Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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hat uns ausreichend mit Geld versorgt. Vielleicht können wir auch länger in unseren jetzigen Unterkünften bleiben und arbeiten. Ich habe mich schon immer für das Druckereiwesen interessiert, eine aufstrebende, moderne Technik.“

      Sarah hatte einigermaßen irritiert geschaut. Du hast dich zeitlebens für Pferde interessiert und sonst für so gut wie nichts, dachte sie, sprach es aber nicht aus.

      „Der Büchsenmacher hat sicher auch nichts dagegen, wenn du ihm die Wirtschaft führst.“

      „Büchsenschmied“, korrigierte ihn Sarah. „Büchsenmacher ist was anderes.“

      Jetzt war es an Alfonso, irritiert dreinzuschauen. „Wer weiß, ob uns nicht auch aufgelauert wird, wenn wir nach Hamburg zu unserem Onkel reisen!“, gab er etwas zusammenhanglos von sich. „Hier sind wir vorerst sicher. Wir bleiben auf alle Fälle zusammen.“

      Sarah hatte den Vorschlag grundsätzlich vernünftig gefunden. Ihr war allerdings nicht entgangen, dass ihr Bruder „auch aufgelauert“ gesagt hatte. Sicher: Dass sie wegen der Inquisition aus ihrer Heimat fliehen mussten, war ihr bewusst. Dass sie in den deutschen Herbergen dauernd auf einen Mönch trafen, war ihr ebenfalls aufgefallen. Aber warum sollte dieser Dominikanermönch auch ihnen auflauern? Sarah beendete ihre Gedanken und stellte ihrem Bruder genau diese Frage.

      Alfonso war nicht umhingekommen, Sarah den eigentlichen Grund für die Verfolgung zu erklären: dass Don Miguel an der Finanzierung der Kaperfahrer beteiligt gewesen war, die damals die spanische Silberflotte aufbrachten, wo immer sie gestellt werden konnte. Dringend benötigtes Silber war dem spanischen Hof dadurch verloren gegangen und den abtrünnigen nördlichen Niederlanden, den Feinden, zugutegekommen. Die spanische Krone hatte also allen Grund dazu, Don Miguel und seine Familie zu verfolgen.

      Alfonso hatte seiner Schwester mitgeteilt, was er wusste. Ergänzt mit seinen Vermutungen ergab das für Sarah ein durchaus plausibles Bild, wenn es auch nicht ganz der Realität entsprach: Don Miguel hatte eine geheime Abmachung mit Königin Isabella getroffen. Das allerdings konnten beide nicht wissen.

      „So hat es Sarah mir erzählt“, dachte Heinrich Schlachmann laut.

      „Was hat dir Mutter so erzählt, Vater?“ Michael hatte mitbekommen, dass sein Vater intensiv nachdachte, und konnte jetzt einhaken.

      „Ach, Mutter grübelt wieder über dem Handelsbuch – nach so langer Zeit. Warum nur?“

      Heinrich war schon wieder in seinen Gedanken versunken. Diese Neuigkeiten hatten sie damals erstaunlicherweise kaum aus dem Gleichgewicht gebracht. Ihr Vater war schließlich Fernhandelskaufmann und seiner Art nach alles andere als ein Politiker, hatte sie mit der Naivität der Jugend selbstbewusst verkündet. „Wahrscheinlich habe ich mich schon damals in Sarah verliebt“, hielt Heinrich wieder ein kurzes Selbstgespräch und stapfte weiter durch den Regen. Michael musste schmunzeln.

      Sarah hatte tief in ihrem Innersten gewusst, dass ihr Vater nicht immer unbedingt legal gehandelt hatte. Sie redete sich aber ein, dass er triftige Gründe dafür gehabt haben musste. Sie wusste schließlich auch, dass die Juden seit Jahrhunderten in Südspanien drangsaliert wurden. Dass ihre Familie konvertiert war, hatte sie einfach verdrängt. Geärgert hatte sie sich im Wesentlichen nur deswegen, weil man sie als Kind angesehen und somit nicht eingeweiht hatte.

      Zwei Jahre später haben Sarah und ich geheiratet. Wie das Leben eben so spielt. Heinrich lächelte still vor sich hin. Schade nur, dachte er, wieder ein wenig ernster, dass mein Schwager Alfonso weniger Glück gehabt hat.

      Seine Frau war bei der Geburt seines Sohnes Antonio im Kindbett gestorben. Alfonso hatte von Schicksal gesprochen, kümmerte sich liebevoll um seinen Sohn und blieb als Witwer allein.

