Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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etwas wacher werdend träumte Miguel weiter.

      Ich werde bald bei dir sein, Inez. Vielleicht ist das hier Gottes Strafe dafür, dass ich in Spanien bleiben wollte. Das war dein Tod. In den Händen der Inquisition. Und mir wird es genauso ergehen. Vielleicht werden unsere Kinder uns eines Tages rächen.

      „Passen die Stiefel gut oder soll ich sie noch etwas enger machen?“, feixte der Henkersknecht Meister Hans.

      Ich habe höllische Schmerzen und spüre doch nichts. Wie geht das?

      „Ich verfluche dich, Henkersknecht. Eines Tages wird man dich rösten, bei lebendigem Leibe. Der Auftrag ist bereits erteilt, Meister Hans. Schau dich nur um, jeden Tag, jede Stunde. Es wird dich ereilen und du wirst erst auf Erden brennen, bevor du in der Hölle auf Ewigkeit schmorst. Der Hexenmeister und Zauberer, Don Miguel Francisco y Dominguez verflucht dich und den Mönch ebenso. Mönch, bist du da? Man wird dich an einen Pfahl binden, bis du vertrocknet bist. So lange kannst du über deine Missetaten nachdenken, du Hundsfott von einem Pfaffen.“

      Meister Hans war unter seiner Maske augenblicklich blass geworden. Wo der Glaube aufhört, fängt eben der Aberglaube an. Don Miguel konnte nicht mehr sehen, wie Hans mit dem glühenden Eisenstab auf ihn losging. Er bohrte ihm das Eisen direkt in die Brust.

      Draußen mahlten eisenbeschlagene Räder eines Fuhrwerks und schwach nahm er das dazu klingende Stampfen von Pferdehufen wahr. Don Miguel dachte seine letzten Gedanken.

      Wohin dieses Bauerngefährt wohl ziehen mag? Ich kenne den Willen seines Kutschers nicht. So bleibt mir als Gewissheit nur das Ungewisse, das Namenlose der Fernen, denen es entgegenzieht. Der weise Lenker wird sein Ziel kennen. Vielleicht … Vielleicht nimmt er ja meine Seele mit auf die Reise. Inez, Kinder, ich suche den Wagen, aber so sehr ich meine Augen auch anstrenge, ich sehe ihn nicht mehr.

      Ibrahim war, gleich nachdem er die Nachricht erhalten hatte, aufgebrochen, noch in der Stunde des Todes von Don Miguel. Er benutzte seinen Bauernwagen, der eisenbeschlagene Räder hatte. Noch eine knappe Meile, dann würde er das Wendentor von Braunschweig erreichen. Er hätte Don Miguel gern geholfen. Er war sogenannter Schutzjude und als solcher einigermaßen sicher. Dennoch hatte er es für besser gehalten, sich sofort aufzumachen, seinen Auftrag zu erfüllen. Die Beerdigung würde sein Sohn besorgen. Am Tor angekommen, fragte Ibrahim den Wachhabenden nach dem Judenviertel und rechnete im Stillen damit, ein wenig angepöbelt zu werden.

      „Nein, schüttelte der bedächtig den Kopf. Vor langer Zeit einmal, da gab es in der Jöddenstraße einige Judenquartiere. Wohl auch eine Synagoge, aber das ist lange her. Der Herzog, Heinrich Julius noch, hat alle vertrieben. Auch die in Melverode, sogar die Schutzjuden.“

      Der Wachtmeister weiß Bescheid und ist erstaunlich höflich, dachte Ibrahim und traute sich deswegen etwas weiter vor. „Ist es ruhig in der Stadt?“

      Der Wachhabende war pfiffig und roch den Braten.

      „Also, Herr Jude.“

      „Ibrahim. Nennen Sie mich ruhig Ibrahim.“

      „Also, Herr Ibrahim. Braunschweig ist eine Stadt und Stadtluft macht frei. Schon mal gehört? Wir sind da nicht so pingelig. Eigentlich evangelisch-lutherisch. Aber wenn der Herzog es will und die Umstände es erfordern sollten, auch schon mal gut katholisch, wie man hier sagt. Gegen Juden hat auch niemand etwas, jedenfalls überwiegend.“

      „Ich danke Ihnen für die Offenheit“, sagte Ibrahim schon deutlich entspannter.

      Er fuhr also durch das Tor und schon bald begannen das Kopfsteinpflaster und der Gestank.

      Warum nur müssen die Leute ihre Nachttöpfe auf die Straße ausleeren? Genau wie in Celle. Ich werde den Erstbesten nach dem Kaufmann fragen, um Alfonso zu treffen und meine Pflicht zu erfüllen.

      Bei dem Gedanken überzog plötzlich ein leichtes, zufriedenes Lächeln sein Gesicht. „In das ehemalige Judenviertel fahre ich später“, schimpfte er aber sofort wieder weiter vor sich hin.

