Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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war nun mal die Runde und so würde sie auch bleiben. Was ein Braunschweiger einmal entschieden hat, ändert er so schnell nicht wieder, schloss Heinrich seine Gedanken ab.

      In der Gaststube war es warm, fast zu warm. Das Feuer prasselte nur so im Kamin. Tabakrauch hing in der Luft.

      „Prost zusammen!“ Heinrich nahm den Faden wieder auf, den zuvor Andreas Duncker gesponnen hatte. „In der Zeitung war zu lesen, dass der niedersächsische Raum kaiserlich geworden ist. Nun, das wissen wir ja alle. Allerdings haben wir Braunschweiger uns bisher erfolgreich gegen eine kaiserliche Besatzungstruppe gewehrt. Wir sind weiterhin eine offene Stadt. Übrigens: Magdeburg auch!“

      „Offen ist unsere Stadt schon – für die Katholischen“, warf der Wallmeister ein. „Die kaiserlichen Offiziere verkehren jedenfalls ungehindert in ‚Friedrich Ulrichs offener Schankstube‘“.

      „Daher der Name ‚offen‘“ blubberte der Kämmerer Stender dazwischen. „Nach der Schlacht bei Lutter sind wir eben auch ‚offen‘ zu den Kaiserlichen übergegangen und seitdem gut katholisch – wie wir Braunschweiger sagen.“

      Diesmal lachten alle.

      Heinrich fuhr fort. „Es heißt im AVISO, dass Ferdinand – na ja, eigentlich Wallenstein da oben im Norden – die dänischen Truppen unter Christian IV. besiegt hat. Jetzt soll der Kaiser über ein Restitutionsedikt nachdenken. Es soll angeblich schon im März 1629 in Kraft treten. Dann müssten wir Braunschweiger die katholischen Kirchengüter zurückgeben, etwa das St. Ägidienkloster. Da gehören immerhin ziemlich große Ländereien dazu.“

      „Also nächstes Jahr schon? Wenn das passiert, setzen sich wieder die Pfaffen bei uns fest“, kommentierte Duncker ohne besondere Leidenschaft. „Mir wäre das eigentlich wurscht. Wichtiger wären mir mehr Druckaufträge. Aber der Herzog lässt ja bei Julius Adolph von Söhne in Wolfenbüttel drucken.“

      „Den Herzog lass mal ruhig in Wolfenbüttel bleiben“, schmunzelte Heinrich.

      „Hast ja recht, aber den AVISO druckt er auch“, ließ sich Duncker noch einmal vernehmen.

      „Da macht euch mal keine großen Sorgen“, mischte sich endlich Camann ein.

      Augenblicklich wurde es ruhiger in der Runde. Wenn der Justiziar etwas zu einem ernsteren Thema beitragen wollte, war es immer wohl überlegt. Auch Michael spitzte die Ohren.

      „Erinnert ihr euch noch an den Kanonendonner von Lutter am Barenberge? Man konnte ihn bis in die Stadt hören. Wir sind damals, Rat und Landesherr in trauter Eintracht, eben typisch braunschweigisch, offen zu den Kaiserlichen übergegangen. Haben dreißigtausend Taler gezahlt und Lebensmittel zum halben Preis für das Tilly-Heer geliefert. So sind wir allerdings einer Besatzung entgangen.“

      „Komm endlich zur Sache“, drängte Duncker.

      „Der Rat hat sich im Frühjahr schriftlich an den Feldherrn, Sieger von Lutter am Barenberge, Graf Tilly, gewandt und darum gebeten, Zeit zu gewähren, weil wir ein so wichtiges Thema mit den verbündeten Hansestädten erst besprechen müssten. Bis dahin möge es bei der freien Ausübung der Konfession gemäß Augsburger Ver…“

      „Geht es auch ein bisschen weniger umständlich?“, grinste der Wallmeister.

      „Schnell, Wirt, eine Runde Mumme, bevor die Vorlesung weitergeht“, mischte sich einmal mehr der Kämmerer ein.

      „Gut, meine Herren. Wichtiger ist ohnehin etwas anderes. Aber noch mal schnell abschließend: Tilly ist Soldat und kein Politiker. Nach meiner Einschätzung wird er die Angelegenheit an die kaiserliche Kommission …“

      „Camann, was ist wichtiger?“, schnaubte jetzt der Wallmeister.

      „Hmmh, ja, ich will es mal so sagen:“

      „Dann sag es“, forderte jetzt auch Heinrich.

      Michael staunte ein wenig über seinen sonst so gelassenen Vater.

