Christian Leukermoser

Purgatory - Wiedergeburt


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Sir.«

      »Begleiten Sie mich zur Pressekonferenz. Und bringen Sie ein Bild mit.«

      Damit verließ Lyle den Raum und trat in den Verbindungsgang, der von mehreren Sicherheitsleuten bewacht wurde. Assistenten des Doktors fotografierten die neue Aaliyah Dearing. Noch ehe Lyle den Labortrakt verlassen hatte und sich in einem Expresslift nach oben befand, erhielt er das Foto auf seinem Kommunikator.

      Lyle war angespannt, als er den Raum betrat. Er war bis auf den letzten Platz mit Reportern und Kameraleuten gefüllt, die im gleichen Augenblick alle verstummten.

      Gespannte Blicke ruhten auf ihm, als er langsam zu dem kleinen Podest ging und sich dahinter in Stellung brachte.

      »Guten Tag, meine Damen und Herren«, begann er leise, »Ich denke, eine Vorstellung meinerseits ist nicht mehr notwendig. Für alle, die mich dennoch nicht kennen sollten: Mein Name ist Stephen J. Lyle, Vorstandsvorsitzender und Hauptaktionär der PHIMA.

      Üblicherweise würden unsere Pressesprecher einen solchen Termin wahrnehmen, aber heute bin ich Ihr Ansprechpartner.

      Gestern begannen wir mit der Öffnung und der Übertragung von Daten aus der Blackbox von Lieutenant Aaliyah Dearing. Eigentlich hatten wir geplant, sie und ihre Kollegen live über dieses Ereignis berichten zu lassen, doch leider gab es einige Komplikationen.«

      »Sie haben uns ohne ein Wort aus dem Gebäude werfen lassen!«, warf eine Frau ein.

      Nur durch seine Selbstbeherrschung konnte Lyle verhindern, dass sich das festgefrorene Lächeln auf seinem Gesicht veränderte. Die Frau war Amanda Wilks, ihres Zeichens Reporterin und eine der mächtigsten Pressevertreterinnen im operativen Geschäft.

      Ihr hatte er es zu verdanken, dass die Widerständler auf dem Mars gute Publicity erhielten, als sie über die Zustände in den Minen der PHIMA berichtete, wo sie sich unter falschem Namen und verkleidet als Arbeiterin hatte anheuern lassen.

      Dieser Bericht hatte ihr nicht nur einen Pulitzerpreis auf der Erde, sondern auch noch neun weitere Pressepreise auf verschiedenen anderen Planeten beschert. Seither wurde sie von der PHIMA immer als erste Journalistin geladen und bevorzugt behandelt. Dennoch blieb sie eine äußerst unangenehme Person.

      »Miss Wilks«, sagte Lyle ruhig, »Leider gab es unvorhergesehene Komplikationen bei der Implementierung der Daten aus der Blackbox. Das führte zu einem Sicherheitsrisiko. Das konzerninterne Standardvorgehen bei derartigen Vorfällen ist, die Kommunikation nach außen zu unterbrechen, bis die Situation bereinigt ist.

      Sie und Ihre Kollegen wurden daher aus der Gefahrenzone entfernt und Ihre Verbindungen zu den Sendeanstalten gekappt. Dafür möchte ich mich entschuldigen, doch Sie müssen verstehen, dass unser Personal im Umgang mit solchen Unvorhersehbarkeiten geschult ist und entsprechend reagierte. Ungeachtet Ihres Status als Pressevertreter und unserer Zusicherung, dass Sie die letzten Schritte des Projekts live übertragen dürfen.«

      »Welcher Vorfall rechtfertigt ein derart rigoroses Vorgehen?«, fragte sie mit einem verschmitzten Lächeln.

      »Ich werde die Fragen gerne beantworten, wenn Sie aufhören mich zu unterbrechen«, antwortete Lyle schnippisch, und hatte die Lacher der restlichen Reporter auf seiner Seite.

      »Also«, fuhr er fort, »Während des Downloads der Daten aus der Blackbox in das Gehirn des Klons gab es unerwartete Komplikationen. Für genauere technische Details wenden sie sich bitte nach der Pressekonferenz an Doktor Ravindran Simhan hier zu meiner Rechten. Er wird es, falls gewünscht, detaillierter ausführen, als ich es kann.

      Mit Öffnung der Blackbox und dem Start der Übertragung setzte sich im Gehirn des Klons eine Abwehrreaktion in Gang. Das Gehirn wehrte sich gegen die fremden Daten und behandelte sie wie eindringende Fremdkörper.

      Wir hatten eine solche Reaktion erwartet, aber leider nicht mit der Heftigkeit gerechnet. Üblicherweise gibt ein Gehirn nach wenigen Minuten den Widerstand auf und akzeptiert die zu übertragenden Daten ohne Probleme. Doch Dearings Gehirn kämpfte dagegen an, bis es schließlich zu einer Überlastung der Nervenbahnen kam.

