Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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sein Briefpartner war und nicht etwa Bellarmin persönlich, auch wenn der Großinquisitor scheinbar unterschrieben hatte. Immerhin: Zu den Akten wollte man die Sache offenbar noch nicht legen. Selbst die Inquisition hatte Ausdauer.

      Der Mönch fand die Gewohnheiten Alfonsos schnell heraus. Zwar war er selbst beim Grafen in Lucklum zu Gast. Der Pfarrer der Dörfer, die zum Gut gehörten, hatte das eingefädelt. Aber hin und wieder kam er, natürlich in „Zivil“, in die Stadt. Er fand heraus, dass Alfonso wochentags nach seiner Tätigkeit als Prokurist bei der Druckerei Duncker eine Witwe aufsuchte – wohl seine Geliebte. Auf dem Rückweg kam er dann immer um Punkt zehn Uhr am Dom und an der Linde vorbei. Genau hier sollte er nun ins Jenseits befördert werden.

      „Ich werde ihn mit einem Schuss töten und später werden auch die anderen Gottlosen büßen“, zischte der Mönch lauter als beabsichtigt in die Dunkelheit. Die Familienverhältnisse von Alfonso und Sarah hatte er schnell herausfinden können. Mutter, du wärst stolz auf deinen Engel gewesen, sagte er sich in Gedanken.

      Seine Mutter hatte ihn kurioserweise Engel genannt, obwohl er ohnehin den Namen des Erzengels Gabriel führte. Sein brutaler Vater hatte von ihm indes immer nur als „Das Kind“ gesprochen.

      Der Plan war klar: Der Graf hatte sich, nach allem, was geschehen war, bereitwillig in die Machenschaften des Dominikanermönchs einbinden lassen. Er hatte sich großzügig gezeigt, indem er die Wachen am Magnitor mit einem Betrag bestechen ließ, den sie nicht ablehnen konnten. Sie sollten einen Mönch in schwarzer Kutte um ungefähr eine Viertelstunde nach zehn Uhr ungehindert passieren lassen. Nur wenige hundert Meter weiter hatte der Graf einen Knecht mit den Pferden postiert.

      Die Uhr des Doms zählte ihre zehn Schläge in die Nacht. Der Mönch wurde langsam unruhig. Wo ist er? Verdammt! Wieso kommt er heute zu spät? Der Nachtwächter kommt nur zehn Minuten nach diesem Bastard auf seiner Runde hier vorbei, schwirrte es ihm im Kopf herum.

      Alfonso war allerdings nur wenig verspätet. Den Kragen seines Umhangs wegen des nasskalten Wetters hochgeschlagen, ging er wie immer auf direktem Wege in Richtung Linde – und damit seinem Schicksal entgegen.

      Der Dominikanermönch spannte die Armbrust und legte einen Bolzen ein. Alfonso würde so dicht an seinem Mörder herankommen, dass ein Fehlschuss unmöglich war.

      Der Nachtwächter indes war in der Ferne schon zu hören. Ausgerüstet war er mit einer Kurzwaffe, einer Laterne, einem Signalhorn und einer hölzernen Knarre. In einem Notfall würde er die Bürger alarmieren.

      2

      Knapp drei Monate zuvor war die Welt für Michael und seine Familie noch in bester Ordnung. Es lebte sich gut im Meinhardshof und auch in der freien Reichsstadt Braunschweig allgemein. Es herrschte eine friedliche und fast sorglose Stimmung. Der Krieg hatte die Stadt bisher verschont, Friede allenthalben.

      Sein Vater Heinrich Schlachmann war ein angesehener Büchsenschmied, zuweilen etwas mürrisch und wortkarg. Aber das war nur die Oberfläche. Michael verstand sich mit allen gut: insbesondere mit seinem älteren Bruder Hinrich, Nesthäkchen Anna und schließlich seiner Mutter Sarah, die er innig liebte.

      Seine Freundin Lena liebte er auch, natürlich anders, aber bis er dieses Gefühl wirklich erleben sollte, würde er noch viele Umwege auf seinem Lebensweg einschlagen müssen.

      Michaels Onkel Alfonso gab ihm gelegentlich und bereitwillig Waffenunterricht. Seine Mutter sah das zwar nicht gern, letztlich nahm sie es aber immer mit einem tiefen Seufzer hin.

      Michael und Alfonso nahmen das Kloster Riddagshausen, das in der Ferne eine schöne Silhouette abgab, kaum zur Kenntnis. Sie kutschierten ihr Fuhrwerk direkt auf den Wald, die Buchhorst, zu. Dort schleppte jeder seinen „Kartoffelsack“ bis zu einer großräumigen Lichtung. Don Alfonso transportierte so eine Muskete und eine Jagdbüchse. In Michaels Sack waren zwei Pistolen, zwei Degen und ein Kurzschwert. Mit der Ladung durch das Tor zu kommen, war nicht sonderlich schwer. Es war Sonntag und sie würden den Wachen auf dem Rückweg einen Siphon mit drei Litern Bier aus dem Gliesmaroder Turm und einen schönen Gruß vom Büchsenschmied Heinrich Schlachmann dalassen. Die Wachsoldaten wussten das. Wer wollte da noch kontrollieren, zumal es ja öfter vorkam, dass Michael und Alfonso sonntags mit dem Wagen unterwegs waren. Lieber nicht zu neugierig sein, dachten sie sich wohl.

