Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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ein wenig nach Thymian. Sarah hatte immer getrockneten da. Dann die Knackwurst und die Leberwurst. In die Sülze kam ein wenig Muskat. Schwer zu bekommen in Braunschweig und dazu noch sehr teuer, aber Sarah bestand darauf. Dazu gab es eingemachte Gurken, Meerrettich und natürlich Mumme. Viel Mumme. Es wurde gelacht und sich zugeprostet.

      All das nahm Michael wohl dieses Mal besonders wahr, obwohl er es doch schon so oft erlebt hatte. Die Stimmung war wunderbar. Michael sah, wie sein Vater seine Sarah anschaute, ohne dass die es bemerkte - voller Zärtlichkeit. Und wohl auch Dankbarkeit. Die beiden sind glücklich. Meine Eltern sind glücklich.

      In Otto brodelte es. Ich muss es jetzt bringen oder nie. Lena bekomme ich ohnehin nicht. Also was soll es? „Wo hast Du eigentlich die Muskatnuss her, Meisterin.“ Die Stimme kam plötzlich, laut und schneidend - mitten in das fröhliche Treiben hinein. „Und die vielen Kräuter. Sind das Hexenkräuter?“

      „Was fällt dir denn ein, Otto?“ Michael war der Erste, der die plötzliche Stille unterbrach. „Verträgst wohl die Mumme nicht, was?“

      Sarahs sonst dunkelbraune Augen waren tiefschwarz, wie Kohlestücke. Sie sprach langsam. „Vom Markt, Otto. Es gibt einen Händler, der bringt sie manchmal mit.“ Sarahs ganze Haltung hatte sich verändert. Sie glich einem Raubtier kurz vor dem Sprung. Hier störte jemand ihre Familie, ihre Hausgemeinschaft und drang in die heilige Sphäre ihrer ‚Hazienda‛ ein. Sie wusste instinktiv, das hat nichts Gutes zu bedeuten.

      „Man sagt, Muskat hilft auch gegen die Pest, aber nur, wenn Hexen es mit ihrer Teufelsspucke vermischt haben“, zischte Otto.

      „Komm, Otto, was ist los mit dir? Lass uns weiter feiern“, mischte sich jetzt auch Karl ein.

      „Du kannst mich mal“, kam es scharf zurück.

      Was ist bloß in ihn gefahren, dachte Heinrich.

      „Vor Kurzem hat man wieder eine Hexe verbrannt. Im Lechlumer Holz. Der Wald besteht inzwischen aus über siebzig Brandpfählen. Es wird wohl nicht die Letzte gewesen sein. Sie hatte immer eine Katze auf der Schulter. Deine Lea sitzt doch auch oft auf deiner Schulter, oder?“

      „Ja, Otto. Muskat hilft angeblich gegen die Pest. Jedenfalls sagen das die Araber. Auch in den Städten Südspaniens weiß man darum. Jedermann kann es nehmen, wenn er glaubt, dass es hilft. Wie kommst du auf Hexen? Sag es mir?“ Sarah straffte ihren Körper noch weiter. Sie wollte die Hoheit im Raum wieder gewinnen.

      „Wie kommst du überhaupt dazu, in meinem Hause die Stimme zu erheben?“ Heinrich Schlachmann, der bedächtige Büchsenmacher war aufgesprungen. „Du verlässt sofort diesen Raum. Dein Geld hast du ja wie üblich schon vor Weihnachten bekommen. Und morgen packst du dein Bündel und verschwindest von hier. Und jetzt raus!“

      Eine Zornesader, die noch nie jemand bei Heinrich gesehen hatte, zeigte sich an der Schläfe. Jeder wusste, dass Heinrich nie viel sprach. Jeder wusste aber auch, wenn er etwas sagte, hatte es in der Regel Hand und Fuß. Und, wie auch in diesem Fall, war es endgültig. Otto stand, fast schon gelassen, auf und ging zur Küchentür.

      Dort angekommen drehte er sich noch einmal um. „Es heißt, ein Mönch hat deinem Vater in Celle den Prozess gemacht. Du bist die Tochter eines Zauberers, Sarah Schlachmann.“

      Die Unterhaltung kam nur langsam wieder in Gang, aber sie kam in Gang. Die meisten dachten wohl, Otto hat einfach zu viel getrunken oder sie wollten sich einfach einen solchen Abend nicht verderben lassen.

      Michael sah seine Mutter, die gedankenverloren Geschirr wegräumte, Mumme brachte, hin und her ging. Er dachte an die Worte Don Alfonsos. Nein, seine Mutter war glücklich mit ihrem Mann und uns Kindern. Gut, heute das hat sie doch wohl etwas mitgenommen. Siedend heiß kam es Michael in den Sinn: Das Wort Hexe war es. Ihre Mutter ist in Spanien, letztlich durch die Inquisition gestorben und es stimmt schon – Don Miguel kam in Celle durch die peinliche Befragung ums Leben. Ihm wurde klar, warum auch Don Alfonso nicht mehr so recht in Gang kam.

