Irene Dorfner

ENDSTATION


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Name ist Wattenberger, Kripo München“, kam ein Mann auf sie zu. „Sie sind die Kollegen aus Mühldorf?“

      „Richtig. Mein Name ist Untermaier, das ist der Kollege Schwartz.“

      „Wir haben auf Sie gewartet und alles so belassen, damit Sie einen persönlichen Eindruck bekommen. Der Schuss wurde aus unmittelbarer Nähe abgefeuert, das Geschoss ist ausgetreten und landete in der Türverkleidung der Beifahrertür. Die Ballistiker sind bereits dabei, es zu untersuchen. Es gibt keine Zeugen und nicht den kleinsten Hinweis auf den Täter oder die Täterin. Wir haben die Nachbarn und alle greifbaren Passanten bereits befragt.“

      Viktoria hielt die Ermittlungsakte Esterbauer in Händen und wollte den Kollegen Wattenberger informieren. Der aber lehnte dankend ab.

      „Sie sind dafür zuständig, die Leiche und der Fall gehören Ihnen. Ich bin nicht böse darüber, einen Fall weniger bearbeiten zu dürfen. Wir sind krankheitsbedingt unterbesetzt und ersticken in Arbeit.“, fügte er erklärend hinzu. Dass er von Fällen, die auch nur im Entferntesten mit Politik zu tun hatten, lieber die Finger ließ, behielt er für sich. Solche Fälle brachten nur unnötigen Ärger mit sich, auf den er gerne verzichten konnte.

      „Darf ich?“, fragte Leo und zeigte auf den Wagen des Toten.

      „Bitte gern, die Spurensicherung ist fertig.“

      Obwohl sich Leo vor der Leiche grauste, riss er sich zusammen und durchsuchte den Wagen. Natürlich nicht, ohne vorher Handschuhe angezogen zu haben. Peinlich genau sah er in jeden Winkel des Mittelklassewagens. Dann ging er wieder zu Wattenberger.

      „Hatte der Tote etwas Persönliches bei sich? Handy? Geldbeutel? Aktentasche? Laptop?“

      Wattenberger hielt ihm einen Beutel vor die Nase.

      „Handy und Geldbeutel hatte er in der inneren Brusttasche seines Jacketts, den Schlüsselbund fanden wir im Fußraum der Beifahrerseite. Eine Aktentasche oder einen Laptop haben wir nicht gefunden. Vielleicht ist beides noch bei ihm zuhause? Laut dem Personalausweis ist er in Mühldorf gemeldet.“

      „Das wissen wir. Trotzdem ist es seltsam, dass er keine Unterlagen oder eine Tasche bei sich hatte. Er war beruflich in München.“

      „Vielleicht ist der Tote einer, der alles in seinem Handy speichert.“ Wattenberger drängte darauf, dass Leo den Beutel an sich nahm. Für ihn war der Fall hiermit abgegeben und er hatte endlich Feierabend. „Den Bericht der Ballistik schicke ich Ihnen zu. Ich habe veranlasst, dass die Leiche in die Pathologie gebracht wird. Es ist hinterlegt, dass Sie für den Fall verantwortlich sind. Ich wünsche Ihnen viel Glück.“

      Viktoria und Leo sahen dem Mann hinterher. Als er davonfuhr, wurde die Leiche abtransportiert und der Wagen sichergestellt. Einer der Polizisten drückte Leo einen Lieferschein in die Hand.

      „Sie finden den Wagen an dieser Adresse“, sagte er und verschwand.

      Es dauerte nicht lange, und nur noch Leo und Viktoria waren vor Ort, alle anderen waren verschwunden, auch die Schaulustigen. Leo hatte immer noch Handschuhe an und nahm den Personalausweis des Toten aus der Brieftasche.

      „Und? Wo ist er geboren?“

      „München. Durch Mohrs Tod haben wir jetzt wenigstens die Erlaubnis, in seinem Leben wühlen zu dürfen. Ich bin gespannt, was wir finden werden.“ Leo zitterte, er fror entsetzlich. Inzwischen hatte er es längst bereut, seine Jacke doch nicht mitgenommen zu haben.

      „Fahren wir nach Mühldorf zurück. Wenn du erlaubst, möchte ich für heute Schluss machen. Mohrs Leben können wir auch morgen noch zerpflücken.“, sagte Viktoria und stieg in den Wagen. Sie konnte es kaum erwarten, ihren Kollegen endlich loszuwerden. Die Polizei war darüber informiert, dass Mohr unverheiratet war. Zumindest wurde ihnen wenigstens die Überbringung der Todesnachricht erspart.

      Leo stimmte sofort zu und startete den Wagen. Er war sehr froh darüber, als die Heizung ansprang und die wohlige Wärme sich langsam ausbreitete. Viktoria zog irgendwann demonstrativ ihre Jacke aus, aber das war ihm egal. Hauptsache, ihm war nicht mehr kalt.

