Thomas Hoffmann

Schatten der Anderwelt


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verständnislos die Köpfe. Hatte er doch das Falsche gesagt? Der Markgraf betrachtete ihn ernst, beinahe freundlich.

      „Zwanzig Goldtaler wünschst du dir? Da kommen Klosterleute, die haben nichts ausgerichtet, als Weihrauch zu verbrennen und zu beten, von einer Suppenküche vielleicht einmal abgesehen, und verlangen fast das Fünfzigfache! Eigennutz kann man dir nicht vorwerfen, Norbert, Sohn des Siedlers Hans Lederer.“

      Der Markgraf wechselte einen Blick mit dem Mönch, dann erklärte er: „Es sollen dir vierzig Goldtaler ausgezahlt werden und wenn du weiteres Geld brauchst, kannst du ein zweites und auch ein drittes Mal herkommen, um noch einmal dieselbe Summe ausgezahlt zu bekommen. Aber in die Lehre bei meinem Burgschmied zu gehen, erlaube ich dir nicht. Ich weiß, dass du in der Abenteurerschänke Zum schwarzen Raben verkehrst. Keinem Freischärler und niemandem, der mit Freischärlern verkehrt, erlaube ich, sich längere Zeit auf der Burg aufzuhalten.“

      Norbert stand wie vom Donner gerührt. Seine neu angefachten Hoffnungen stürzten in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Was sollte er mit einer Menge von Gold, wenn er es nicht für das verwenden durfte, was ihm wichtig war? Wäre Melanie da gewesen... Aber sie war nicht mehr da.

      Der Markgraf winkte Norbert mit der Hand, zum Zeichen, dass die Audienz beendet war: „Lass dir von Bruder Anselm die Summe auszahlen.“

      Eine der Leibwachen fragte er gelangweilt: „Wer ist der nächste?“

      Der Mönch nickte Norbert zu und wies ihn ans Ende der Halle zu den Stufen auf die Tribüne. Norbert hörte den Wortwechsel des Markgrafen mit seiner Leibwache, während er an der Tribüne entlang zum Aufgang ging.

      „Die von der Ratsversammlung gesandten Ratsherren, Durchlaucht.“

      „Heiliger Bimbam, ausgerechnet! Auch die noch!“

      Norbert blickte Aila, die am Ende der Halle von den Kriegsknechten umgeben dastand, hilflos an. Sie schaute freundlich zurück. Ihre Haltung war vollkommen entspannt.

      „Alles in Ordnung. Geh nur. Ich bin hier.“

      Die Jammerlaute der Gefolterten hinter der Kerkertür hatten sich zu einem Kreischen in äußerster Pein gesteigert. Dazwischen schrie sie keuchend und schluchzend um Gnade. Norbert krampfte sich die Brust zusammen, während er auf die Tribüne stieg und dem Mönch durch eine Tür in den hinter der Halle gelegenen Gang folgte.

      An der Tür holte er Luft und sprach den Mönch an: „Findest du das richtig, dass die Frau da im Kerker geschunden wird, bis sie stirbt oder zeitlebens ein Krüppel ist?“

      Der kleine beleibte Mann seufzte. Sie gingen einen Gang hinunter an mehreren Türen vorbei.

      „Diese Witwe war Mutter von acht Kindern. Sie alle seien in der Not im letzten Winter am Hunger gestorben, hieß es,“ erklärte der Mönch.

      Er ging Norbert voran eine knarrende Holztreppe hinauf.

      „Vor zwei Wochen fand man in ihrem Haus in einem Krug mit Pökelfleisch Knöchelchen: Menschenknochen, Fingerknochen von Kindern. Zweifellos hat sie ihre eigenen Kinder geschlachtet und eingepökelt, um den Hungerwinter selber zu überleben.“

      So grauenhaft es sich anhörte, Norbert ließ die Begründung des Mönchs für die Folter nicht gelten.

      „Vielleicht hat sie es gar nicht aus Bosheit getan. Vielleicht ist sie von einem Wahn befallen, für den sie nichts kann, von einem Dämon besessen!“

      „Eben das herauszufinden, ist die Aufgabe der Kerkerknechte,“ erläuterte der Mönch seufzend.

      Durch einen Raum mit getäfelter Decke und Sitzbänken längs der Wände gingen sie zu einer kleinen, eisenbeschlagenen Tür, die der Mönch mit einem Schlüssel aufschloss. Der schmucklose Raum dahinter wurde spärlich von trübem Tageslicht erhellt, das durch ein vergittertes Fenster hereinfiel. Es gab ein Bücherbord, ein Schreibpult und einen Tisch. In die Wand war eine eiserne Lukentür eingelassen.

