Thomas Hoffmann

Schatten der Anderwelt


Скачать книгу

Unbehagen.

      An der Pforte zur Markgrafenhalle mussten sie warten, während die Wache sie meldete. Kurz darauf wurden sie eingelassen. Drinnen wurden sie von einem halben Dutzend Wachen umringt. Die Wachen geleiteten Norbert und Aila an einen Platz an der Schmalseite der Halle nahe der niedrigen, eisenbeschlagenen Tür, von der Norbert wusste, dass sie zum Kerker hinabführte. Gedämpfte Schmerzensschreie drangen durch die Tür.

      Norbert hatte die Markgrafenhalle zuvor nur ein einziges Mal betreten. Während der Gerichtsverhandlung über die Erbschleicherin waren die Schmalseiten und die Außenseite der Halle mit den hoch gelegenen Fenstern gedrängt voll gewesen mit Schaulustigen. Jetzt war die von einer Reihe hölzerner Pfeiler getragene Halle menschenleer. In der Hallenmitte stand ein Mönchsbruder mit geneigtem Kopf vor der langen Holztribüne, die sich an der Innenseite der Halle entlangzog. Wie beim vorigen Mal standen mit glühenden Kohlen gefüllte Becken vor der Tribüne. Sie spendeten kaum Wärme in der großen Halle.

      Markgraf Lothar saß umgeben von Leibwachen auf einem ausladenden Lehnstuhl, dessen hohe Lehne über dem Kopf des Markgrafen das Wappen der Wulfinger zeigte: Eber und Schwert auf grünem und goldenem Grund. An der Seite des Markgrafen stand ein Mönch, ein beleibter kleiner Mann mit bis auf einen schmalen Haarkranz kahlgeschorenem Schädel. Er trug eine Kapuzenkutte aus grobem, braunem Stoff, nicht die weit geschnittene, weiße Kutte der Armen Brüder. Der Markgraf selbst saß breitbeinig zurückgelehnt, mit auf die Faust gestütztem Kopf da und betrachtete mit gelangweilter Miene den Klosterbruder, der vor ihm stand. Sein pelzbesetzter Umhang hing achtlos hingebreitet über die Armlehnen herab.

      Der Mönch vor der Tribüne war offenbar gerade dabei, die Rede, die er vor dem Markgrafen gehalten hatte, zusammenzufassen: „...und so zweifle ich nicht daran, Eure Durchlaucht, dass Ihr aufgrund des aufopferungsvollen Einsatzes der Armen Brüder, der Opferung der großen Mengen kostbaren Weihrauchs und der hohen Auslagen des Klosters zur Linderung der Not in der Stadt Euch der demütigen Bitte des Abtes nicht verschließen werdet und dem Kloster die gegen alle Opfer der Armen Brüder zwar geringe, jedoch wohlfeile Summe von neunhundert Goldtalern an das Kloster auszahlen werdet.“

      Der Markgraf antwortete nicht sofort. Mit auf die Faust gestütztem Kinn betrachtete er den sauber gekleideten Ordensbruder, der mit gesenktem Kopf und demütig gefalteten Händen vor der Tribüne stand.

      Als er schließlich antwortete, klang seine Stimme gelangweilt: „Jeder in der Stadt hat Opfer gebracht. Alle haben sich bei dem Brand bis zum Äußersten aufgeopfert. Viele tun es noch immer. In Zeiten der Not Opfer zu bringen und für das Wohl der Stadt zu beten, ist die Pflicht der Armen Brüder zu Altenweil. Sollte das Kloster durch die erbrachten Opfer wirklich arm werden, dann würden die Armen Brüder ihrem Namen vielleicht einmal wieder Ehre machen.“

      Der Ordensmann beugte den Kopf vor dem Markgrafen noch tiefer.

      Der Markgraf wedelte mit der Hand: „Du kannst jetzt gehen. Grüße den Abt von mir.“

      Der Mönch murmelte etwas, richtete sich hoch auf und verließ mit zornrotem Gesicht die Halle.

      Norbert spürte, wie sein Puls sich beschleunigte. Nervös blickte er sich nach den Wachen um. Die großen Männer umstanden Aila und ihn in respektvollem Abstand, aber sie hatten ihre Piken mit den langen Klingenspitzen kampfbereit. Und Norbert zweifelte keineswegs, dass sie mit ihren Waffen umgehen konnten. Andererseits waren Aila und er zu zweit. Im Notfall würden sie sich schon raushauen. Der Mönch neben dem Markgrafen blickte von der Tribüne in ihre Richtung.

