Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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der Witwe vergessen. Er machte kehrt und ging schnellen Schrittes zurück.

      Die sonst so fahle Gesichtshaut des Mönchs rötete sich. Er brauchte lange, um sich zu fassen und zu verstehen, dass seine Absicht, Alfonso zu töten, fürs Erste vertan war. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Rückzug anzutreten. Der Graf hatte Wort gehalten. Die Wachen öffneten ohne viel Umstände das Tor.

      12

      Das Jahr 1629 fängt ja gut an. Auf der anderen Seite ist es ein Vorteil, dass wir jetzt, Anfang März, die erste Gildeversammlung des Jahres haben. Da braucht es wenigstens keine außerordentliche. Die Nachricht, die ich da überbringen muss, ist allerdings alles andere als gut. Ach was, ich pfeif auf die Nachricht, um die prächtige Büchse ist es schade. Die ganze Arbeit, die drin steckt. Hmmh, ich werde wohl eine neue machen müssen, brummte Heinrich Schlachmann vor sich hin. Die Gilde will ja nun mal dem Herzog eine Büchse schenken. Naja, ist schon richtig. Vielleicht ermuntert das ja den Herzog und seine Sippe, mehr Aufträge zu erteilen.

      Heinrich hatte keinen Blick für die Martinikirche, auch dem Rathaus der Altstadt schenkte er keine Aufmerksamkeit. Allein der Marienbrunnen kam ihm kurz in den Blick. Er war immer noch mit verharschtem Schnee bedeckt.

      „Verdammter Winter“, murmelte Heinrich und betrat das altehrwürdige Gewandhaus durch die üppig gearbeitete schmiedeeiserne Tür am Ostgiebel und ging die paar Stufen hinab in das dort untergebrachte Wirtshaus.

      Gleich dahinter hatte die Schmiedegilde, zu der auch die Büchsenschmiede gehörten, ihren Versammlungsraum. Eigentlich diente das Gewandhaus den Tuchhändlern als Lagerhaus. Auch einige Verkaufsläden waren an der Längsseite des Gebäudes untergebracht. Der Ostgiebel war vor ungefähr vier Jahrzehnten von einem gewissen Baumeister Lampe mit einer Schaufassade versehen worden, ganz im Renaissancestil.

      All das war Heinrich im Moment völlig egal. Und doch fiel sein Blick zuerst auf die Löwen-Aquamanile der Braunschweiger Schmiedegilde, als er den Raum betrat. Ein aus Bronze gegossener, stilisierter Löwe, der immerhin schon mindestens sechzig Jahre alt war. Ein Gießlöwe, früher sogar mal ein Gebrauchsgerät.

      „Auch unsere Altvorderen haben schon meisterliche Stücke hergestellt, nicht wahr, Meister Brennecke?“, begrüßte er ein Gildemitglied. Nicht wissend, was Heinrich gemeint hatte, nickte der und ermahnte die Umstehenden, sich zu setzen. Man wollte anfangen.

      Heinrich als amtierender Gildemeister eröffnete also die Versammlung. Natürlich stand so allerlei auf der Tagesordnung. Man würde das vergangene Jahr besprechen, über die schleppenden Geschäfte reden, obwohl es eigentlich ganz gut ging und zum Schluss würde man die politische Lage erörtern und einige Humpen Mumme zu sich nehmen.

      „Meister der angesehenen Gilde der Schmiede und Büchsenmacher“, eröffnete Heinrich nach vorgeschriebenem Ritual die Versammlung. „Ich muss heute einen Tagungsordnungspunkt hinzufügen. Ach was“, unterbrach Heinrich sich selbst.

      „Es ist etwas Vermaledeites passiert. Die Herzogsbüchse ist gestohlen worden. Zwei Tage nach unserem Schlachttag habe ich es bemerkt. Dazu noch ein wichtiges Buch unserer Familie, aber das lassen wir hier mal beiseite.“

      Augenblicklich war es still im Raum. Zwölf Grobschmiede und Büchsenschmiede waren anwesend. Nicht eben viele, aber das Wetter war sicher mit ein Grund dafür.

      Meister Brennecke fing sich als Erster. „Wie kann das passieren? Wir wollten damit unser Geschäft ankurbeln. Der Herzog hätte sich wahrscheinlich nicht lumpen lassen!“

      „Ich baue natürlich eine neue Büchse auf meine Kosten“, schnippte Heinrich sofort zurück. Gute Laune hatte er heute nicht gerade. Als Gildemeister, auch der große Meister genannt, genoss er allerdings einen besonderen Respekt.

      „Das dauert. Und die Aufträge laufen schleppend zurzeit, Heinrich.“ Meister Wagner sagte das ruhig und freundlich.

