Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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mit Speck, Käse und Wein mit.“

      Alle standen auf und verabschiedeten sich von Heiner. Nur sein Vater, Heinrich Schlachmann, ging mit hinaus auf den Hof. Als er nach geraumer Zeit wieder herein kam, hatte er gerötete Augen. Keiner sagte etwas. Sarah löste die Situation. „Wir wollen jetzt essen. Ruf alle zusammen, Anna.“ Es wurde eine schweigsame Mahlzeit.

      Spät am Abend, Sarah und Anna hatten ihre Hausarbeit beendet, saßen sie noch lange gemeinsam an dem großen Eichentisch. Die anderen waren in ihren Kammern verschwunden. Es hatte keiner mehr Lust auf ein Schwätzchen.

      9

      Die Aufregung in Hamburg war damals groß gewesen. Juan Salomon war nicht eben begeistert über den Besuch entfernter Verwandtschaft. Erinnerte ihn das plötzliche und natürlich völlig unerwartete Auftauchen von Heiner doch zu sehr an seinen Bruder Don Miguel und an Vorgänge, die weit zurücklagen und am besten nicht mehr angerührt werden sollten. Also hatte er Heiner schneller als es sonst notwendig gewesen wäre, eine Schiffpassage nach Amsterdam besorgt. Sein Sohn hatte sich über seinen eher geizigen Vater gewundert und konnte auch die Eile nicht nachvollziehen.

      *

      Der Mönch aber war außer sich vor Freude, ohne dass er sich etwas hätte anmerken lassen. Vorerst war er so unauffällig, wie es sein Erregungszustand eben zuließ, seiner Schreibertätigkeit bei dem Kaufmann Juan Salomon weiter nachgegangen. Der Herrgott hat seinen Racheengel nicht vergessen, sagte er sich immer wieder.

      Natürlich wusste er jetzt um die Geschehnisse in Braunschweig. Zumal die Gespräche laut und im ganzen Haus geführt wurden. Endlich hatte er die entscheidenden Informationen erhalten, die ihn in die Lage versetzten, seinen Auftrag doch noch zu Ende zu bringen.

      Der Mönch funktionierte präzise wie ein Uhrwerk. Er schicke seinen Sohn Uriel unverzüglich auf dem Landweg nach Amsterdam. Dort sollte er in der Nähe der Druckerei von Don Manuel Isaak auf seine Chance warten und sie nutzen. Nach getaner Arbeit würde er nach Braunschweig aufbrechen, um zu seinem Vater zu stoßen. Wir werden die ganze Sippe auslöschen. Der Racheengel ist schon unterwegs. Dieser Gedanke ging ihm pausenlos durch den Kopf. Sein sonst so fahles Gesicht rötete sich dann leicht, was nur äußerst selten geschah.

      Der Mönch versäumte auch nicht, dem Großinquisitor einen langen Brief zu schreiben, um ihn zu informieren und um Geld für seinen Auftrag zu erbitten.

      In all den Jahren des Wartens hatte er immer wieder mit seinem Sohn über seine Kindheit und sein Leben überhaupt gesprochen.

      Der Dominikanermönch war das drittjüngste von elf Kindern. Seine Familie lebte in sehr ärmlichen Verhältnissen in Madrid. Der Vater war Schuster, die Mutter kümmerte sich um Kinder und Haushalt. So oft es ging, wusch sie für andere die Wäsche. Das Essen reichte oft nicht für alle, sodass manchmal die jüngsten Kinder nichts bekamen. Der Vater sagte dann immer: „Sollen sie doch sterben, dann reicht es wenigstens für alle.“ Seine Mutter steckte ihm, dem kleinen Gabriel dennoch etwas zu. Sein Vater nannte ihn immer nur „Das Kind“, während seine Mutter, wenn sie unter sich waren, ihn „mein Engel“ nannte. Sie war es auch, die ihn zusammen mit einigen Geschwistern immer wieder mit auf den Plaza Mayor zum Autodafé nahm. Der Häresie Beschuldigte wurden dort auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

      Der kleine Gabriel stellte immer viele Fragen zu dem gruseligen Schauspiel, die seine Mutter bereitwillig in ihrer Dumpfheit beantwortete. So erfuhr er, was Ketzer sind, und dass durch die Verbrennung die Seele vor der ewigen Verdammnis gerettet werden würde. Daraufhin empfand er die Strafe als gerecht. Aber wie erkennt man Ketzer? Wie findet man sie? Wer kümmert sich um das alles? Der kleine Junge hatte viele Fragen. So war schon damals der Wunsch in ihm gewachsen, einmal für die Inquisition zu arbeiten.

