Christian Leukermoser

Purgatory - Wiedergeburt


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dass im Cockpit niemand mehr am Leben war. Das Zischen eines Schweißgerätes wurde hörbar, dann wieder Schüsse. Eine der Kugeln traf Aaliyah Dearings Schulter. Sie würde diesen Raum nicht mehr lebend verlassen.

      »Ich habe eine Idee«, zischte sie, den Schmerz so gut es ging unterdrückend.

      »Was wollen Sie tun?«

      »Ich opfere einen Bauern, um das Spiel zu gewinnen«, meinte Dearing leise und schaltete den Kommunikator ab.

      Captain Conchita Jaramago starrte durch die großen Panoramafenster der Brücke nach draußen. Sie konnte ihren Augen kaum trauen. Das Schiff war wirklich gigantisch und die von den Scannern angezeigten Werte beinahe lächerlich hoch.

      Drei Kreuzer begleiteten das Schlachtschiff mit äußerst geringem Abstand. Sie waren vom Schutzschirm gedeckt und verstärkten ihn mit der Energie ihrer Schutzschildgeneratoren. Dagegen bestand die Flotte der Menschen nur noch aus acht Schiffen, von denen zwei kaum noch in der Lage waren zu kämpfen. Alle kleiner und schlechter bewaffnet als selbst die kleinen Kriegsschiffe der Mendraner.

      Es war ein aussichtsloses Unterfangen.

      Bis einer der Kreuzer plötzlich seinen Kurs änderte.

      Statt wie bisher parallel zu seinem großen Bruder zu fliegen, steuerte er direkt auf Kollisionskurs. Das bemerkte auch das Schlachtschiff, das seinerseits versuchte, den Kurs zu ändern, dabei jedoch einen seiner Begleiter rammte, der, durch die enge Formation, nicht schnell genug abdrehen konnte.

      Die Hülle des Raumschiffes platzte auf und es zerbarst in einer unhörbaren Explosion, wie eine Seifenblase. Im gleichen Moment bohrte sich der andere Kreuzer spitz, etwa dort, wo die Brücke zu vermuten gewesen wäre, mitten in das Schlachtschiff und explodierte in einem grellen Feuerball.

      Das Schiff geriet außer Kontrolle. Es drehte sich zur Seite, während es unverkennbar brennend, immer mehr Gas in den Raum entließ.

      »Feuer eröffnen«, drang aus den Lautsprechern und die Flotte der Menschen folgte dem Befehl.

      Es war nicht mehr notwendig. Noch bevor die ersten Raketen, Geschosse und Laser das Schlachtschiff trafen, begann dieses bereits auseinanderzubrechen.

      Mit Wehmut sah Captain Jaramago dabei zu, wie die Trümmer langsam in Richtung Europa sanken. Dearing hatte sie gerettet und dafür ihr Leben geopfert. Kurz flackerte Bewunderung für den Mut der Frau auf. Sie war vielleicht ein dahergelaufenes Straßenkind, doch was sie auch tat, es führte schließlich zum Erfolg. Es war schade um sie.

      »Verfluchte Helden«, murmelte sie leise vor sich hin und schloss die gepanzerten Läden vor den Panoramafenstern.

       01. Resurrection

      Das dreidimensionale Bild des Kommunikationsinterface war etwas zu blass, doch das störte den Zuseher meist kaum.

      Zu erkennen war eine gut aussehende Mittdreißigerin in einem schlichten, äußerst knappen und extra tief ausgeschnittenen schwarz-weißen Kleid.

      ‚Sehr viel tiefer darf der Ausschnitt für die Nachrichten nicht mehr sein‘, dachte Branko Enzegowic grinsend, während er sich vorstellte, was wohl geschah, wenn sich die Brüste wirklich selbstständig machen würden. Heute interessierte das kaum jemanden. In seiner Jugend waren noch puritanisch geprägten Regeln zu Liveübertragungen in Kraft gewesen. Zeitversetzte Ausstrahlung, ausblenden verbotener Wörter und so weiter, waren an der Tagesordnung.

      Niemand außer ihm konnte die Nachrichtensendung hören, keiner sah das Bild. Die KIFs jedes Einzelnen waren mit dem genetischen Zellcode verwoben. Dieser unterschied sich sogar bei Klonen, wenn auch nur geringfügig, und machte die Interfaces daher sehr sicher.

      Die süße Stimme hämmerte in seinem Kopf, während sich die Aufnahme änderte. Sie stand vor dem Fenster zu einem OP-Saal. Dahinter sah man einen Körper, der hinter den Tüchern der Chirurgen vollkommen verschwand.

      Heute war ein großer Tag, das wusste Branko, und wie er ausging, würde über viel entscheiden.

