Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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Was sollte er auch tun? Hexen, Brandstifter und Zauberer wurden nach ihrem Geständnis verbrannt. Gestand er nicht, das war bisher der Fall, würde man ihn foltern, bis er gestand. Ibrahim hatte ihn genau aufgeklärt.

      „Na, Zauberer, dann nimm mal Platz“, fistelte Meister Hans.

      Er würde alles an Willenskraft aufbieten, um nicht zu gestehen, nahm sich Miguel vor, während er auf die Folterbank gedrückt wurde. Ehe er sich versah, bekam er Daumenschrauben angelegt. Der Druck war kaum noch auszuhalten.

      „Ihr elendigen Hunde“, schrie er. Nur um zu erreichen, dass die Schrauben von seinem dickwanstigen Henkersknecht noch weiter angezogen wurden.

      Miguel versuchte, an seine Heimat zu denken. Das Leben in Cordoba. Es ging nicht lange.

      „Aufhören! Aufhören!“ Er spürte nichts mehr in den Händen, vermutlich waren die Nervenbahnen durch das Zerquetschen der Finger abgetrennt. Ich kann noch denken, stellte er mit einem Mal erstaunt fest.

      „Hast du die Kinder verzaubert und getötet? Gestehst du oder möchtest du zu den Daumenschrauben noch die Beinschrauben spüren? Es sind übrigens spanische Daumenschrauben, Jude. Die müsstest du doch kennen, oder?“

      Der Henkersknecht arbeitet eindeutig mit dem Mönch zusammen. Woher sollte er sonst solche Details kennen, ging es Miguel durch den Kopf. Trotzdem, nicht aufgeben. Ibrahim hatte ihm gesagt, dass eigentlich nur eine Viertelstunde gefoltert werden durfte. Eigentlich. Er spürte das Blut aus den Fingern tropfen und dachte noch: Spanische Daumenschrauben. Welche Ironie.

      Als Miguel die Augen aufmachte, sah er als Erstes Ibrahim. Irgendwie ist er immer dann da, wenn ich aufwache, dachte er und spürte sofort seine Schmerzen. Höllische Schmerzen, aber die Blutung hatte offenbar aufgehört.

      „Komm, ich halte dir den Becher. Trink etwas. Und essen musst du auch. Ich habe Hühnersuppe dabei.“

      „Wozu Ibrahim? Entweder ich brenne oder sie foltern mich zu Tode.“

      Ich soll vermutlich zu Tode gefoltert werden, dachte er, sonst hätte schon längst der Scheiterhaufen gebrannt. Der spanische katholische Inquisitor in der Verkleidung eines Dominikanermönches fürchtet vermutlich doch politische Verwicklungen oder ein Scheitern seines Vorhabens. Immerhin sind wir hier im Herzogtum Braunschweig–Lüneburg, nach der Reformation überwiegend evangelisch, was den Rat der Stadt offenbar nicht davon abhält, wegen angeblicher Zauberei mit Todesfolge foltern zu lassen. Der Fürst jedenfalls hält es eher mit dem dänischen König, um mitzuhelfen, Norddeutschland vor dem Zugriff der katholischen Seite zu bewahren. Bestechliche Folterknechte aber werden das Werk schon vollbringen, egal ob katholisch oder evangelisch. Hans ist ja offenbar besonders eifrig.

      „Miguel, höre, was Pufendorf sagt. Er war übrigens ganz erstaunt darüber, dass du nicht gestanden hast. Das kommt fast nie vor. Also, noch eine Vorlesung. Das Carolina, also das Strafgesetzbuch, schreibt vor, dass die Todesstrafe nur bei nachgewiesenem Schadenzauber zu verhängen ist. Wenn es also gelingt, die Folter zu überstehen, ist man vom Verdacht der Zauberei befreit.“

      „Ibrahim, ich habe die Folter überstanden, wenn auch ziemlich lädiert.“

      „Ja“, antwortete Ibrahim ungewöhnlich leise für seine Verhältnisse, „Pufendorf hat mir aber auch von einer Besprechung des Gerichts berichtet, in der genau dieser Umstand das Thema war. Er selbst hatte wahrheitsgetreu die Carolina zitiert, nicht zuletzt um dir zu helfen, oder mir. Du weißt ja, meine Zuwendungen. Der Mönch war es, der dann den Vorschlag machte.“

      „Was für einen Vorschlag?“

      „Man solle die Folter nur als unterbrochen ansehen, um den Angeklagten etwas zu schonen. Auf diese Weise gäbe es kein zweites Mal, sondern das erste Mal würde nur fortgesetzt werden.“

      „Und?“

      „Man hat es so beschlossen. Aber vielleicht schaffst du es ja. Du bist unglaublich stark gewesen, bisher. Eine dritte Folter wird es nicht geben.“

      „Vielleicht Ibrahim, vielleicht.“ Ein kleiner Hoffnungsschimmer war da.