      Die Kripobeamten waren bei ihrer Arbeit aus sicherer Entfernung beobachtet worden. Josef hatte nach Mohr gesucht, den entscheidenden Hinweis bekam er von einer geschwätzigen Mitarbeiterin des Mühldorfer Parteibüros. Sie hatte ausgeplaudert, wo Mohr einen Termin hatte. Er fuhr zu der genannten Adresse und brauchte nur zu warten. Als Mohr auftauchte, ging der schnurstracks zu seinem Wagen, den er hier geparkt hatte. Mohr war stur geblieben und hatte sich geweigert, auch nur ein einziges Wort über seinen Arbeitgeber Esterbauer oder die Unterlagen zu sagen. Er wiederholte ständig, dass er von nichts wusste, aber Josef sah ihm an, dass er log. Ja, der Mann wusste Bescheid, er konnte ihm nichts vormachen. Die Situation geriet völlig außer Kontrolle. Es gab ein kurzes Handgemenge, bei dem sich ein Schuss löste. Das war nicht beabsichtigt gewesen, denn tot nutzte ihm der Mann nichts. Aber an dieser Situation konnte man nichts mehr ändern. Mohr war tot und er hatte keine Ahnung, wo er nach Esterbauer und den Unterlagen suchen sollte. Josef nahm die Aktentasche an sich. Dann platzierte er den Toten auf dem Fahrersitz. Den Schlüsselbund, der auf den Boden gefallen war, warf er achtlos in den Wagen. Gerade, als er den Wagen durchsuchen wollte, tauchten schwatzende Passanten auf. Er zog sich zurück und wartete. Es dauerte nicht lange, bis die Leiche entdeckt wurde. Verdammt! Er hätte sich zu gerne den Wagen noch vorgenommen. Dafür war es zu spät, die Polizei tauchte nach wenigen Minuten auf. So ein verdammter Mist!

      Während die Polizei vor Ort war, durchsuchte er die Aktentasche des Toten. Hierin war nichts, was ihm nutzte. Einen Laptop fand er nicht, auch von einem Handy war nichts zu sehen. Verdammter Mist! Er hätte mehr Zeit gebraucht. Ihm blieb nur, sich in Mohrs Privaträumen und in den Büros von Esterbauer und Mohr umzusehen. Seine Auftraggeberin hatte bereits in deren Schreibtische danach gesucht und versichert, dass dort nichts zu finden sei, aber er wollte sich lieber persönlich davon überzeugen. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel. Er hatte von Frau Dickmann zwar eine stattliche Summe kassiert, aber die war für seinen Lebensstil einfach zu gering. Er war auf die Restzahlung nach Auftragsabschluss angewiesen.

      Er beobachtete aus sicherer Entfernung und im Schutze der Schaulustigen die Arbeit der Polizei. Wer würde den Fall übernehmen? Er war überrascht, als er die Kripo-Beamten der Mühldorfer Polizei erkannte. Der lange, dünne war derjenige, in dessen Armen die Esterbauer starb. Sie haben sich also des Falls angenommen, auch wenn der Mord in München geschah - interessant. Das war für Josef geradezu ideal, denn er hielt nicht viel von der Mühldorfer Polizei, da diese in seinen Augen nicht viel taugte. Seit einigen Jahren wurde nach ihm gesucht und doch lebte und arbeitete er direkt vor deren Nase völlig unbehelligt.

      Die Mühldorfer Kripobeamten fuhren los, nachdem sich die Münchner Kollegen schon längst verabschiedet hatten. Josef zögerte. Sollte er sofort nach Mühldorf fahren und sich dort umsehen? Nein, dafür war noch die ganze Nacht Zeit. Er wartete, bis die Mühldorfer Polizisten außer Sichtweite waren, und folgte dem Lastwagen, auf dem Mohrs Wagen aufgeladen wurde. Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit, sich darin in Ruhe umzusehen.

      Josef fluchte, als er sah, dass der Wagen in die Halle einer Polizeistation gebracht wurde, in der auch zu dieser Stunde noch jede Menge Betrieb herrschte. Verdammt! Den Wagen konnte er vergessen. Er gab Gas und fuhr nach Mühldorf.

      Als Viktoria nach einer abermals schweigsamen Rückfahrt endlich erleichtert vor ihrem Wagen auf dem Parkplatz der Polizeiinspektion stand, dachte sie nicht daran, in ihre Pension zu fahren, wo sie während ihres Aufenthalts in Mühldorf untergekommen war. Sie fuhr zu Mohrs Adresse und wollte sich dort in Ruhe umsehen. Vielleicht fand sie etwas aus seinem Vorleben oder einen Hinweis auf seinen Mörder.

      Viktoria kannte das Haus, in dem Mohr gewohnt hatte. Eine hübsche Wohngegend, in der die Polizei nicht viel zu tun hatte. Sie blickte an dem viergeschossigen Gebäude nach oben. Dort oben links musste Mohrs Wohnung sein. Sie lag im Dunkeln, wie die anderen Wohnungen auch. Das war insofern nicht verwunderlich, weil es schon weit nach Mitternacht war. Leo hatte den Hausschlüssel, also musste sie sich irgendwie Zugang zum Haus und zur Wohnung verschaffen. Die Haustür war eine Kleinigkeit, die hatte sie mit Hilfe einer ihrer vielen