      Ibrahim wurde vom Inhaber der Druckerei, Herrn Duncker, in das etwas schummrige Kontor geführt. Alfonso arbeitete an einem Stehpult, vertieft in unendlich lange Zahlenkolonnen. Er sieht aus wie sein Vater, dachte Ibrahim sofort. Groß. Hagere, zähe Gestalt und vor allem tiefschwarze Haare und Augen.

      Dann berichtete er das Geschehen, soweit er es für richtig hielt und erledigte so seine traurige Pflicht. Alfonso war Don genug, wie sein Vater, und trug, zumindest nach außen, alles mit Fassung. Auch das Thema 500 Taler wurde nicht zur Peinlichkeit, sondern wurde am nächsten Tag erledigt. Die Aufgabe Alfonsos war es, seiner Schwester Sarah die schreckliche Nachricht zu überbringen. Ein kleiner Trost für beide war, dass sie wussten, wo ihr Vater begraben lag. Da der Gefängnisfriedhof, wie so oft in Celle, unter Wasser gestanden hatte, konnte Ibrahims Sohn Don Miguel sogar auf dem Kirchenfriedhof beerdigen, wenn auch am äußersten Rand. Später wollte er einen Findling dort aufstellen lassen. So würden Alfonso und Sarah eines Tages sein Grab finden.

      Teil I

      Wer sein eigen Haus betrübt,

      der wird Wind zum Erbteil haben;

      und ein Narr muß ein Knecht des Weisen sein.

      (Sprüche Salomos, 11. Kap. Vers 29)

      1

      Dieser extrem dürre Mensch in seinem langen schwarzen Kapuzenmantel mit seiner fahlen Gesichtshaut, seinen ergrauten schütteren Haaren und grauen Augen sah aus wie ein abgestorbener Baum mit nur noch wenigen trockenen Ästen. Er wartete auf seine Chance. Eine Chance, auf die er so viele Jahre gewartet hatte. Er wollte den Auftrag zu Ende führen, den er im Kloster Santo Thomás in Avila von seinem Prior erhalten hatte, persönlich gesprochen im Namen des Großinquisitors von Spanien, Robert Bellarmin.

      Der Racheengel, als den sich der Dominikanermönch gern selbst sah, bezog seinen Posten unter der ausladenden Linde an der Südseite des Braunschweiger Doms. Längst war es finstere Nacht geworden an diesem ungemütlich nasskalten Apriltag.

      Die Braunschweiger hatten im Zuge der Reformation die Dominikaner schon vor Jahrzehnten vertrieben und ihr Kloster damit aufgelöst. Vielleicht trug der Mönch für sein Vorhaben deshalb trotzig das Ordensgewand der Dominikaner, allerdings ohne den sonst obligatorischen weißen Überwurf. Er wollte von seinem Opfer nicht vorzeitig entdeckt werden. Die Armbrust verbarg er mit der linken Hand unter dem Mantel. Das war zu dieser Stunde eigentlich unnötig, denn keine Menschenseele trieb sich mehr in den Gassen herum.

      Es war dem Mönch seinerzeit zwar gelungen, Don Miguel zu Tode foltern zu lassen, seine Kinder Sarah und Alfonso aber hatte er aus den Augen verloren. Auch die von der Inquisition geforderten Dokumente hatte er nicht beschaffen können. Eine Niederlage, die er nicht verwinden konnte.

      So war er also nach Hamburg gegangen. Er hatte gewusst, dass Don Miguel vorgehabt hatte, seinen Bruder Juan Salomon dort aufzusuchen. Vielleicht würden die Kinder auch eines Tages dort auftauchen, nahm er an. Jahrelang war nichts geschehen. Er hatte es geschafft, sich an Juan Salomon heranzutasten und tatsächlich eine Anstellung als Schreiber in seinem Handelskontor zu bekommen. Mit der Zeit hatte er sich mit seinem Schicksal arrangiert. Er hatte sogar geheiratet und war Vater eines Sohnes geworden. Niemand hatte auch nur geahnt, dass er Dominikanermönch war. Die Mutter seines Kindes war bei dessen Geburt gestorben. Uriel war daher zunächst in einem Heim untergebracht worden. Später hatte der Mönch eine Haushälterin eingestellt, die auch seinen Sohn betreute: ein in sich gekehrter Knabe, der nach und nach, genauso verblendet wie sein Vater, zu seinem willigen Instrument wurde. So hatte er seinen Sohn von Zeit zu Zeit nach Amsterdam zu Don Manuel Isaak, dem zweiten Bruder Don Miguels geschickt, um herauszufinden, ob Sarah und Alfonso dort aufgetaucht waren. Das aber war nie der Fall gewesen.

      Dennoch hatte er jedes Jahr einen Brief an den Großinquisitor von Spanien, Bellarmin, auf den Weg gebracht, in dem er versicherte, nicht ruhen zu wollen, bevor sein Auftrag ausgeführt sei. Regelmäßig hatte er auch eine zustimmende Antwort und