Irene Dorfner

ENDSTATION


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mehr darüber nachdachte.

      „Der Verlust Ihres Jobs hätte Ihnen also tatsächlich nicht viel ausgemacht?“, fragte Viktoria.

      „Nein. Jobs in Haushalten gibt es wie Sand am Meer. Ich bin sauber, ordentlich und zuverlässig. Leute wie ich werden gesucht, glauben Sie mir. Außerdem hätte ich sowieso in naher Zukunft gekündigt, denn ich bin echt nicht scharf darauf, ständig von irgendwelchen Security-Leuten überprüft zu werden oder mein Gesicht in Klatschzeitungen zu finden. Nein, danke, darauf kann ich gerne verzichten. Meine wilden Jahre sind längst vorbei, heute mag ich es eher ruhig.“

      „Ist Ihnen in letzter Zeit irgendetwas Außergewöhnliches aufgefallen? Gab es Streit, waren Fremde im Haus, verdächtige Post oder dergleichen?“

      „Nein, nicht, dass ich wüsste. Aber das heißt nichts. Ich interessiere mich nicht für meine Arbeitgeber, ich habe mit meinem eigenen Leben genug zu tun. Ich will einfach nur arbeiten und meine Kohle pünktlich kassieren, mehr nicht.“ Grete Hofer sah auf die Uhr. „Sind wir fertig? In zwei Stunden kommt mein Sohn nach Hause, und der möchte gerne sein Mittagessen pünktlich auf dem Tisch haben.“

      „Eine Frage habe ich noch.“, sagte Leo, der von der herzerfrischenden Art der Frau begeistert war. „Nach den Unterlagen werden Sie fünf Tage die Woche beschäftigt. Warum waren Sie heute nicht hier?“

      „Frau Esterbauer hat mir freigegeben.“

      „Warum?“

      „Ich habe nicht nach dem Grund gefragt, sondern habe den freien Tag gerne genommen.“

      „Kam das oft vor?“

      „Nein, eigentlich nicht. War es das jetzt? Ich muss los, das Essen macht sich nicht von allein.“

      Leo und Viktoria sahen der jungen Frau hinterher.

      „Das mit dem freien Tag ist sehr interessant.“, sagte Leo.

      „Stimmt. Hast du gesehen, dass sie ein relativ neues E-Bike fährt?“

      „Selbstverständlich. Diese Fahrräder kosten ein Vermögen. Wir sollten uns näher mit Grete Hofer beschäftigen, auch wenn ich einen guten Eindruck von ihr habe. Sie geht mit dem Tod ihrer Arbeitgeberin für meine Begriffe zu teilnahmslos um. Und der Gärtner gefällt mir auch nicht. Den scheint das Schicksal seiner Kunden auch wenig zu interessieren. Lass uns ins Präsidium fahren, vielleicht ist der Herr Sekretär schon eingetroffen.“

      „Ich befürchte, dass wir zuerst mit Krohmer sprechen müssen. Er hat sicher schon mitbekommen, um wen es sich bei der Toten handelt.“

      2.

      Rudolf Krohmer war geschockt, als er von Hiebler und Grössert die Identität der Toten erfuhr. Selbstverständlich sagte ihm der Name Uwe Esterbauer etwas, er kannte ihn sogar persönlich. Dessen Frau kannte er zwar nur vom Sehen, trotzdem traf ihn deren Tod. Der ehrgeizige Politiker Esterbauer war nicht sein Favorit bei den bevorstehenden Wahlen, aber er bewunderte dessen Eifer und den Einsatz für die noch recht junge Partei. Esterbauer zog erst vor zwei Jahren von München nach Mühldorf und pendelte davor ein Jahr zwischen den beiden Städten täglich hin und her. Als er im letzten Jahr Spitzenkandidat der Bürgerpartei Bayern wurde, kündigte er seinen Job und setzte für die Partei alles auf eine Karte. Jetzt schien er kurz vor dem Ziel zu sein, denn die Wahlprognosen standen nicht schlecht.