      Er war ein unscheinbarer Mann. Auf der Straße hätte man ihn vermutlich einfach übersehen, wenn man ihm begegnete. Und doch auf dem Mars war er ein großer Mann. Er war das Gesicht und der Mann hinter der Sezession.

      Zu lange hatte die Allianz den Mars wie eine Kolonie betrieben. Seine wirtschaftliche Kraft durch Zölle gehemmt und durch erschwerte Einfuhr den Aufschwung blockiert.

      Hatten sie dafür vor so vielen Jahren gegen die Mendraner gekämpft?

      Nur um noch immer unter Fremdbestimmung zu existieren?

      Natürlich hatte ihnen die Regierung der VSA die Gründung eines eigenen Parlaments zugesagt. Man sicherte ihnen Sitze in der Hauptversammlung und ein Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht zu.

      Nur halbherzige Zugeständnisse. Die Abgeordneten des Mars vertraten beinahe ein Sechstel der Gesamtbevölkerung, doch ihre Stimmkraft in der Versammlung repräsentierte das nicht.

      »Es ist ein großer Tag. Zum ersten Mal in der Geschichte wird ein als Blackbox bekannter Erinnerungsdatenspeicher in eine geklonte, menschliche Hülle eingeführt. Die Daten werden übertragen und danach der Körper wiederbelebt.

      Das Ergebnis soll ein Individuum mit den gleichen Fähigkeiten und Erinnerungen eines Menschen zum Zeitpunkt des Todes sein. Ausgewählt für dieses Prestigeprojekt, mit dem sehr passenden Namen: Project Resurrection, des PHIMA-Konzerns, wurde eine verehrte Heldin aus der Zeit des Erstkontaktkriegs: Lieutenant Aaliyah Dearing.

      Lieutenant Dearing wurde in der Benjan-Kolonie auf dem Mars geboren. Nach dem Angriff der mendranischen Flotte desertierte sie von ihrer Ausbildungseinheit und schlug sich bis in ihre Heimat durch. Schwer verletzt wurde sie nach New Hope gebracht, wo sie schnell zu einer charismatischen Figur des Widerstandes aufstieg. Ihre Berichte und Einträge, die sich wie ein Lauffeuer über die Erde verbreiteten, sind noch heute vielen Menschen ein Begriff.

      Nach dem Tod von Joseph Liebermann übernahm sie die Leitung ihrer Zelle und führte sie mit den verbliebenen Widerständlern des Mars zusammen.

      Diese Gruppen spielten bei der Befreiung des Mars‘ eine große Rolle. Ihr selbstloser Einsatz, gepaart mit ihren kurzen Einträgen im Infonet, die vom Leben als Gejagte unter einer feindlichen Herrschaft berichteten, wurde sie zum Symbol des Durchhaltewillens der Menschheit.«

      Branko Enzegowic brummte etwas Unverständliches. Er konnte sich gut an die kurzen Posts erinnern. Sein Vater hatte ihm damals immer ihre Berichte vorgelesen. Sie hatten ihnen Mut gemacht, als sie sich in den Ruinen ihrer Häuser versteckten.

      Dann war der Tag gekommen, als das Shuttle auftauchte und die Mendraner die Menschen zusammentrieben, in ein Raumschiff steckten und in eine Mine auf einen anderen Planeten brachten. Dort sollten sie etwas für sie abbauen, doch Branko erfuhr nie was genau. Nur so viel, dass der Abbau für die Mendraner selbst zu gefährlich war und spezielle Minenroboter fehlten. Die meisten der Einwohner des Himmelskörpers waren bereits in den übrigen Bergwerken versklavt worden und nun importierten die Mendraner Gefangene als Arbeitskräfte.

      Beinahe ein Jahr verbrachten sie in der Mine eingesperrt, als eines Tages plötzlich Schüsse und Explosionen zu hören waren. Ihre Bewacher stürmten hinaus und kehrten nie wieder zurück. Dann war da jemand in einem Kampfanzug. Er brachte sie nach draußen auf einen Landeplatz.

      Doch auch hier wurde gekämpft und Kugeln fuhren in ihre Gruppe. Mehrere Geschosse trafen seinen Vater in Brust und Kopf. Und da war nur noch Blut.

      Branko würde diese Momente niemals in seinem Leben vergessen können. Allerdings auch nicht die, als er durch das Visier des Helmes in die hellen Augen der jungen Frau blickte, die seine Hand genommen und ihn hochgezogen hatte. Sie mochte vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt sein, aber sie zeigte keine Angst.

      Ohne merkliche Anstrengung hatte sie den Elfjährigen in ein Shuttle gesetzt und dann ihre Waffe gehoben und auf die Angreifer gefeuert. Sie deckte den Abflug und riskierte ihr Leben.

      Noch nie zuvor