      Das Gehirn starb ab, weil es von sich aus seine Blutzufuhr drosselte, da es annahm, die Fremdkörper würden über diesen Weg eindringen. Bereits nach kurzer Zeit war der geklonte Körper tot.«

      Ein Raunen ging durch die Masse. Selbst Amanda Wilks schien es die Sprache verschlagen zu haben. Der Tag war von ihnen sehnsüchtig erwartet worden. Eine Sensation, besonders wegen des Stellenwerts, den Aaliyah Dearing noch immer in der Gesellschaft einnahm.

      Nun war alles vorbei. Lyle konnte die Enttäuschung und Erschütterung in den Gesichtern lesen. Niemand wagte, eine Frage zu stellen. Jeder schien bemüht, seine eigenen Gefühle im Zaum zu halten.

      »Leider«, sagte er in die Stille hinein, »zersetzen sich die Daten der Blackbox nach Öffnung sehr schnell. Die Transferierung in einen anderen Körper muss daher innerhalb kürzester Zeit vonstattengehen.

      Uns blieb keine Wahl, als einen neuen Träger auszuwählen oder die Daten für immer zu verlieren. Allerdings war die Auswahl äußerst begrenzt. In der Tat gab es nur einen Körper, der dafür infrage kam. Eine junge Frau, die nach einer Granatenexplosion in einem Krankenhaus für hirntot erklärt wurde.

      Das Gehirn war zwar beschädigt, doch noch so weit wie notwendig intakt und konnte von unseren Technikern wiederhergestellt werden. Allerdings müssen sie sich dieses Gehirn vorstellen, wie ein frisches Speichermedium. Es war vollkommen leer, ähnlich wie bei einem medizinischen Klon.

      Unserem Team gelang es, die Daten von Lieutenant Aaliyah Dearing in diesen Körper zu transferieren, und das Gehirn akzeptierte diese Eingabe.«

      Die letzten Worte gingen im Applaus der Journalisten unter und Stephen J. Lyle wusste, dass er es geschafft hatte. Die noch fehlenden Informationen würden ihm leichter von der Seele gehen, wenn sie in euphorischer Stimmung waren.

      »Wie sieht der Körper nun aus?«

      »Gibt es Fotos?«

      »Wissen die Eltern der Frau bereits, dass sie ihre Tochter ausgewählt haben?«

      Die Männer und Frauen der Presse riefen durcheinander, doch als Lyle beschwichtigend die Hände hob, verstummten sie rasch.

      »Unseren Informationen nach gibt es keine lebenden Verwandten der Frau mehr. Sie wurden alle bei dem Angriff getötet, der auch sie das Leben kostete. Ihre wahre Identität werden wir aber weiterhin geheim halten.

      Aus ihren Unterlagen geht hervor, dass sie ihren Körper für die Wissenschaft zur Verfügung stellen wollte. Nachdem das abgeklärt war, haben wir ihn von dem behandelnden Krankenhaus bekommen.«

      Das war eine Lüge. Die Dokumente waren von Angestellten der Firma gefälscht worden, als man hörte, dass der Körper für ihr Project Trojan Horse geeignet war.

      »Also ein Zwitterwesen, mit dem Aussehen einer Fremden und der Persönlichkeit von Lieutenant Dearing. Haben sie sich überlegt, welche Auswirkungen das auf ihre ihre Psyche haben könnte?«, fragte Amanda Wilks.

      »Miss Wilks, für solche Überlegungen war keine Zeit. Wir konnten die Erinnerungen verschwinden lassen oder versuchen, sie zu bewahren. Die Persönlichkeit und alles, was geistig Aaliyah Dearings war, wurde so konserviert. Wenn auch in einem anderen Körper.

      Sie können beruhigt sein, Lieutenant Dearing wird rund um die Uhr von unseren Spezialisten überwacht werden und jede nur erdenkliche Hilfe erhalten. Sie dürfen nicht vergessen, dass sie die letzten dreißig Jahre nachholen muss. Allein das wird ein beträchtlicher Schock für sie sein.

      Zum Abschluss haben wir noch ein Bild des neuen Körpers.«

      Lyle machte einige Bewegungen in die Luft. Nur er konnte die Projektion der Konsole auf seinem Arm sehen und sie bedienen. Mit nur wenigen Fingerzeigen hatte er das Bild an den Projektor hinter sich geschickt, der augenblicklich ein großformatiges, dreidimensionales Bild des Gesichts erzeugte.

      Ein Raunen ging durch die Menge. Begleitet von einem Ächzen und Stöhnen sowie leisen Rufen.

      Befriedigt