      „Du hast noch nicht gesagt, wie das passieren konnte“, warf Brennecke, wegen der schnippischen Art Heinrichs leicht angesäuert, dazwischen. „Die Büchse war doch sicher irgendwo verschlossen und sicher aufbewahrt, oder? Und wie kann ein Fremder überhaupt da rankommen?“

      „Na gut!“ Heinrich stand auf. „Die Büchse war offenbar nicht sicher in meiner Werkstatt. Ich hatte sie in einer Truhe, die aber nicht verschlossen war. Bisher ist so etwas in meinem Hause nicht vorgekommen.“

      „Die Büchse ist weg und damit basta“, mischte sich ein weiterer Meister ein.

      Zustimmendes Gemurmel folgte. Sollte wohl heißen: Klar, Heinrich hat einen Fehler gemacht, aber mal ehrlich, wer schloss schon etwas in seinem Hause weg. Unser Gildemeister hat sich immer in den Belangen der Gilde als umsichtig erwiesen.

      „Danke, Männer.“ Um deine Frage zu beantworten, sagte Heinrich jetzt deutlich ruhiger. „Möglicherweise war es kein Fremder, aber ich muss vorsichtig mit solchen Äußerungen sein, denn beweisen kann ich nichts. Otto, mein Geselle ist seit dem Schlachtfest verschwunden. Ich habe ihn rausgeschmissen. Warum, tut hier nichts zur Sache. Das ist allein meine Angelegenheit. Ich bitte euch also, diesen Umstand für euch zu behalten.“

      Das Thema war erst einmal besprochen. Die Braunschweiger Mentalität ließ es nicht zu, alles ellenlang und immer wieder durchzukauen.

      Dass der Graf angeblich das Signum der Gilde benutzen soll, hatte der Gildemeister bewusst nicht angesprochen. Diese Angelegenheit musste sehr sorgfältig angegangen werden. Zunächst wollte er mit Camann darüber sprechen.

      Man traf sich nach Ende der Versammlung noch in der Schenke, um den einen oder anderen Humpen Mumme zu genießen. Jetzt erst kam man dazu, die politische Lage noch ein wenig zu erörtern.

      Um Braunschweig herum war es ruhig. Magdeburg wurde allerdings immer noch belagert. Tilly zögerte wohl. Man munkelte, dass der schwedische König Gustav II. Adolf von Schweden mit dreizehntausend Mann an der pommerschen Küste an Land gehen wolle, um zugunsten der Protestanten in den Krieg einzugreifen. Andere sagten, wenn er erst mal gelandet sei, würde er da oben im Norden kaum auf Widerstand stoßen. Die Verlierer würden sich ihm anschließen und seine Armee würde wachsen.

      So sollte es auch gekommen. Es war damals üblich, dass Söldner die Seiten wechselten, wenn der Sold stimmte. Andere wurden einfach der schwedischen Streitmacht einverleibt. Gustav II. Adolf landete 1630, stieß kaum auf Gegenwehr, sodass seine Truppe auf ungefähr vierzigtausend Mann anwuchs.

      „Na, dann werden wir wohl bald wieder von gut katholisch auf protestantisch gesetzt“, lachte Heinrich und begann sich zu verabschieden. Fröhlich war ihm eigentlich nicht zumute. Der Krieg rückt unweigerlich näher, musste er sich eingestehen. Sarah spürt das.

      13

      Warum soll der Zeugherr Boiling darin verwickelt sein? Michael hatte Camann aufgesucht und seinen Vater dort vorgefunden. Die beiden waren tief im Thema „Kämmerer“ versunken, wegen seiner Äußerungen am Stammtisch. Und es ging wohl auch um den Grafen.

      „Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit, sagt der Volksmund.“ Michael war sofort mit einbezogen worden. Camann hatte nicht einmal gefragt, was ihn zu ihm führte. So beschäftigte ihn das Thema.

      „Und dann Otto. Ich könnte schwören, an dem Abend unseren Gesellen gesehen zu haben. Aber es war natürlich ein saumäßiges Wetter.“ Heinrich richtete sich in dem gemütlichen, lederbezogenen Stuhl auf.

      „Es war Otto.“ Michael ließ keinen Zweifel daran.

      Camann fuhr etwas nachdenklich fort. „Mehr noch finde ich bedenkenswert, dass der Graf, der Zeugherr und der Kämmerer auf dem Altstadtmarkt ein Schwätzchen halten. Was, um alles in der Welt, haben die zu besprechen? Da kommen doch nicht Menschen aus drei Ständen zusammen und reden über das Wetter und sei es noch so saumäßig.“

      Heinrich ließ sich genüsslich zurückfallen und machte es sich bequem. Michael folgte seinem Beispiel. Beide wussten, jetzt kommt