      „Norbert Lederer!“

      Aila nickte ihm zu: „Geh vor zum Markgrafen. Ich bin da!“

      Während Norbert zur Hallenmitte ging, versuchte er, trotz seiner Aufregung genauso zu gehen, wie sein ehemaliger Meister es bei Auftritten vor hohen Persönlichkeiten getan hatte: Langsam, gerade aufgerichtet, die linke auf den Schwertknauf gelegt, ging er die Tribüne entlang. Vor dem Markgrafen kniete er sich auf ein Knie herab und senkte den Kopf, ohne die Wachen um den Markgrafen herum aus den Augen zu lassen. Er hatte den Titel vergessen, mit dem Dreyfuß den Markgrafen angeredet hatte, obwohl auch der Klostermönch ihn eben noch verwendet hatte. Sein Herz raste.

      Da ihm nichts anderes einfiel, sagte er einfach: „Herr?“

      Die wässerigen Augen in dem blassen Gesicht mit den gedunsenen Wangen und den großen Lippen betrachteten Norbert nur kurz, bevor der Markgraf ihm winkte, aufzustehen.

      „Gut, gut, steh auf, Norbert Lederer.“

      Norbert stand auf und blieb, wie Dreyfuß es seinerzeit getan hatte, mit leicht gesenktem Kopf und der Linken auf dem Schwertknauf stehen. Im Augenwinkel beobachtete er die Leibwachen. Die Männer um den Markgrafen standen müde und unachtsam da, wie Wachen, die schon lange gestanden hatten. An der Hallenseite stand Aila umgeben von den Kriegsknechten. Ihre Körperhaltung war entspannt, sie ließ die Arme locker hängen, als nähme sie die kampfbereiten Männer um sie her gar nicht wahr.

      „Man hat mir gesagt, du bist der Sohn eines Siedlers?“ fragte der Markgraf mit uninteressierter Stimme.

      Wie schon beim letzten Mal konnte Norbert seinen Abscheu vor der betont gelangweilten Miene des Markgrafen nur schwer verbergen.

      „Ja, mein Vater Hans Lederer war Siedler in Wildenbruch im Gornwald. Aber die Siedlung ist letzten Sommer der Hungersnot zum Opfer gefallen. Sie sind alle tot.“

      Wahrscheinlich interessierte es den Markgrafen überhaupt nicht. Warum musste diese Ausfragerei sein? Sollte der Markgraf doch einfach sein Urteil sprechen! Insgeheim schätzte Norbert ab, wie viel Zeit er hatte, bevor die Wachen an ihn heran sein würden. Der Markgraf seufzte, zurückgesunken in seinen Lehnstuhl.

      „Der alte Gornwald widersetzt sich jeder Besiedlung durch Menschen. Kein Siedlungsversuch dort ist bislang geglückt,“ meinte er zu dem Mönch an seiner Seite, der schweigend nickte.

      Dann wandte er sich wieder an Norbert: „Du bist der Schüler des im Stadtbrand umgekommenen Gelehrten Anton Dreyfuß?“

      Jetzt kam es! Norberts Haltung straffte sich.

      „Ja, Herr,“ murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen.

      Der Markgraf betrachtete ihn lange. Seine mit Edelsteinen beringten Finger trommelten leise auf der Stuhllehne. Norbert schaute kurz zu Aila. Sie stand ruhig und locker da. Aber er sah ihren aufmerksamen Blick.

      „Meine Kriegsknechte,“ erklärte der Markgraf, „und viele Augenzeugen berichten, du seist vorgestern Abend, als die Brände noch wüteten, allein und aus freien Stücken in die Brandzone hineingegangen und hättest das dämonische Feuer mit deiner Magie bezwungen - gebannt, ausgelöscht, wie auch immer.“

      „Ja, Herr,“ stotterte Norbert verwirrt. „Es wurde von einer ziemlich mächtigen Banshee, einer Untoten, entfacht. Ich musste sie bannen. Anders hätte dieses Feuer nicht gelöscht werden können.“

      Der Markgraf schwieg, als warte er darauf, dass Norbert noch etwas anfügte. Aber Norbert fiel nichts ein, was er hätte sagen können. Schließlich nickte der Markgraf. Seine Finger hörten auf, auf der Stuhllehne zu trommeln.

      „Du hast die Stadt gerettet. Ohne dich läge ganz Altenweil in Schutt und Asche.“

      Verblüfft starrte Norbert den Markgrafen an.

      „Was wünschst du als Belohnung für die Rettung der Stadt, Norbert Lederer?“

      Norbert war fassungslos. Was wurde von ihm erwartet? War es ein Trick?

      Der Mönch an der Seite des Markgrafen nickte Norbert freundlich zu: „Nenne dem Markgrafen deinen Wunsch ohne Scheu, Norbert. Du hast dich sehr verdient gemacht um die Markgrafenstadt. Wir alle stehen in deiner Schuld.“

      Norbert blickte rasch zu Aila hinüber. Auch sie nickte. Also war es ernst gemeint? Verzweifelt suchte Norbert in seinem Kopf nach der richtigen Antwort auf die Frage des Markgrafen. Um Jagdwaffen konnte er den Landesherrn schlecht bitten!

      Und mit einem Mal durchfuhr es ihn: „Herr, ich brauche zwanzig Goldtaler, um bei dem Burgschmied