Thomas Hoffmann

Schatten der Anderwelt


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er Norberts verlegenen Blick sah.

      Und wieder konnte Norbert nur „danke“ murmeln.

      „Zu zweit werden wir oben auf der Burg keine Schwierigkeiten bekommen,“ erklärte die Bardin, während Gordon sich zu ihnen an den Tisch setzte.

      Norbert war froh, sich mit den Essen beschäftigen zu können. Er aß mit den Fingern und wischte sich zwischendurch Mund und Nase mit dem Handrücken.

      „Ich glaube eigentlich nicht, dass es Ärger geben wird,“ meinte die Bardin mit dieser sanften Stimme, die keinen Widerspruch duldete, „aber bei Grafen, Fürsten und Königen ist es besser, mit allem zu rechnen.“

      Norbert fand endlich seine Sprache wieder. Er ließ sich doch von dieser Frau nicht einschüchtern! Egal, wie bestimmt sie sagte, was sie meinte.

      Mit vollem Mund nuschelte er: „Du musst da nicht mit hinkommen. Ehrlich nicht. Ich komme schon irgendwie allein zurecht.“

      Sie wechselte einen Blick mit Gordon.

      Sanft antwortete sie: „Ich hatte sowieso entschieden, noch eine Weile in der Stadt zu bleiben. Da bietet es sich ja an, zusammen hinauf zu gehen.“

      Sie schaute ihn an, offen, vertrauensvoll und zugleich sicher und fest.

      „Du musst nicht alles alleine machen. Wir und alle, die zum freien Volk gehören, halten zueinander. Niemand von uns macht irgendwas im Alleingang, wenn es nicht absolut unumgänglich ist.“

      Norbert konnte ihren Blick nicht erwidern.

      „Ist schon in Ordnung,“ murmelte er. „Danke.“

      Dabei hatte er völlig andere Pläne gehabt. Es wurmte ihn, dass diese Frau ihm so rätselhaft war.

      Und jetzt schaute er sie doch trotzig an: „Und wie heißt du?“

      Sie schwieg kurz, bevor sie antwortete: „Sag Aila zu mir. Unten im Süden nennen sie mich Diana. Aber was bedeuten schon Namen.“

      „Ich kann auch Diana sagen, wenn du willst.“

      „Nein,“ entschied sie mit einem Blick auf Gordon. „Der Name passt hier nicht. Ich bin Aila, in Ordnung?“

      Norbert begriff nicht, warum Aila besser „hierher“ passen sollte, als Diana. Aber wenn sie es so wollte...!

      Er aß seinen Teller auf und trank das Bier. Dann stand er auf.

      „Ich gehe mein Schwert holen.“

      Ailas Gesicht zeigte einen Anflug von Lächeln: „Bis gleich.“

      Er nahm seine Lederjacke von der Stuhllehne, über die er sie am Abend zuvor gehängt hatte und stutzte überrascht.

      „Die Schulter ist geflickt! Und jemand hat die Jacke sauber gemacht!“

      Das Lächeln stand immer noch in Ailas sonst so ernstem Gesicht.

      „Eine Kleinigkeit. Das hab ich gestern noch nebenbei gemacht.“

      Norbert prüfte den stabil aufgenähten Lederflicken.

      „Wo hattest du das Leder her? Und das Werkzeug? Bei dem festen Rindsleder war das keine Kleinigkeit! Leder nähen ist echte Viecherei. Bei so steifem Leder erst recht!“

      „Ich hab nicht lange gebraucht,“ meinte sie nur.

      Norbert streifte die Jacke über. Zweifelnd sah er die hochgewachsene, schlanke Magierin an. Diese Frau wurde ihm immer unheimlicher. Mit unverstellter, sanfter Miene schaute sie zurück.

      Während er zur Flurtür ging, murmelte er: „Wenn ich auch mal was für dich tun kann, sag Bescheid.“

      „Alles in Ordnung. Mach dir keine Gedanken,“ war ihre Antwort.

      ***

      Als er in den Schankraum zurückkam, standen Aila und Gordon an der Eingangstür im Gespräch zusammen.

      „Es ist meine Aufgabe,“ sagte sie zu Gordon. „Aus diesem Grund sind wir hier, du und ich.“

      Sie brachen ihr Gespräch ab und blickten Norbert entgegen. Überrascht stellte Norbert fest, dass Aila einen aufgespannten, großen Jagdbogen und einen Köcher mit Pfeilen über der Schulter trug. Er trat zu den beiden.

