Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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      „Weißt du auch, ob er das wirklich will? Vielleicht will er ja was ganz anderes. Trotzdem: Er ist unser Sohn und wird seine Pflicht tun. Geradlinig wie ein Braunschweiger eben“, spöttelte Sarah ein wenig und stieß Heinrich sanft in die Seite.

      „Hmmh.“

      „Da ist noch mehr. Michael. Er hat nichts gesagt, aber ich spüre es. Es geht was in ihm vor.“

      „Ich dachte immer, dass er sich bei Kaufmann Hermann Schrader wohlfühlt. Eine tüchtige Familie. Hermann ist auch im Rat, wie du weißt.“

      „Ich glaube, dass er mehr will. Viel mehr!“

      „Du und deine Ahnungen …“

      „Hast ja recht, Heinrich. Sieh, wie schön wir es hier haben im Meinhardshof.“

      Sarah dachte über ihr Heim nach. Sie ging in Gedanken durch die Diele. Dann hatte sie die große Küche zum Hof hin vor Augen, dachte an das Federvieh, das von Magd Erna versorgt wurde, an die Schlafkammern im Anbau für die Gesellen und das Gesinde gleich über der Werkstatt. Ihr besonderer Stolz aber waren die bleiverglasten Fenster im Erdgeschoss.

      „Weißt du noch, wie die Leute sich das Maul zerrissen haben wegen meiner kupfernen Badewanne?“

      „Na, na, redet so eine Dame aus gutem Hause?“

      „Ach was! Mit dem Pferd war es genauso. ‚Hat die Dame doch ein Reitpferd auf dem Lande stehen! Ein Reitpferd! Man stelle sich das einmal vor!‘“

      Heinrich musste jetzt herzhaft lachen. Bei einem befreundeten Bauern hatten sie ein Pferd in Pflege. Dafür erledigte Heinrich manchmal ein paar Schmiedearbeiten für ihn – natürlich kostenlos.

      „Allerdings, mit der Hochzeitstruhe hast du alle Damen zum Verstummen gebracht.“

      „Das stimmt“, lachte jetzt auch Sarah.

      Es war eine rote Truhe. Die Farbe war eigentlich für ihren Stand nicht erlaubt. Niemand traute sich allerdings, wohl aufgrund des Ansehens der Familie Heinrich Schlachmann, die Angelegenheit öffentlich zu verfolgen.

      „Und der Inhalt erst“, prustete Sarah los. „Ich glaube, da ist so manche Dame vor Neid erblasst.“

      „Na also, mein Schatz. Du kannst wieder lachen.“

      „Du bist ein Schuft! Übrigens, Heinrich, wir wollen nächstes Wochenende schlachten. Es ist wieder so weit. Das heißt, dein geliebter Stammtisch fällt für dich aus.“

      „Wieso?“

      „Es ist der erste Samstag im Monat Februar.“

      „Na ja, macht nichts. Ich wollte ohnehin erst mit Camann reden.“

      „Mit Camann? Worüber denn?“

      „Ach, so dieses und jenes. Männergespräche eben.“

      Niemand konnte es wissen, aber das Schicksal hatte begonnen, einen unheilvollen Sud zu brauen.

      6

      Es ging zwar ständig bergauf, aber er merkte es kaum. Zu sehr war er in Gedanken versunken. Michael ging oft auf den Nußberg, wenn er über etwas Wichtiges nachdenken musste. Hier oben hatte man einen guten Blick über die Stadt. Es war allerdings ziemlich dunstig. Er wusste aber auch so, dass der Dom an klaren Tagen gut zu sehen war. Heinrich der Löwe hatte ihn seinerzeit mit rotschimmernden Rogensteinen bauen lassen. Wegen der in ihm enthaltenen ganz kleinen Kugelformen, die Fischrogen ähnelten, wurde er so genannt. Abgebaut wurde er direkt vor der Haustür – im Nußberg. Auch die anderen Kirchen waren normalerweise weithin sichtbar. Seine Augen suchten an klaren Tagen immer zuerst St. Andreas, nah am Meinhardshof, seinem Zuhause, gelegen. Auf dem Südturm der Kirche zog jeden Abend die Feuerwache auf.

       Ich muss mich endgültig entscheiden: Hierbleiben und ein relativ sicheres Leben führen, die Tochter des Wallmeisters, Lena, heiraten und … Wie komme ich darauf, Lena heiraten zu wollen? Ich kenne sie ja kaum. Hübsch ist sie ja – mit ihren siebzehn Lenzen, aber …

      Eine Weile war Leere in seinem Kopf. Dann kam dieser immer wiederkehrende Gedanke: Ich muss hinaus.