      „Für einen dauerhaften Ausbau der Kaiserlichen – oder sollte ich sagen: der habsburgischen Macht“, (Geraune am Tisch), „ist es wichtig, sowohl Braunschweig als auch Magdeburg zu besitzen. Wir konnten uns bisher erfolgreich wehren wie schon fast immer auch gegen unseren Landesherrn und haben unsere Selbstherrlichkeit bis zum heutigen Tage behalten. Wie übrigens fast alle Hansestädte. Anders steht es um Magdeburg. Die Stadt wird schon seit Monaten belagert. Tilly muss erst Magdeburg einnehmen, bevor er an andere Überlegungen herangeht. Die Stadt ist für ihn eine feindliche Festung geworden. Sie haben sogar eine schwedische Besatzung in ihren Mauern aufgenommen, um sich zu verteidigen. Tilly kann nicht anders. Er muss Magdeburg einnehmen.“

      Wir beliefern die Kaiserlichen sogar mit Waffen und Munition, ihr Besserwisser. Das sind Geschäfte. Gute Geschäfte, dachte Kämmerer Stender grinsend.

      „Du siehst erstaunlich fröhlich aus bei so einem ernsten Thema“, brummte der Wallmeister wieder.

      Michael erinnerte sich jetzt, den Kämmerer in letzter Zeit häufiger mit dem Zeugherrn gesehen zu haben. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, haben sie doch beruflich miteinander zu tun, dachte er. Aber jedes Mal war offenbar ein Streit im Gange. Zeugherr Boiling hatte dabei immer wild gestikuliert. Das war so gar nicht seine Art.

      „Im AVISO stand auch, dass man ein Mönchlein im Bordell entdeckt hatte. In Prag soll das gewesen sein. Ob der auch einen Rohrkrepierer hatte“, schüttelte sich Stender vor Lachen.

      „Lasst ihn doch. Er ist betrunken“, kam es mehrfach aus der Runde.

      Etwas versöhnt ließ sich der Wallmeister wieder vernehmen: „Der Krieg geht schon seit 1618, seit dem Prager Fenstersturz. Wir sind zwar im Moment politisch gut katholisch, aber immer noch evangelisch und vor allem sind wir eine freie Stadt. Wir werden von den Kaiserlichen nicht mal belagert. Mit unserem Herzog hatten wir dagegen schon hin und wieder mal das Vergnügen, was ihm allerdings nichts genützt hat.“

      „Der große Krieg kommt auch in den Norden. Verlasst euch darauf!“, bemerkte der Kämmerer relativ ernst.

      „Ist er ja schon“, kam es von Heinrich.

      Ihn machte das Gespräch langsam ziemlich nachdenklich.

      „Bis jetzt hatten wir glückliche Tage. Wenn nur der Bruder des Herzogs, der tolle Halberstädter, nicht so ein Kriegstreiber gewesen wäre! Man sagt, er schwärmte damals für die Gattin des Winterkönigs und prompt zog er als neunzehnjähriger Dragonerhauptmann mit in die Pfalz, um König Matthias zu unterstützen.“

      „Pass auf, dass du keinen Hochverrat begehst, sonst geht es dir wie seinerzeit Brabandt.“

      „Papperlapapp, Kämmerer“, schimpfte Camann sofort los.

      Der Bürgerhauptmann Brabandt hatte damals eine Gruppe unzufriedener armer Teufel angeführt. Man nannte es dann Anstiftung zur Aufruhr und Eingehung eines Bündnisses mit dem Teufel. Unter Folterqualen hatte Brabandt alles zugegeben. Er wurde bestialisch auf dem Hagenmarkt in den Tod geschickt. Erst wurde ihm der Schwurfinger abgehauen, dann entmannte man ihn mit glühenden Zangen. Schließlich schnitt man ihm den Bauch auf und riss ihm das Herz heraus. Der Körper wurde anschließend enthauptet und dann gevierteilt. Dass der Pastor von der Katharinenkirche der Hinrichtung einen Gottesdienst vorausgeschickt hatte, machte das Ereignis auch nicht erfreulicher.

      Jeder in der warmen, verqualmten Schankstube kannte die Geschichte.

      „Mein Bruder Johann war dabei“, setzte Heinrich Schlachmann an, „als der tolle Halberstädter, Herzog Christian, 1621/22 durch die hessischen und westfälischen Lande zog. Mehr raubend und plündernd als Krieg führend bis auf kleine Gemetzel. Johanns junge Frau, die im Tross als Marketenderin mitzog …“

      „Als Marketenderin, so, so“, schnalzte der Kämmerer süffisant.

      „Wenn du nicht endlich dein Schandmaul hältst, geht es dir wie Albrecht von Vechelde“, giftete ihn der Wallmeister an.

      Das war lange her, aber auch diese Geschichte kannte jeder und dennoch wurde sie immer wieder gern erzählt.