      „Wenn du willst, können wir rauf gehen zur Burg,“ meinte er zu Aila.

      Es hörte sich gröber an, als er gewollt hatte. Aila nickte nur. Gordon und sie wechselten noch einen Blick und Norbert und Aila traten zur Tür hinaus.

      Auf der Mauergasse standen Frauen und Männer in schäbigen, geflickten Kleidern und Kitteln zusammen. Die Anwohner aus den Baracken um den Steinbau des Gasthofs zum schwarzen Raben steckten die Köpfe zusammen und schimpften erregt über irgendwelche Neuigkeiten. In Lumpen gekleidete Kinder balgten miteinander oder zerrten weinend an den Röcken ihrer Mütter.

      Aila und Norbert bahnten sich ihren Weg durch die aufgebrachten Gruppen von Anwohnern des Armenviertels. Es war kühl. Die Luft war feucht von winzigen Tröpfchen, die ab und zu aus der grauen Wolkendecke nieselten. Aila ging weit ausschreitend mit federnden Schritten. Sie bewegte sich geschmeidig und aufrecht. Fast schien es, als würden ihre schlanken Stiefel den Boden kaum berühren. Norbert warf einen Blick auf ihren Bogen und Köcher.

      „Du bist Jägerin!“

      „Ja,“ sagte sie einfach und schaute ihn mit hellen, ernsten Augen an. „Du bist auch ein Jäger, Norbert. Das habe ich sofort gesehen.“

      „Wie kann man mir das ansehen?“ wunderte sich Norbert.

      „Andere sehen es dir wohl nicht an,“ meinte sie nüchtern. „Aber ich habe es gleich erkannt.“

      Warum war diese Frau so seltsam? Sie verwendete keine Fremdwörter einer Gelehrtensprache, wie Anton Dreyfuß es getan hatte, und dennoch verstand Norbert oft nicht, was sie sagte.

      Er blickte ihr direkt ins Gesicht: „Du siehst mehr als andere, nicht wahr?“

      „Ja,“ war ihre Antwort. „Ich möchte nicht, dass du darüber sprichst. Zu mir nicht und nicht zu anderen.“

      Norbert war keinen Deut schlauer.

      „Du bist eine Elbin, nicht wahr?“ startete er einen neuen Versuch.

      „Ich bin eine Tochter Landorlins.“

      Norbert nahm es als Bestätigung.

      Auf dem freien Platz um einen Brunnen drängte sich in Lumpen gekleidetes Stadtvolk um einen Fähnrich, der von zwei Kriegsknechten flankiert wurde. Die Knechte umklammerten ihre aufgepflanzten Piken nervös mit den Fäusten. Die stoppelbärtigen Männer in speckigen Lederrüstungen blickten grimmig in die Menge.

      „Blutsauger, Hundsfötte,“ schrien einzelne Frauenstimmen in der Menge. „Geht in die Oberstadt! Die reichen Wänste haben Platz und Fressen genug in ihren Häusern!“

      „Im Namen des Markgrafen Lothar!“ brüllte der Fähnrich mit Donnerstimme. „Ich lasse jeden in den Block schließen, der den Erlass nicht ausführt. Und wenn ich ganze Gassen lang reihenweise Blöcke aufstellen muss! Jeder von euch nimmt in seinem Haus eine Familie der Ausgebrannten auf! Jeder einzelne Haushalt! Ihr öffnet eure Türen den Notleidenden oder ich lasse euch zu Krüppeln peitschen!“

      „Ich habe nicht genug Platz für meine acht Kinder in dem einen Raum, geschweige denn genug zu essen. Wo soll da noch eine Sippe hungriger Mäuler hin?“ schrie eine hagere Frau, der das graue Haar in Strähnen ins Gesicht hing.

      „Soll der Markgraf sie auf die Burg nehmen,“ kreischte eine andere. „Soll er sie in seiner Halle durchfüttern!“

      Aila und Norbert drängten sich am Rand des Platzes durch die Menge.

      „Jetzt fluchen sie sich die Stimmen heiser,“ meinte Aila, „aber noch heute werden sie tun, was der Markgraf ihnen befiehlt. Sie sehen nicht, dass die Markgrafenknechte und ihre Hauptleute Angst vor ihnen haben.