu knüpfen und erste Joint-Ventures zu gründen. Kaum aber stellte sich heraus, dass an diesen Geschäften auch chinesische Firmen verdienten und sich zu weltmarktfähigen Konkurrenten entwickelten, kaum wurde deutlich, dass Chinas