Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


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wurde ihm trübselig ums Herz – wie so oft, wenn er zu viel Mumme getrunken hatte. Wenn der Herzog mir damals nicht die vier besten Dörfer genommen hätte, bräuchte ich heute nicht mit Waffen zu handeln. Aber ich habe keine Wahl. In einem verborgenen Winkel seines Herzens wusste er, dass es anders war. Er konnte einfach nicht verwinden, dass er zum eher unbedeutenden Adel gehörte. Daran hatte auch die Heirat nichts ändern können.

      Oben angekommen betraten Heiner und seine Mutter gemeinsam das Schlafgemach der Gräfin. „Warum lässt du dich nur immer so behandeln, Mutter?“

      „Ach, Heiner. Der Graf hat es nicht immer leicht gehabt. Er war nicht immer so, weißt du? Die vielen finanziellen Sorgen in den ersten Jahren …“

      Sie sagt immer „Der Graf“, nicht „dein Vater“, wie es richtig wäre, dachte er. „Du verteidigst ihn auch noch, Mutter.“

      „Was druckst du so rum. Da ist doch was.“

      „Ja, da ist was“, kam es aus Heiner heraus. „Ich habe da eine Entdeckung gemacht und die Kutscher reden viel, wenn sie gesoffen haben. Und die saufen immer.“ Er machte eine Pause.

      „Also: Es ist nicht legal, dass Vater Handel mit Waffen treibt.“

      „Er darf doch mit Waffen handeln. Wir leben hier auf dem Land und nicht in der Stadt mit ihren Gilden und Vorschriften.“

      „Nicht so ganz. Er ist dem Niedersächsischen Kreis verpflichtet. Weißt du denn, wen er beliefert? Und wie er überhaupt an die Aufträge kommt? Ist dir eigentlich bekannt, dass er das Signum der Braunschweiger Büchsenmacher verwendet, um einen höheren Preis zu erzielen?“

      „Heiner, was redest du da?“

      „Ja, was redest du?“, sagte Barnward und betrat merkwürdig langsam den Raum.

      „Kannst du dich nicht bemerkbar machen, Bruder?“

      „Es hat mich keiner gehört? Ihr wart wohl zu sehr in euer Gespräch vertieft.“

      „Was hast du mitbekommen? Ist auch egal. Du weißt genau, was Vater treibt. Das ist kriminell.“

      „Kriminell, kriminell“, äffte Barnward seinen Bruder nach. „Und was glaubst du, wer das Gut am Laufen hält, wer dir die Lateinschule und die Privatlehrer bezahlt hat, deine teuren Bücher, wer uns allen ein sorgenfreies Leben ermöglicht? Vater war es und ist es.“

      Mein Bruder ist ehrlich wütend, dachte Heiner. Er verdrängt die Tatsache, dass er uns alle gefährdet, wenn das herauskommt.

      „Geht bitte wieder runter“, ordnete die Gräfin völlig unvermittelt an. „Ich werde mit dem Grafen darüber sprechen.“ Diese kleine zerbrechliche Frau verliert nie ihre Haltung, dachten beide Brüder, ohne dass sie es voneinander wissen konnten.

      „Worüber willst du mit mir sprechen, Weib?“ Der Graf polterte torkelnd ins Zimmer.

      „Geht bitte!“, wiederholte die Gräfin ruhig.

      „Ja, geht nur!“, lallte der Graf.

      Die Gräfin fühlte nur noch Verachtung für den Mann, der da so selbstgefällig sein Wams aufknöpfte. Jedenfalls versuchte er es. Es bereitete ihm offenbar nicht unerhebliche Schwierigkeiten.

      „Nein, jetzt nicht. Bitte!“ Sie hatte es in den Jahren immer wieder geschafft, Ausreden zu finden. Oft ist er unverrichteter Dinge eingeschlafen, wenn sie es nur lange genug herausgezögert hatte.

      „Das Ehegelöbnis bedeutet auch, dass du zu gehorchen hast, Weib.“

      „Ich habe meine Monatsregel“, log sie.

      „Na und“, prustete der korpulente Mann und kratzte sich den kaum behaarten Kopf.

      Mit einer Flinkheit, die sie ihm nicht mehr zugetraut hatte, schnappte er sich ihr linkes Handgelenk, bog den Arm sofort nach hinten und drückte ihren Busen an seinen Oberkörper.

      „Du gehörst mir.“

      Sie versuchte, sich loszureißen. Doch ihr war klar, dass er stärker war als sie. Jetzt, so erniedrigt, hatte sie den Mut, ihr Knie hochzuziehen, um es ihm in die Leistengegend zu stoßen. Gerade noch rechtzeitig konnte er ausweichen und die Gräfin, jetzt nur noch ein Häufchen erschöpftes Elend, traf ihn nur am Schenkel.

