Irene Dorfner

ENDSTATION


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      „Ich werde Sie anrufen.“ Josef steckte den Umschlag, ohne nachzusehen, ein.

      Brigitte stand auf, öffnete ihm die Tür und sperrte sofort wieder zu. Josef war verschwunden und Brigitte blieb zurück. Sie sah aus dem Fenster und beobachtete, wie der Mann wegfuhr. Sie war völlig durcheinander und goss sich mit zitternden Händen ein großes Glas Whiskey ein, den sie eigentlich für besondere Kunden parat hielt. Dann griff sie zum Telefon und wählte die Nummer eines Mandanten, der ihr zu großem Dank verpflichtet war: Vincent Neuberger.

      „Wie zuverlässig ist Josef?“

      „Was ist passiert?“ Neuberger spürte sofort, dass etwas geschehen sein musste. Die Stimme seiner Anwältin sprach Bände.

      „Die Sache läuft völlig aus dem Ruder. Josef hat versprochen, sich um mein Problem zu kümmern. Sie haben mir den Mann empfohlen und scheinen ihn gut zu kennen. Wie zuverlässig ist er?“

      „Bleiben Sie ruhig, Frau Anwältin. Wenn Josef sagt, dass er das erledigt, dann ist das so. Ich habe ihn nicht umsonst wärmstens empfohlen.“ Neuberger legte auf. Was war da los?

      Brigitte trank nach dem Telefonat einen weiteren Whiskey. Sie nahm das Diktiergerät aus der Schublade und schaltete es ein. Dann wählte sie Martlmüllers Nummer, schaltete den Lautsprecher ein und erklärte ihm alles.

      „Du weißt, was das heißt? Uwe könnte jeden Augenblick auftauchen und unser beider Leben vernichten. Hast du gesagt, dass es besser wäre, wenn Uwe nicht mehr auftaucht? Hast du ihm klargemacht, dass er ihn töten muss?“

      „Ja, ich habe ihm gesagt, was du von mir verlangt hast. Ich habe ihm eine größere Summe gegeben. Dir ist klar, dass du dich daran beteiligen musst?“

      „Das versteht sich von selbst. Ich bin dir sehr dankbar und werde mich über die Beteiligung hinaus für deine Arbeit erkenntlich zeigen, Brigitte. Vielen Dank.“

      „Das hoffe ich sehr.“ Brigitte legte wütend auf. Sie war sauer auf Kilian, der nur meckerte und Ansprüche stellte, während sie sich um einen zwielichtigen Typen und auch um den Computerspezialisten namens Sven kümmern musste.

      Brigitte Dickmann schaltete das Diktiergerät aus. Das war ihre Absicherung, falls Martlmüller irgendwann kalte Füße bekäme. Wenn er auch nur andeuten sollte, dass das alles nur auf ihrem Mist gewachsen sei, würde die Aufnahme umgehend der Polizei übergeben werden. Sie steckte das Gerät in einen Luftpolsterumschlag und schrieb ein paar Zeilen dazu. Dann rief sie eine Kollegin in Frankfurt an, die zusammen mit ihr studiert hatte und mit der sie sich die Studentenbude geteilt hatte. Conny Mahnstein war eine der wenigen Personen, denen sie blind vertraute.

      „Ich schicke dir einen Umschlag zu, den du bitte sicher verwahrst. Bitte sieh nicht hinein. Kann ich mich auf dich verlassen, Conny?“

      „Selbstverständlich, du kennst mich doch. Bist du in Schwierigkeiten?“

      „Das weiß ich noch nicht. Wenn ich dich darum bitte, schickst du mir den Umschlag einfach wieder zu. Sollte mir etwas zustoßen, übergibst du den Umschlag der Polizei. Machst du das für mich?“

      „Klar. Muss ich mir Sorgen machen?“

      „Nein. Ich möchte mich nur absichern. Vielen Dank, Conny.“

      „Gerne. Tue mir den Gefallen und pass bitte auf dich auf.“ Conny Mahnstein lehnte sich mit einem Seufzer zurück. Auf was hatte sich ihre alte Freundin Brigitte eingelassen?

      Nach einem weiteren Glas Whiskey brachte Brigitte Dickmann den Umschlag persönlich zur Post. Jetzt ging es ihr besser. Kilian konnte sich in der Sache nicht mehr aus der Affäre ziehen. Sollte ihnen die Polizei auf die Spur kommen, würde sie nicht allein alles auf sich nehmen. Dass die ganze Geschichte völlig schief lief, war ihr nach dem Gespräch mit Josef klargeworden. Inständig hoffte sie darauf, dass doch noch alles gutgehen würde. Warum auch nicht? Bis jetzt war sie immer mit Glück gesegnet gewesen und sie hoffte weiterhin darauf.

