Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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einigermaßen gut.“

      „Woher weißt du von mir und warum bringst du dich in Gefahr, indem du mich hier besuchst, Ibrahim Maintz? Warum willst Du mir überhaupt helfen? Woher kennst Du meinen Namen?“

      „Wir Juden helfen einander, überall auf der Welt, das weißt du und es ist offenbar auch notwendig. Alles andere später. Ich werde wenig genug für dich tun können.“

      Ibrahim kleidet sich nicht wie ein Jude, eher wie ein hiesiger Kaufmann, schätzte Miguel ihn ab. Der will wohl so wenig wie möglich auffallen. Seine große krumme Nase allerdings verrät eindeutig seine Herkunft. Zu Hause, im Kreise seiner Familie, wird er vermutlich seinen langen Kaftan mit den weiten gemütlichen Ärmeln tragen. Ich sollte ihm nicht sagen, dass meine Familie schon seit Langem konvertiert ist.

      „Mach Dir keine Sorgen, ich habe da meine Mittel und Wege“, sagte Ibrahim.

      Juden haben immer Mittel und Wege, dachte Miguel. Fast immer.

      „Kann ich dir also einen Wunsch erfüllen? Sie werden dich hier nicht mehr rauslassen. Der Mönch sorgt dafür, nach allem, was ich höre.“

      „Ja, ich weiß. Ich habe da einen Wunsch Ibrahim, einen großen Wunsch. Ob du das hinbekommst?“

      „Rede schon.“

      „Bring Papier, ausreichend. Und Feder und Tinte. Tisch und Stuhl wären auch nicht schlecht, um besser schreiben zu können. Und vor allem, du müsstest den Schreiber spielen. Mein rechtes Handgelenk ist angebrochen, dabei hat der Prozess noch gar nicht begonnen. Der Folterknecht hat mich aber schon mal besucht, genau wie du“, grinste er.

      „In deiner Situation noch Humor zu haben - alle Achtung. Du kannst deinen Don nicht verbergen. Da nützt auch deine Fuhrknechtskleidung nichts. Ich werde sehen, was sich machen lässt, Don Miguel Franc …“

      „Sag Miguel zu mir. Da wäre noch etwas. Ich habe vor meiner Verhaftung beim Kaufmann Herziger, der auch die Geldgeschäfte hier in Celle betreibt, Dokumente hinterlegt. Weißt du, ich wollte sie nicht in der Herberge haben. Meine Kinder sollen sie zusammen mit dem Brief erhalten.“

      „Schon gut. Wird erledigt. Mach dir keine Sorgen.“

      Ibrahim hatte es tatsächlich geschafft. Wie ein Jude das eben schafft. Sie wählten immer den frühen Morgen zum Schreiben, um sicherzugehen, dass kein Verhör stattfand. Das hohe Gericht bemühte sich immer erst am Nachmittag. Er konnte den Brief also diktieren, seinen letzten Brief an die liebsten Menschen, die er noch hatte – Sarah und Alfonso. Seine Frau und seine Eltern waren tot. Vielleicht würden seine Brüder eines Tages von seinen Kindern benachrichtigt, wenn Gottes Wege es so wollten.

      Am nächsten Tag kam der Syndikus und teilte ihm mit, dass man die Leichen der Celler Kinder durch den Amtsarzt öffnen werde, um festzustellen, ob sie tatsächlich vergiftet wurden. Zwei eingeschworene Zeugen, Barbiere, würden anwesend sein. Danach würde der Rat entscheiden, ob und in welchem Umfang es zum Prozess kommt.

      Niemand konnte wissen, wie der satanische Mönch allen mit der Verfolgung der heiligen Inquisition gedroht und sie eingeschüchtert hatte und schließlich doch mit Geld ruhig gestellt hatte.

      „Man gibt sich Mühe“, murmelte Miguel in seinen schon ziemlich langen Bart hinein.

      Er selbst konnte es nicht sehen, aber mit seinen schwarzen Haaren und dem länger werdenden Bart sah er einem Zauberer immer ähnlicher.

      Ibrahim wurde in die Zelle geführt und Miguel konnte seinen Brief weiter diktieren. Als sie sich für den Tag verabschieden wollten, druckste Ibrahim ein bisschen herum. „Was gibt es Ibrahim? Du willst mir doch etwas sagen.“

      „Ja. Du fragtest mich am ersten Tag, woher ich deinen Namen und deine Umstände kenne. Nun, vom Syndikus Pufenberg höchstpersönlich. Wir pflegen einen persönlichen Kontakt. Er versorgt mich mit Informationen aus dem Rat und ich bessere sein mehr als klägliches Gehalt gelegentlich auf. Er hat sieben Mäuler zu stopfen.“

      Unwillkürlich musste Miguel an Alfonso und Sarah denken. Sie sind auf sich alleine gestellt und

      „Pufenberg hat mir die weitere Prozedur erklärt, soweit ich sie nicht ohnehin kannte. Er denkt auch, dass hier übelste Bestechung im Spiel ist. Die Obduktion der Kinder wird ergeben, dass die Kinder nicht vergiftet worden sind.“

      „Na, dann wäre ja alles klar“, sprang Miguel verwundert von seinem Stuhl hoch.