      Ein paar Tage nach den Schießübungen in der Buchhorst hatte er sich seinen Eltern anvertraut. „Natürlich hätten dein Vater und ich dich gerne hier in Braunschweig gewusst. Wir lieben dich sehr“, hatte seine Mutter etwas traurig gesagt, „aber du musst eben tun, was du tun musst.“

      Das hatte beinahe nüchtern geklungen und doch fing Michael an zu ahnen, was in seiner Mutter vorging. Vater hatte nur gesagt, dass er auf sich aufpassen solle und Alex, den Hengst, nehmen solle und außerdem eine Lederjacke brauche. So was halte ewig.

      Typisch Braunschweiger, dachte Michael im ersten Moment. Etwas schroff vorgetragen, aber pragmatische, brauchbare Vorschläge.

      Heute verstand er, dass es auch in seinem Vater gärte. Sein Vater hatte sich niemals weit von Braunschweig entfernt, nur wenn es sich gar nicht vermeiden ließ: etwa für eine Fuhre Erz aus dem Harz, um ausreichend Musketen und anderes herstellen zu können. Michael hatte noch halbherzig angeführt, dass sein Schulkamerad Jürgen Kalm schon mit vierzehn Jahren nach Hamburg in die Lehre geschickt worden war. Inzwischen sei er bei seinem Onkel Achtermann in Braunschweig beschäftigt, aber gerade auf eine Reise nach Dänemark geschickt worden. Sie hatten sich nur kurz gesehen.

      Vater und Mutter wollen es mir einfach leichtmachen. Noch war es ja auch nicht so weit. Vielleicht im Frühsommer, nach dem Schützenfest. Das wäre ein prima Zeitpunkt. Dann hätte ich auch noch etwas Zeit mit Lena. Ich kann mir über meine Gefühle gegenüber Lena nicht richtig klarwerden, dachte Michael weiter. Wie auch? Es sind erst ganz zarte Bande. Sind es überhaupt irgendwelche Bande? Bruder Hinrich wäre da sicher forscher, musste er lächelnd zugeben.

      Er merkte etwas unbestimmt, dass es ihm in diesem Punkt schwerfallen würde zu gehen.

       Ich muss trotzdem fort. Ich habe Pläne und dazu gehört auch, nach Nürnberg zu den Fuggern zu gehen und zu lernen. Ich bin nicht in eine Kaufmannsfamilie hineingeboren worden. Aber warum sollte ich es nicht schaffen? Fernhandel treiben und …

      „Hallo Michael, bist du schon lange da?“ Alfonso stapfte durch den Schnee auf Michel zu.

      „Komm, Don Alfonso, lass uns zu den Fischteichen des Klosters gehen. Es ist diesig und man sieht ohnehin kaum was.“

      Die Zisterzienser haben die Teiche und das Kloster vor langer Zeit gebaut. Mit all diesen Dingen bin ich vertraut. Es ist eben meine Heimat, schüttelte er den Gedanken ab.

      Sie gingen beide, ohne es verabredet zu haben, in Richtung Waldschenke in der Buchhorst.

      Alfonso war es schließlich, der anfing zu sprechen. Beide hatten einen Humpen Mumme vor sich. „Damals, weißt du. Das war so …“

      Seltsam, dachte Michel. So gestelzt redet Don Alfonso doch sonst nicht, außerdem habe ich meine eigenen Sorgen – diese alte Geschichte …

      Dann floss es aus ihm nur so heraus. Mehr als zwanzig Jahre lang hatte er alles in sich hineingefressen. Anfangs, um seiner Schwester das Leben nicht schwerzumachen und später seines Sohnes Antonio wegen. Er erzählte von Spanien, der Hazienda, den Pferden und dem Leben auf dem Gut und von Don Miguel, der ein echter spanischer Grande gewesen war.

      „Dein Großvater war ein stolzer Mann und deine Großmutter Donna Inez eine ebenso stolze Frau.“ Tränen wollten sich ihren Weg bahnen.

      „Dann mussten wir weg. Die Inquisition, aber da war noch mehr. Vater hatte mit der Silberflotte zu tun und irgendwie auch mit dem Königshaus. Das Buch des Handelshauses sollte uns Geschwistern Aufschluss geben. Aber wir konnten das Geheimnis nicht lüften.“

      Königshaus, schoss es Michael durch den Kopf. Was hat das zu bedeuten?

      „Letztendlich hatten wir es, auch ohne das Geheimnis