      „Hier befindet sich das Allerheiligste des Markgrafentums,“ erläuterte der Mönch dem verbissen schweigenden Norbert. „Der Geldtresor! Geld bedeutet Macht – und Herrschaftsgewalt. Es bedeutet noch mehr Macht, als Wissen. Und unendlich viel mehr, als Frömmigkeit und Rechtschaffenheit!“

      Mit einem weiteren Schlüssel schloss er die Eisenluke auf.

      Während er Goldtaler auf den Tisch zählte, redete er nebenbei zu Norbert: „Du gehst im Schwarzen Raben ein und aus. Dort hörst du so manches, was sich sonst in der Stadt nicht herumspricht. Es laufen Gerüchte um, der Stadtherr von Warnenbüttel plane einen Anschlag auf unseren Landesherrn Markgraf Lothar, weil unser Herr gemeinsam mit anderen Adligen ein Gesuch an den Kaiser gerichtet hat, die grausame Unsitte der Hexenverfolgungen zu verbieten, da sie auf nichts als dunklem Aberglauben gründet und unzählige Frauen dadurch unschuldig verbrannt werden. Wenn du hören solltest, dass sich Meuchelmörder in der Stadt befinden, lass es mich wissen, Junge. Es wird dir nicht zum Schaden gereichen.“

      „Im Schwarzen Raben kehren keine Meuchelmörder ein,“ erwiderte Norbert.

      Der Mönch schob ihm den Haufen Goldtaler hin.

      „Hier, ich gebe dir einen Beutel für das Gold. Binde ihn dir an den Gürtel.“

      Norbert zählte die Goldstücke nach. Er blickte den Mönch mit zusammengekniffenen Augen an.

      „Es sind nur neununddreißig!“

      Die unschuldige Überraschung im Gesicht des Mönchs sah beinahe echt aus.

      „Tatsächlich? Sollte ich mich verzählt haben? Zähl noch einmal nach, Junge.“

      Norbert zählte es ihm vor.

      Der Mönch schüttelte den Kopf: „Na so was! Selbstverständlich bekommst du den fehlenden Taler! So etwas ist mir in all den Jahren, die ich Schatzmeister beim Markgrafen bin, noch nicht passiert!“

      ***

      In der Halle stritten zwei Bürger in Pelzmänteln und mit opulenten, ausladenden Kopfbedeckungen lauthals mit dem Markgrafen. Die Schreie hinter der Kerkertür waren verstummt. Aila empfing Norbert mit dem Anflug eines Lächelns. Gemeinsam gingen sie zum Ausgang. Die Haltung der Wachen um Aila her entspannte sich.

      Von der Tribüne her donnerte die Stimme des Markgrafen: „Ich habe den Gilden die Erlaubnis gegeben, in meiner Stadt Gewerbe zu treiben! Jahrhunderte lang habt ihr euch an Marktgängern und an den Armen der Stadt bereichert. Für Naturkatastrophen kann ich nichts. Baut eure Zunftgassen selber wieder auf!“

      „Es ist die Pflicht des Landesherrn, die Stadt zu beschützen und erhalten!“ schrien die Ratsherren zurück. „Wozu zahlen wir Steuern? Wir senden ein Beschwerdeschreiben an den Kaiser, wenn Ihr Eurer Pflicht nicht nachkommt!“

      Im Burghof hängten Kriegsknechte den blutig Geschlagenen aus dem Gitterkarren an einen der Galgen auf der Richtstätte. Scharen von Krähen umflatterten den Galgen. Norbert beeilte sich, über den Burghof zu kommen, durchs Tor hinaus und den Karrenweg hinab, weg von dieser Burg, die ihm Abscheu einflößte. Bittere Wut gegen den Markgrafen tobte in seinem Innern. Verbissen marschierte er den Pflastersteig hinunter. Aila nahm er an seiner Seite kaum wahr.

      Erst auf halbem Weg den Burgfelsen hinab ließ die brennende Wut nach. Norbert verlangsamte seinen Schritt und atmete durch. Nach und nach klärten sich seine wirren Gedanken. Er hatte wieder nichts erreicht! Er hätte den wahnsinnigen Versuch der Geisteraustreibung im Haus der Hohenwarts gar nicht erst angehen müssen. Der Markgraf hätte ihm das Gold auch gestern schon gegeben. Und doch nützte es ihm nichts! Er hatte einen Haufen Geld, aber seine Träume und seine Zukunftspläne schienen unerfüllbar.

      Aila berührte ihn leicht an der Schulter. Überrascht stellte er fest, dass sie noch neben ihm herging. Er hatte sie vollkommen vergessen. Sie deutete stumm auf eine von einer gemauerten Brüstung umgebene Felszacke an der Außenseite des Pflastersteigs, die vielleicht einmal zur Verteidigung des Aufgangs zur Burg eingeebnet worden war.

      Aila und Norbert traten auf die Felszacke. Aila setzte