      „Eben nicht. Die Kinder sind ja angeblich tot, also hast du sie in den Augen des Gerichts durch einen Zauber zu Tode gebracht. Du wirst der Zauberei angeklagt werden.“

      „Ein Hexenprozess", brüllt Miguel los. Dieser verfluchte Dominikaner leistet gute Arbeit für seinen König.“

      „König?“

      „Ach, vergiss es, Ibrahim.“

      Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl und fühlte zum ersten Mal, dass er schwächer wurde, seelisch schwächer. Bisher konnte er viele seiner Ahnungen verdrängen.

      „Ja, in diesem Fall wohl ein Hexerprozess mit allem, was dazugehört. Im Volksglauben tief verwurzelt ist ja die Meinung, wir Juden raubten christlichen Kindern das Blut. Pufenberg sagt, nachdem man Anklage erhoben hat, wird man dich zu einem Geständnis auffordern. Nachdem du nicht gestehen wirst, kommt die nächste Stufe.“

      „Die wäre?“

      „Man zeigt und erklärt dir die Folterwerkzeuge. Sie sind gleich hier nebenan im Martergewölbe. Sie nennen diesen 1. Grad Territion, die Androhung der Folter.“

      „Stur nach Vorschrift, was?“

      Miguel hatte seine Fassung wieder gewonnen. Jedenfalls gab er sich Mühe.

      „Wo es einen 1. Grad gibt, gibt es auch einen 2.“

      „Ja, und einen 3. Beim 2., der sogenannten Reaterrition, wirst du gefesselt und die Foltergeräte werden angelegt. Gestehst du immer noch nicht, beginnt der 3. Grad, die Folter.“

      „Eine interessante Vorlesung Ibrahim, du wärst ein guter Dozent geworden“, klang es bitter.

      „Es tut mir leid, Miguel, aber ich dachte, es ist besser, du weißt, was auf dich zukommt.“

      „Mir tut es leid, ich war ungerecht. Ich möchte mich schon heute bei dir bedanken, Ibrahim. Wer weiß, ob ich noch dazu komme.“

      „Das wirst du. Der Brief ist auch noch nicht zu Ende geschrieben.“

      „In der Tat, wir müssen uns beeilen. Bereite zu Hause einen Schuldschein über fünfhundert Braunschweiger Taler vor. Ich werde ihn dann bei deinem nächsten Besuch unterschreiben. Dann bringen wir auch den Brief zu Ende. Meine Kinder werden den Schuldschein einlösen, wenn du ihnen den Brief und die Dokumente übergibst.“

      „Das ist zu viel Miguel. Du weißt, ich würde auch so …“

      Die weiteren Worte hörte Miguel nicht mehr. Er dachte, die Summe muss groß genug sein, damit Ibrahim den Brief auf jeden Fall besorgt. Es ging ihm schließlich nicht nur um seine letzten Worte und Gedanken an seine geliebten Kinder, sondern auch um die wertvollen Dokumente.

      Der Tag der ersten Folter war gekommen. Der Ablauf war genauso, wie ihn Ibrahim „doziert“ hatte. Nur das Gericht war bei der eigentlichen Verhandlung um einen Geistlichen, den Pfarrer der Stadtkirche und einen fahlgesichtigen Dominikanermönch erweitert. Dessen ungewöhnliche Blässe war Miguel schon in den Herbergen aufgefallen. Der Mönch trug neben seinem Kreuz, das um seinen Hals hing, noch eine weitere Kette mit einem Anhänger daran. Ein kleiner Anhänger, aber Miguel erkannte ihn genau. Es war das Symbol der spanischen Inquisition. Ein Kreuz, aus zwei groben Ästen dargestellt, rechts davon ein Schwert mit dem Knauf auf dem Boden stehend, links dann ein kleines Olivenbäumchen. Den Text, der um das Amulett herum stand, konnte er zwar nicht lesen, aber er kannte ihn auch so. Exurge Domine Et Judice Causam Tuam – Psalm 73.

      Meister Hans, sein Henkersknecht, holte ihn später persönlich ab. Sie gingen in das Martergewölbe.