      Der Graf schlug sofort zu. Während sie noch auf das Bett fiel, lief schon Blut aus ihrer Nase. Er riss ihr brutal das Kleid herunter und öffnete jetzt unglaublich geschickt seine Hosenklappe. Nur einen Augenblick später war er über ihr.

      „Jetzt zeige ich dir, wer der Herr ist“, grunzte es aus ihm heraus.

      Die Gräfin sah nur noch seine verkniffenen Schweinsaugen. Sie schmeckte Blut im Mund und es tat weh. Aber das Schlimmste war die Erniedrigung, so geschändet zu werden. Sie würde es ihm jetzt sagen.

       Jetzt! Jetzt!

      Der schwere Mann wälzte sich von ihrem Körper.

      „Bist du stolz auf das, was du eben getan hast? Vor wem willst du dich brüsten? Geh doch runter in die Halle und erzähle allen, dass du gerade deine Gattin vergewaltigt hast! Auch diesem gruseligen Mönch natürlich, mit dem du neuerdings immer zusammensteckst.“ Die Gräfin sprach leise. „So wie damals, als du deinen Sohn gezeugt hast. Dein Sohn wird stolz auf dich sein.“

      „Ich habe zwei Söhne“, kam es etwas irritiert. Warum sagt sie das jetzt? Und so leise, dachte der Graf.

      „Du hast einen Sohn. Heiner ist nicht dein Sohn. Er hat nicht ein solches Schwein zum Vater.“ Augenblicklich bereute sie das Gesagte, denn Barnward konnte ja nichts für seinen Vater.

      Ich habe einen Bastard großgezogen, schoss es dem Grafen sofort durch den Kopf. Jetzt ist mir klar, warum Heiner so anders ist, als … Ich dachte, er schlägt eben mehr nach der Mutter, aber … „Wer ist der Vater?“ Und schon sauste die achtschwänzige Katze auf den Rücken der Gräfin. Sie hatte sich gerade noch umdrehen können, um die Striemen nicht ins Gesicht zu bekommen. Wie er die Peitsche so schnell in die Hand bekommen hatte, war ihr unerklärlich. Und schon schlug er sie zum zweiten Mal mit voller Kraft.

      „Erlöse mich, Herr!“, schrie die Gräfin. Es kam kein Schlag mehr. Die beiden Brüder – Halbbrüder – hingen am Grafen und hinderten ihn. Sie hatten die Schreie gehört.

      „Sag, wer mein Vater ist!“ Heiner war totenblass, aber gefasst. Das hatte er wohl von der Mutter, immer die Contenance zu wahren, so lange es eben ging. „Es hat doch keinen Zweck. Sag es bitte!“ Der Graf war ganz still geworden.

      „Es ist Heinrich Schlachmann, ein Büchsenschmied aus Braunschweig. Er weiß nichts davon. Ich habe ihn nie wiedergesehen“, kam es jetzt fast krächzend aus ihrem Mund. Verzeih mir, Heinrich! Mehr kann ich nicht ertragen, dachte sie noch und verlor das Bewusstsein.

      8

      Jetzt noch die Meistermarke setzen und zusammenfügen. Hat lange gedauert, aber auch viel Freude gemacht. Das ist schon was anderes als immer wieder die Musketen zusammenzubauen, dachte Heinrich Schlachmann.

      Er saß an seinem bevorzugten Platz, vor sich das Werkzeug sauber sortiert. Er fühlte sich wohl in seiner kleinen Werkstatt. Er hatte sie für sich von der Schmiede abgeteilt. Hier konnte er tüfteln – und zuweilen denken. Die Braunschweiger Beschaumarke, ein nach rechts hin aufgerichteter Löwe mit einem B, war angebracht. Seine Meistermarke, zwei gekreuzte Hämmer mit einem darunterliegenden S, hatte er nicht wie üblich auf den Lauf gesetzt. Bei dieser Büchse, die er für den Herzog gemacht hatte, war er einer Eingebung gefolgt und hatte die Marke an der inneren Kolbenplatte angefertigt. Es sollte immerhin ein Geschenk der Gilde an den Herzog sein und nicht speziell von Heinrich Schlachmann, auch wenn er sie geschaffen hatte. Die Herzog-Friedrich-Ulrich-Büchse – wie er sie heimlich nannte.

      Die Pistole, die jetzt kurz vor der Vollendung stand, sollte aber Michael