      Heiderose Esterbauer war also tot, ermordet direkt vor seiner Polizeistation. Das war schrecklich und löste mit Sicherheit einen Skandal aus. Er konnte die Vorwürfe der Presse bereits hören. Aber das war nicht wichtig. Uwe Esterbauer war verschwunden. In seinem Haus wurden Blutspuren gefunden. Was war da los? Krohmer brauchte mehr Informationen, Grössert und Hiebler wussten allerdings auch nichts. Wo blieben Untermaier und Schwartz? Er sah immer wieder nervös aus dem Fenster. Auf das ununterbrochene Klingeln des Telefons reagierte er nicht mehr. Frau Esterbauers Tod hatte sich herumgesprochen, das war klar. Irgendjemand hatte wieder mal nicht den Mund halten können! Krohmer hatte den Bürgermeister und den Parteivorsitzenden der Bürgerpartei Bayern, Kilian Martlmüller, informiert, das musste vorerst reichen. Das ständige Läuten des Telefons machte Krohmer wütend. Warum hatte er gerade in dieser Woche seiner Sekretärin Urlaub gegeben? Er konnte sie nicht zurückbeordern, sie befand sich seit gestern auf einem Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer. Wie sollte er die bevorstehende Arbeit ohne Hilfe bewältigen? Bis er vom Innenministerium eine Hilfe bewilligt und zugewiesen bekäme, würde er unnötig Zeit verlieren. Und wenn er daran dachte, dass diese auch noch eingearbeitet werden musste, war seine Sekretärin längst aus dem Urlaub zurück. Während er wartend am Fenster stand, zermarterte er sich den Kopf, wie er dieses Problem aus der Welt schaffen konnte. Dann hatte er endlich die zündende Idee: Was war mit seiner alten Sekretärin Hilde Gutbrod? Sie kannte sich aus und er vertraute ihr, obwohl sie mit ihrer Neugier oft übers Ziel hinausgeschossen war. Hatte sie trotz ihres Pflegekindes überhaupt Zeit? Er musste diese Möglichkeit zumindest versuchen.

      Die vierundsechzigjährige Hilde Gutbrod erkannte die Telefonnummer auf ihrem Display sofort.

      „Hallo, Chef. Wo brennt’s?“, begrüßte sie ihn.

      „Ich mache es kurz. Wir haben einen Mordfall, der eventuell mit einer Entführung zusammenhängt. Ich habe im Moment keine Sekretärin. Sie ist im Urlaub und kommt erst in zwei Wochen zurück. Sie können sich sicher vorstellen, dass hier die Hölle los ist. Also: Hätten Sie Zeit und Interesse, den Job kurzfristig zu übernehmen?“

      „Ich bin gerührt, Chef. Selbstverständlich können Sie auf mich zählen, ich bin quasi unterwegs.“

      „Was ist mit Martin?“

      „Der ist seit einigen Wochen in einer Ausbildungsstätte untergebracht und kommt nur übers Wochenende nach Hause. Martin macht eine Ausbildung zum Feinmechaniker, er ist sehr geschickt darin und die Arbeit macht ihm Spaß. – Geht es um den Mord an Frau Esterbauer?“

      „Woher wissen Sie das denn schon wieder?“, lachte Krohmer. Wie früher auch entging der Frau nichts.

      „Ich habe meine Quellen. Bis gleich, Chef.“

      Hilde Gutbrod langweilte sich nicht wirklich. Sie hatte ein Pflegekind, um das sie sich rührend kümmerte. Aber Martin war unter der Woche in der Schule, jetzt machte er sogar schon eine Ausbildung. Wie schnell doch die Zeit verging. Nicht mehr lange, und Martin brauchte sie überhaupt nicht mehr, aber daran wollte sie nicht denken. Seit Frau Gutbrod pensioniert war, hatte sie Frauen und Männer unterschiedlichen Alters kennengelernt, mit denen sie Sport machte und sich gelegentlich auf ein Glas Sekt traf. Darüber hinaus hatte sie genug mit ihrer Nichte Karin zu tun, die trotz der vielen Verkupplungsversuche immer noch keinen Mann gefunden hatte. Die Zeit drängte, denn Karin war nicht mehr die Jüngste, die biologische Uhr tickte schon sehr, sehr laut. Heute Nachmittag war sie mit ihrer Nichte verabredet, aber jetzt musste sie ihr leider absagen. Das Telefonat war tränenreich, denn Karin hatte wieder einmal Liebeskummer. Nachdem Frau Gutbrod mehrmals versuchte, ihr zu erklären, warum sie nicht kommen konnte, legte sie einfach auf. Krohmer und die ehemaligen Kollegen warteten bestimmt schon auf sie. Von der toten Frau Esterbauer hatte sie bereits von ihrer Nachbarin erfahren, von der geschwätzigen Else, die stets erstaunlich gut informiert war. Aber von welcher Entführung sprach Krohmer? Davon hatte Else kein einziges Wort erwähnt.

      Die Fahrt ins Büro war für Leo und auch für Viktoria ätzend. Niemand wollte mit dem anderen sprechen, also fuhren sie schweigend.

      Krohmer kam den beiden entgegen. Er war gespannt darauf, ob es neue Erkenntnisse gab. Als Krohmer noch im Flur der Polizeiinspektion von dem fehlenden Teppich erfuhr, wurde ihm schlecht. Das deutete darauf hin, dass Esterbauer vermutlich nicht mehr am Leben war. Das wäre eine Katastrophe! Im Besprechungszimmer wiederholten Viktoria und Leo das Gespräch mit der Haushälterin.

      „Gut, nehmen Sie die Frau und den Gärtner auseinander. Noch etwas?“

      „In Esterbauers Unterlagen habe ich bisher nichts Auffälliges gefunden“, sagte Werner mit Blick auf Hans. „Wenn ich Hilfe gehabt hätte, wären wir vielleicht schon zur Hälfte durch.“