      Anna war rührend besorgt um ihre Mutter. Sie spürte wohl, dass etwas nicht stimmte. Mein Schwesterherz, dachte Michael. Sie ist wirklich ein bisschen wie Mutter. Onkel Johann verlangte nach einem Schnaps. Er würde heute noch mehr davon trinken. Beim eigentlichen Schlachten war er nie dabei. Er kann kein Blut sehen, neckte ihn immer Bruder Hinrich. Obwohl er ja Landsknecht war. Johann sagte nie etwas dazu. Verschwand einfach und abends zum Schlachtfest war er wieder da.

      Michael saß in der Runde, die ihn Gott sei Dank für einen Moment ausschloss, und konnte so seinen Gedanken weiter nachhängen. Sarah und Anna waren schon beim Aufräumen.

      „Mutter, Vater, allesamt. Ich gehe ins Bett. Lasst Euch das Leben nicht durch diesen Kerl versauern. Er hat wohl einfach zu viel getrunken.“

      Alle wussten, dass es nicht so war, auch Michael. Warum nur hat er so vehement den häuslichen Frieden gestört?, fragte sich Michael, als er die Stiege zu seiner Kammer hochging. Erst taucht plötzlich unser Halbbruder Heiner auf und jetzt das.

      „Heini, kommst du?“, hörte er seine Mutter rufen.

      *

       Der Graf hat gesagt, das heißt, der Pfaffe hat es mir ausgerichtet, dass er mich praktisch als Meister einstellt. Dreifacher Lohn, Kost und Logis. Zwei Gesellen soll ich bekommen. Was sollte mich hier auch noch halten? Anna will ja unbedingt diesen Karl.

      Otto verharrte noch einen Moment in der Diele. In der Küche war das Gespräch langsam wieder in Gang gekommen. Nicht mehr so munter, aber immerhin. Sie werden jetzt eine Weile über mich reden. Das wird reichen.

      In der Diele stand die eisenbeschlagene Truhe. Otto hob den schweren Deckel an und sah auch schon das Buch des Handelshauses Don Miguel oben aufliegen. Was für ein Glück, dachte Otto. Er nahm das Buch an sich und verließ zielstrebig das Haus quer über den Hof in Richtung Werkstatt. Hoffentlich hat der Meister nicht abgeschlossen, aber notfalls muss ich eben Gewalt anwenden. So ein Schloss dürfte ja für einen Schmied kein Problem sein. Die Tür war, wie eigentlich immer, offen. Schlachmann muss an einem Gewehr arbeiten. Karl und Anna haben darüber gesprochen.

      Otto musste im Raum herumtasten. Die Werkstatt war klein. Er wusste aber, dass rechts oder links neben der Tür ein Schrank oder Ähnliches war. Wenn der Meister die Tür offen hatte, konnte man gegenüber die Werkbank sehen. Da er nie eine Arbeit auf der Arbeitsplatte liegen ließ, verstaute er sie wohl im Schrank oder in einer Truhe. Das Vorhängeschloss war offen.

      Welch ein Leichtsinn, schoss es Otto durch den Kopf. Es kam ihm nicht mal ansatzweise in den Kopf, dass Heinrich Schlachmann einfach Vertrauen in die Seinen hatte.

      Otto fühlte die Umrisse einer Büchse. Da war sie, die Jagdbüchse, von der Karl und Anna gesprochen hatten. Der Graf wird mich belohnen. Er wollte ja eigentlich nur das Buch.

      Das Handelsbuch war oft Gesprächsthema, wenn gemeinsam gegessen wurde. Da alle so ein Gewese darum machten, hatte Otto dem Grafen davon erzählt.

       Hoffentlich hält Marga Wort und lässt mich rein. Sie ist zwar eine Hure, aber wir haben uns ja immer verstanden. Vor dem Morgengrauen komme ich jedenfalls nicht durchs Tor. Dann ein Stück zu Fuß hinaus und die Fuhrknechte des Grafen erwarten mich. So ist es geplant. Und so wird es kommen. Adieu, Meister Schlachmann und Adieu Anna.

      Drei Monate waren ins Land gegangen. Der Winter stellte sich langsam darauf ein zu gehen, um dem Frühling das Feld zu überlassen. Michael und seine gesamte Familie näherte sich ebenfalls einem Wendepunkt – unaufhaltsam.

       *

      Der Mönch lehnte immer noch am Stamm der Heinrichslinde vor dem Dom. Vorsichtig trat er einen Schritt nach vorne. Er wollte Bewegungsfreiheit haben. Dann hob er ganz langsam die Armbrust. Endlich kann ich meinen Auftrag erfüllen. Gleich morgen schreibe ich an den Großinquisitor. Ich werde niemanden schonen. Der Racheengel wird euch alle vernichten.

       Noch ein paar Schritte, Don Alfonso, dann fährst du zur Hölle.