      Im Geschäft hatte er gottlob mehr Glück. Prokurist in der Druckerei von Andreas Duncker ist ja keine Kleinigkeit. Tüchtig, tüchtig, konstatierte Heinrich. Na ja, der junge Herr Duncker hatte auch nie recht Lust auf das Kaufmännische. Genauso wenig wie unser Hinrich zum Büchsenschmieden. „Ein brauchbarer Geselle ist er trotzdem geworden“, brummte Heinrich Schlachmann und befand sich zusammen mit Michael, ohne es recht gemerkt zu haben, bereits vor dem Wirtshaus „Haus zur Hanse“.

      Ratsherr Stender stand vor der Tür des Gasthofs und brüllte, sich schüttelnd vor Lachen, Heinrich Schlachmann zu: „Bist du auch schon da, Büchsenschmied? Hattest wohl einen Rohrkrepierer, was?“

      Heinrich klopfte sich den Regen vom Umhang und seinem ledernen Hut. Der da hinten im Dunst das Weite sucht, hat einen Gang wie unser zweiter Geselle, dachte Heinrich, den Ratsherren ignorierend. Was aber sollte Otto in dieser Gegend zu suchen haben und dann noch bei diesem Wetter?

      Michael, der die Gestalt ebenfalls wahrgenommen hatte, war sich sicher: Es war Otto.

      „Was stehst du hier draußen, Kämmerer?“

      Heinrich wartete die Antwort nicht ab und ging an ihm vorbei ins Wirtshaus. Michael folgte ihm auf dem Fuße.

      Warum der zu unserem Stammtisch gehört, ist mir immer noch nicht klar. Ich war damals nicht dabei, als er dazukam, dachte Heinrich auf dem Weg durch die verqualmte Gaststube. Er soll sich ja förmlich aufgedrängt haben. Camann hatte damals jedenfalls ganz offensichtlich nichts dagegen. Verstehe es, wer will!

      „Guten Abend, Heinrich und Michael“, kam es den beiden aus der Runde entgegen. Es waren schon alle da.

      „‘n Abend.“

      „Du kommst gerade recht“, eröffnete Andreas Duncker. „Wir haben die große Politik am Wickel. Hast Du den AVISO gelesen?“

      Michael setzte sich ohne viele Umstände. Große Politik ist gut, dachte er. Das kann ein spannender Abend werden.

      „Ja, habe ich, aber erst mal möchte ich ankommen, dann einen Humpen Mumme vor mir haben und dann bin ich bereit, mit euch die Welt zu retten.“

      „Recht so!“, rief Camann in die Runde. „Wir wollen immerhin auch Spaß am Stammtisch haben.“

      „Er hatte einen Rohrkrepierer“, mischte sich Kämmerer Stender ein, der gerade wieder hereingekommen war. Brüllend vor Lachen ließ er sich auf einen Stuhl plumpsen. Keiner der Anwesenden fand es wirklich lustig.

      „Du hast zu viel getrunken, Kämmerer, schon bevor du hier eintrafst. Was gibt es denn zu feiern?“, fragte der Wallmeister sichtlich ungehalten.

      „Geschäfte. Gute Geschäfte“, platzte es aus dem Kämmerer heraus. Unmittelbar nach diesem letzten Ausbruch wurde er plötzlich merkwürdig still.

      Michael verlegte sich aufs Zuhören und Beobachten und machte sich so seine Gedanken.

      Heinrich dachte sich nach dem ersten großzügigen Schluck Mumme seinen Teil. Wir sind schon eine illustre Runde. Da ist Camann, der Justiziar der Stadt Braunschweig. Er kommt auch manchmal zu uns nach Hause und Sarah und ich besuchen ihn auch hin und wieder. Dass er als Justiziar einem höheren Stand angehört, interessiert ihn nicht. Sonst wäre er ja auch nicht an diesem Stammtisch. Michael darf sich oft Bücher aus seiner Bibliothek leihen. Warum Ratsherr Stender als Kämmerer der Stadt so viel Wert darauf legt, dabei zu sein, weiß ich nicht. Ein unangenehmer Kerl! Er soll aber was können, wie man hört.

      Heinrich Schlachmanns Blick traf auf Duncker.

      Ja, unser Duncker. Verleger und Drucker seines Zeichens. Seine Geschäfte gehen gut. Unsere Familien sind befreundet. Alfonso arbeitet als Prokurist bei ihm.

      Dann nahm Heinrich seinen Krug Mumme und prostete seinem Nachbarn, dem Wallmeister, zu.

      Ein besonnener Mann, der aber auch mal ausrasten kann, wie eben bei Stender. Feine Pinkel sind nicht seine Sache und den Kämmerer sieht er als solchen an. Heinrich nahm einen weiteren Schluck Mumme.

       Dass der Zeugherr Zacharias Boiling dabei ist, versteht sich von selbst. Schließlich ist er Mitbesitzer vom „Haus zur Hanse“, nachdem er die Wirtin und Witwe Haberland geheiratet hat. Ein