      „Ibrahim, du besorgst alles wie besprochen. Es wird dein Schaden ja nicht sein, wie du weißt. Eine letzte Bitte, für den Fall, dass wir uns nicht wiedersehen: Sorge für meine Beerdigung und beschreibe meinen Kindern die Stelle meines Grabes. Und nun geh. Gott möge dich segnen. Schalom.“

      „Schalom, Don Miguel. Gott möge dich segnen.“

      Ibrahim ging mit Tränen in den Augen durch die Zellentür.

      Miguel stank inzwischen wie das von einem Jäger im Wald liegen gelassene Gedärm eines Wildschweins. Seine Wunden waren mit eiterndem Schorf bedeckt. Die verkrusteten und verfilzten Haare hingen ihm bis auf die schmaler gewordenen Schultern. Schwarz wie früher waren sie nicht mehr, eher grau mit vielen weißen Strähnen. Die Augen waren fiebrig gerötet und seine Gliedmaßen übel geschwollen.

      Habe ich noch eine Chance? Es muss doch eine Möglichkeit geben, marterte Miguel sein Hirn.

      Er versuchte eine Weile, die Schmerzen zu verdrängen.

      Sollte ich versuchen, den Mönch zu bestechen? Warum sollte er nicht schwach werden, wenn die Summe nur hoch genug ist?

      Seine innere Stimme gab ihm jedoch sofort die passende Antwort. Unsinn. Dieser verteufelte Dominikanerpfaffe hat mich schließlich bis nach Celle verfolgt, um mich zu töten. Es gibt … keine Hoffnung mehr.

      Miguel legte sich in das verkotete übel riechende Stroh. Das Rascheln der Ratten darin störte ihn schon lange nicht mehr. Die höllischen Schmerzen kamen wieder. Gedanken bahnten sich ihren Weg.

      … Inez … Verzeih mir. Ich hätte auf dich hören sollen. Warum nur habe ich nicht auf dich gehört? … Wir hätten aus Cordoba weggehen sollen … früher weggehen sollen … gleich nach den ersten Anzeichen … weg … nur weg. … Die Hazienda, das schöne Stadthaus … Bist du es, Inez? Die Kinder, sagst du? Ja, die Kinder … Sarah und Alfonso … Pferde … Ich bin schuld an deinem Tod … Schuld an allem … Die Kinder … alleine in Braunschweig. Warum nur konnte ich mich nicht entscheiden? … Es war das Geld, nur das Geld. Wir hatten doch genug. … Inez, bist du es? Ja, die Silberflotte … die Kaperfahrer. Ich habe sie mitfinanziert … wollte mehr Geld … Geschäfte, Geschäfte mit der neuen Ostindischen Kompanie. … Du bist im Kerker gestorben, Inez. Durch meine Unentschlossenheit. Immer kam was dazwischen. Vaters Tod. Und dann … die Kinder waren so glücklich auf der Hazienda. Geschäfte. Die Königin … aber der Handel hat nicht geklappt. Jetzt bin auch ich im Kerker … Inez. … Vater? … Vater, was ist das für ein Geheimnis? Wer ist der Hüter des Geheimnisses? … Was bedeutet … Inez, bist du es? … Alfonso? … Sarah? …

      Das trockene Knarren der Zellentür tönte in das Verlies. Es hörte sich an wie das Öffnen der Klappe eines Galgengerüstes.

      Der Feuerkorb mit der Glut darin war wieder da. Sollte er nur irgendwie der Einschüchterung dienen? Heute Nacht war es ihm klar geworden. Sie werden mich zu Tode foltern. Auf nichts anderes zielte der Vorschlag des Dominikaners. Dadurch entfällt der Scheiterhaufen und öffentlich wird kaum einer Notiz von meinem Tod nehmen.

      „Wie wäre es heute mit neuen Stiefeln, Jude? Braunschweiger Stiefel! Ich zeige sie dir.“

      Die sehen aus wie Schraubstöcke, wie Schmiede oder Schlosser sie benutzen. Damit sie besser wirken, haben sie wohl diese großen gezackten Backenränder. Erst spanische Daumenschrauben und jetzt das. Die Ironie des Schicksals lässt mich wahrlich nicht im Stich. Na gut, ich war zeitlebens Optimist und ein lebensfroher Mensch. Damals in Cordoba. Wir hatten das Stadthaus und eine Hazienda etwas außerhalb am Fluss ... gelegen.

      Während Meister Hans die „Stiefel“ weiter anzog, dachte er sich, schon halb ohnmächtig, in die Vergangenheit.

      Es ist wunderschön mit Donna Inez auf der weitläufigen Veranda im Schatten. So friedlich. Sarah und Alfonso sind trotz der Hitze bei den Pferden. Sie sind doch immer bei den Pferden, lacht seine schöne Frau. Sie kommen auch ihren Pflichten nach, überlegte Miguel. Ihre Lehrer unterrichten sie in vielfältigen