      Seine Mutter war es auch, die ihn als Küchenhilfe in einem kleinen, relativ unbekannten, wohl auch unbedeutenden Kloster auf dem Lande unterbrachte. Von einem Mitbruder lernte er die deutsche Sprache. Nebenbei studierte der aufgeweckte Junge heimlich in der Bibliothek ein abgegriffenes Buch mit dem Titel „Praktischer Leitfaden für Inquisitoren“. Der Prior wurde aufmerksam, erkannte das Talent und schickte ihn in das Kloster Santo Thomás nach Avila. Der Bau des Klosters wurde seinerzeit von Spaniens erstem Großinquisitor Torquemeda persönlich beaufsichtigt. Dort gab es bessere Möglichkeiten in der Bibliothek. Er wurde Mönch, Verwaltungsfachmann und theoretischer Kenner der Inquisition. Sein Ehrgeiz war es, Inquisitor an einem der ständigen Gerichte zu werden. Vielleicht in Cordoba, Sevilla oder gar in Madrid. Seine Mutter würde stolz auf ihn sein. Seinen Mitbrüdern graute es vor seinem Fanatismus.

      Eines Tages bekam der Mönch dann den geheimen Auftrag von seinem Prior im Namen des Großinquisitors Robert Bellarmin. Er war daraufhin nahezu in Verzückung geraten. Konnte er sich doch fortan als Beauftragter der Inquisition fühlen. Als Bote Gottes - als Racheengel.

      *

      Nur wenige Tage nachdem Heiner in Hamburg aufgetaucht war, reiste der Mönch nach Braunschweig. Juan Salomon erzählte er, dass er nach Lübeck müsse, dort einen todkranken Onkel habe, ihn pflegen würde und schließlich wieder zurückkommen würde. Sein Sohn sei schon vorausgereist. Knurrend gewährte Juan Salomon seinem Schreiber seine Bitte. Der Mönch hatte zwar nicht die Absicht, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren, aber er wollte sich diese Option auch nicht ohne Not verbauen.

      Der Mönch war mit nur leichtem Gepäck unterwegs. Er hatte eine knielange wollene Hose, ein oben geschnürtes Kutscherhemd und darüber eine Jacke an. Sein langer schwarzer Kapuzenmantel war in einem Beutel verstaut. Er schloss sich mal dieser und mal jener Reisegruppe an und erreichte schließlich die freie Reichsstadt und Hansestadt Braunschweig. Nach kurzem Aufenthalt und einigen unauffälligen Erkundungen verließ er die Stadt wieder. Südlich von Braunschweig, im Schöppenstedter Turm, eigentlich einer Schankwirtschaft, hatte er vorläufig Unterschlupf gefunden.

      Der Zufall hatte es gewollt, dass er den geschwätzigen Pfarrer Jakob im Schöppenstedter Turm kennenlernte. Von diesem zu viel trinkenden Pfarrer erfuhr er so einiges. So auch, dass es offenbar nicht weit von der Schänke ein Gut in Lucklum gab, und einen Grafen, der irgendwie einen Groll auf den höheren Adel, die Städter und überhaupt auf alles hatte.

      Pfarrer Jakob hatte den Grafen nicht lange überzeugen müssen. So ein Gast würde ein bisschen Abwechslung bringen und mit etwas Glück vielleicht so manche Neuigkeit über den Kriegsverlauf.

      10

      Der Graf spürte einen erstaunlichen Appetit, trotz der zügellosen Völlerei zu Ehren des Gastes am vorigen Abend. Einen Grund zum Saufen fand er ohnehin immer, auch wenn die Gicht anfing, ihn zu plagen. Noch erstaunlicher war, dass er sich offenbar Zeit nahm, mit seinem Gast zu sprechen – quälte ihn doch die von der Gräfin brutal erpressten Informationen. Er hatte einen Bastard unter seinem Dach genährt. Intuitiv glaubte er, den Mönch für seine Rache an Heinrich Schlachmann, am besten an seiner ganzen Familie, einspannen zu können.

      Der Mönch überlegte seinerseits, wie er den Grafen in seine Pläne einbauen konnte.

      So saßen sich also zwei Männer in der verwaisten Halle gegenüber, die sich gegenseitig von Nutzen sein könnten. Noch aber beäugten sie sich. Es roch nach Essen und nach Bier. Der Graf war schon wieder bei der Mumme angekommen, während der Dominikanermönch nur so tat, als ob er mithielte. Da der Mönch hatte verlauten lassen, mit dem Grafen etwas besprechen zu wollen, musste er den ersten Zug machen. Er tat es geschickt und bald wussten sie, dass ein gemeinsamer Feind zu bekämpfen, am besten zu töten war.

      Der Mönch war es, nachdem er dem Grafen lange zugehört hatte, sich die Gegebenheiten in der Stadt Braunschweig hatte schildern lassen, der einen teuflischen Plan entwickelte. Er hatte natürlich nicht versäumt zu erwähnen, dass er im geheimen Auftrag der spanischen Inquisition unterwegs war. Der Graf, der sich nunmehr als Mitwisser einer geheimen Mission, wer weiß, was noch alles dahinter steckt, fühlte, stimmte erregt zu – ohne Wenn und Aber.

      Schon am nächsten Tag fing er an, die verabredeten Vorbereitungen zu treffen.