      „Wo bleibt dieser Sekretär?“, maulte Hans, der immer wieder aus dem Fenster sah. Er hatte für heute Abend eine Verabredung und dachte überhaupt nicht daran, diese sausen zu lassen.

      „Keine Ahnung. Er hätte schon vor Stunden hier sein müssen“, murmelte Viktoria, die sich nach anfänglichem Ärger langsam Sorgen machte.

      „Ich habe auch noch ein Privatleben. Wenn ihr erlaubt, würde ich mich gerne für heute verabschieden.“

      Viktoria lehnte ab, worüber Hans sauer war. Er rief seine Verabredung an und vertröstete sie auf später. Vielleicht tauchte dieser Mohr doch noch auf. Werner war längst nach Hause gegangen. Er war der Einzige mit Familie und wurde zuhause gebraucht. Außerdem mussten sie nicht alle wegen Tobias Mohr Überstunden machen.

      Das Klingeln des Telefons durchbrach die eingetretene Stille. Leo ging ran. Das, was ihm mitgeteilt wurde, verschlug ihm die Sprache. Erschrocken legte er auf und sah seine Kollegen an.

      „Das war München. Tobias Mohr wurde in seinem Wagen tot aufgefunden. Er wurde erschossen.“

      5.

      Hans hatte darauf verzichtet, zum Tatort nach München zu fahren. Zwischen ihm und Leo gab es deshalb einen erbitterten Streit, denn der wollte ebenfalls nicht. Nicht, weil es ihn nicht interessierte, ganz im Gegenteil, sondern weil er dann schon wieder mit Viktoria allein wäre. Hans war das gleichgültig.

      „Das ist kein Wunschkonzert und kein Kindergarten.“, maulte Hans und nahm seine Jacke. „Bereinigt endlich eure Unstimmigkeiten.“, sagte er an beide gerichtet. „Solltet ihr das nicht zeitnah hinbekommen, werde ich mich versetzen lassen. Seit Wochen macht es mir keinen Spaß mehr, zur Arbeit zu gehen, weil ihr beide das Klima versaut.“

      „Jetzt übertreib bitte nicht“, beschwichtigte Viktoria, die Hans noch nie so wütend gesehen hatte.

      „Ich übertreibe? Frag doch Werner und alle anderen Kollegen. Uns geht euer Verhalten tierisch auf die Nerven. Klärt das endlich wie Erwachsene!“ Hans nahm seine Jacke und ging einfach. Ob die Standpauke etwas nützte? Er glaubte nicht daran, denn Viktoria und Leo hatten beide einen fürchterlichen Dickschädel.

      Minutenlang war es still im Büro. Viktoria wusste nicht, was sie sagen sollte. Leo ging es ähnlich. Aber keiner von ihnen wollte nachgeben.

      Schließlich nahm Leo die Ermittlungsunterlagen.

      „Gehen wir?“

      Viktoria nickte und stöhnte auf. Es war ihr klar, dass die bevorstehende Fahrt schrecklich werden würde.

      Erst im Wagen bemerkte Leo, dass er seine Jacke vergessen hatte. Sollte er nochmals zurückgehen? Nein, das hätte er Viktoria erklären müssen und darauf hatte er keine Lust. Auch heute war es wieder sehr warm gewesen, was alle nach dem furchtbar langen und kalten Winter sehr genossen. Leo verzichtete großzügig auf seine Jacke, im Wagen brauchte er sowieso keine. Schweigend fuhren die beiden nach München. Irgendwann schaltete Leo das Radio an und drehte den Lautstärkeregler hoch. So war die Fahrt einigermaßen zu ertragen – für beide. In München musste Leo das Radio leiser drehen, sonst hätte er das Navi nicht verstanden. In dem Gewusel der Innenstadt, in der auch zu der späten Stunde immer noch sehr viel Verkehr herrschte, fand er sich bald nicht mehr zurecht. Er wurde nervös und fuhr lieber langsam, was andere Verkehrsteilnehmer nervte. Sie begannen zu hupen, was Leo nur noch unruhiger machte. Natürlich bemerkte Viktoria seine Unsicherheit, was ihn kräftig wurmte. Dann standen sie plötzlich vor dem kleinen Parkplatz in der Marienstraße. Leo wunderte sich. Wie hatte er das geschafft? Als er ausstieg, schlug ihm die Kälte entgegen. Die Sonne war längst weg und jetzt war es, nur mit einem T-Shirt bekleidet, empfindlich kalt. Leo konnte daran nun auch nichts mehr ändern und riss sich zusammen. Vor Viktoria durfte er keine Schwäche zeigen.

      Mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei parkten kreuz und quer, der Tatort war weiträumig abgesperrt. Leo stellte seinen Wagen einfach dazu. Sie wiesen sich aus und gelangten schließlich bis zur Leiche von Tobias Mohr, die immer noch im Wagen lag. Keiner