      Ganz ungefährlich waren diese Unternehmungen dennoch nicht. Es war den Schützen, die in Gilden organisiert waren, und allen anderen Bürgern natürlich auch bei Strafe verboten, an einem Sonntag Schießübungen durchzuführen, es sei denn, es fand ein offizielles Schützenfest statt. Wann aber sollten die beiden sonst üben? Im Sommer ging es manchmal auch alltags, da war es länger hell. Im Winter war nach der Arbeit daran jedoch nicht mehr zu denken. Ohnehin wurden die Stadttore bei einbrechender Dunkelheit geschlossen. Don Alfonso – Michael sagte schon seit den Kindertagen Don Alfonso zu seinem Onkel und so war es geblieben – war immerhin Prokurist und konnte die Druckerei nicht einfach früher verlassen.

      Michael war gut im Gebrauch der Waffen. Sein Onkel konnte ihm schon lange nichts mehr beibringen. Irgendwie war er ein Naturtalent. Die wöchentlichen Übungen genossen sie, auch wenn Sarah wegen des Feiertages jedes Mal den Kopf schüttelte. In Michaels jüngeren Jahren unterrichtete Alfonso ihn auch in Geschichte und vielen anderen Fächern, obwohl Michael ohnehin die Lateinschule besuchte. Aber er war äußerst wissbegierig. Über die Jahre konnten sie sich auch in kaufmännischen Dingen austauschen, soweit es nicht die Geschäftsgeheimnisse ihrer Dienstherren betraf. Michael war beim Fernhändler Schrader und Alfonso in der Druckerei von Andreas Duncker beschäftigt. Das konnten sie jedoch gut trennen. Schade aus Michaels Sicht war lediglich, dass er so wenig zum Reiten kam. Auf dem Land waren sie nur ein- bis zweimal im Monat.

      Michael legte die Waffen auf der Lichtung zurecht, ordnete sie in Reih und Glied an. Er kannte sich gut aus. Seine Lieblingswaffen waren die Jagdbüchse und die Radschlossreiterpistole. Es folgten das Kurzschwert und der Dolch. Don Alfonso wurde in seiner Jugend an all diesen Waffen ausgebildet. Das und vieles mehr gehörte zur Erziehung eines künftigen spanischen Grande dazu.

      „Du wirkst heute etwas nervös, Michael“, bemerkte Alfonso.

      Wieso kann ich das nicht vor ihm verbergen?, dachte Michael. Vor Mutter kann ich auch nichts verbergen, glaube ich.

      „Ich möchte mit dir etwas besprechen, dich um deinen Rat fragen. Lass uns aber erst unsere Übungen durchführen.“

      Michael nahm die Muskete, schüttete Zündkraut in den Lauf, schob, als ob er nie etwas anderes gemacht hätte, eine mit etwas Stoff umwickelte Bleikugel hinterher und stopfte dann Kugel und Pulver mit dem Ladestock fest. Ein Gabelstock war für seine Muskete nicht mehr erforderlich. Sie wog nur noch knapp fünf Kilo. Die älteren Ausführungen hingegen wogen bis zu fünfzehn Kilo. Michael gab noch etwas Schwarzpulver auf die Zündplatte, spannte die Lunte in die Zündvorrichtung, legte an und feuerte. Alfonso und Michael hatten irgendwann einmal eine mannshohe Figur aus Brettern in etwa fünfundsiebzig Metern Entfernung als ständige Zielscheibe aufgestellt. Da so eine Muskete nicht besonders treffsicher war, würde sie noch lange halten. Zum Schluss übten sie sich noch im Kampf mit Kurzschwert und Dolch.

      „Deutlich in die Knie gehen, Michael, und das Kurzschwert mit dem rechten Arm nach oben strecken. Der Gegner wird auf das Schwert schauen und du kannst mit dem Dolch in der linken Hand von unten in den Oberschenkel stoßen.“ Michael führte die Übung „trocken“ aus.

      „Du bist ein Krieger, Michael, ein Krieger. Dieser Ernst in seinem Tonfall, dachte Michael. Er meint das wirklich so. Wieso ein Krieger? Es macht einfach nur Spaß, eine Waffe zu beherrschen.

      „Also, was willst du mit mir besprechen?“

      Michael brachte es einfach nicht heraus. Er hatte bisher mit niemandem über seine Pläne gesprochen.

      „Du willst weg von hier. Fort, raus in die Fremde. Du willst dir den Wind um die Nase wehen lassen. Träumst von Abenteuern und hübschen Mädchen. Wann soll es denn losgehen?“

      Michael starrte seinen Onkel aus wasserblauen