Wilfried Stütze

Die ihre Seele töten


Скачать книгу

zur Tür. Sepp schwankte hinterher.

      Hinten im Raum zahlte ein Pfarrer, nicht ohne der Bedienung das Hinterteil zu tätscheln, und verließ ziemlich eilig die Schenke.

      Pfarrer Jakob war eine gute Stunde geritten. Schneller konnte er bei seinem Gewicht nicht. In seinem pausbäckigen Gesicht wirkten seine Augen recht klein. Heute strahlten sie. Er konnte dem Grafen etwas berichten, nämlich über das Geschwätz seiner Fuhrleute. Die drei Dörfer, für die er als Pfarrer zuständig war, herzoglicher Besitz, vom Grafen verwaltet, ernährten ihn nur schlecht. Früher, als er die Söhne des Grafen noch unterrichtete, war es besser, aber heute? Da die Dörfer Rautheim, Mascherode und Melverode nahe der Stadt lagen, sollte er hin und wieder in den Schenken der Stadt und auf öffentlichen Plätzen für den Grafen die Ohren offen halten. Heute konnte er mit Informationen dienen und hoffte auf eine Belohnung.

      *

      Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als der Graf und sein Sohn Barnward aus dem Schutz des Elmwaldes traten. Klirrende Kälte breitete sich über die Felder vor ihnen aus. Weiter unten konnten sie ihr Gut mit dem kleinen Dorf Lucklum sehen, das sich um die Kirche gruppierte. Grauer Rauch stieg aus den Kaminen. Das imposante Herrenhaus und große Teile des Gutes waren von einer hohen Steinmauer umgeben.

      „Ist es nicht ein Prachtstück!“, bemerkte der Graf fast zärtlich, mehr zu sich selbst als zu seinem jüngeren Sohn.

      „Ja, Vater“, kam es knapp zurück.

      Er wusste, dass er nicht wirklich gemeint war. Wenn es um das Gut, die Hunde oder insbesondere um die Jagd ging, konnte man mit Vater auskommen, dachte Barnward. Einen schlechten Stand habe ich ohnehin nicht bei ihm, sicher, weil ich so manche Leidenschaft mit Vater teile. Bruder Heiner (die Gräfin hatte seinerzeit auf den in ihren Kreisen eher unüblichen Namen bestanden) kann offenbar den Freuden eines Landjunkers nicht so recht etwas abgewinnen. Dabei sind unsere Mägde doch ganz drall und auch sonst gut zu gebrauchen, schmunzelte Barnward in sich hinein.

      „Seid ihr auch schon da, ihr nichtsnutzigen Tölpel von Stallknechten?“, brüllte der Graf die beiden Männer an.

      Sie kamen mit den dampfenden Pferden am Zügel über den verschneiten Acker, um sie an der verabredeten Stelle dem Grafen und seinem Sohn zu bringen. Sie reagierten kaum, übergaben einfach mit unterwürfiger Haltung die Pferde.

      „Ihr wartet hier auf die Treiber und helft ihnen, die Beute auf das Gut zu schaffen. Komm Sohn, lass uns reiten!“

      Eine Weile ritten sie ohne ein Wort nebeneinander her: der Graf, ein stattlicher Mann, etwas korpulent mit einem feisten rötlichen Gesicht, sein jüngerer Sohn, ebenfalls stämmig, aber doch schlanker als sein Vater.

      „Du hast eine sichere Hand, mein Sohn. Der Hirsch: Blattschuss – alle Achtung!“, kam es etwas stakkatohaft vom Grafen.

      Barnward wusste, dass es nur eine Art Einleitung zu einem Vortrag der besonderen Art war.

      „Die Jagd sollte der eigentliche Daseinszweck für einen Herrn sein. Wir haben heute Jagdglück gehabt. Was für ein Gefühl! Der Wettergott war uns gnädig, aber wir jagen bei jedem Wetter, was, mein Sohn? Kälte, Hitze, Regen: Was schert es uns? Das Messen der Kräfte des Jägers mit dem Tier: Das ist es. Erst spürst du das Wild auf, dann stellst du es. Und dann? Dann erlegst du es. Das ist Jagdglück, ein Bauer kann das nicht verstehen. Der betet um gutes Wetter und spricht von Glück, wenn er etwas erntet. Das Jagen aber ist eine tapfere und ritterliche Übung, deswegen auch dem Adel vorbehalten.“

      „Wir sind gleich da, Vater. Veranstalten wir wieder ein Schüsseltreiben heute, oder …“

      „Aber sicher. Ruf sie alle zusammen, auch die Büchsenmacher! Die zwei Halunken von Kutschern müssten auch heute eintreffen. Die Wachen sollen heute auch mal alle Fünfe gerade sein lassen. Wir wollen uns nicht lumpen lassen, was? Und dass mir mein jüngster Sohn dabei ist und die Gräfin.

      Mein Mann hat sich in den letzten Jahren verändert, sehr verändert, dachte die Gräfin. Er bekam einfach nicht die Anerkennung beim Herzog und im gehobenen Adel, die er glaubte, bekommen zu müssen. Dann die ständigen Geldsorgen, die er trotz unserer Heirat in den ersten Jahren auf sich nehmen musste. Auch bei uns stand eben nicht alles zum Besten. Nach dem Tod des alten Grafen und seiner Mutter gab der Herzog vier von sieben überlassenen Dörfern an die Stadt Braunschweig zurück. Der Herzog hatte seine Gründe, hieß es lapidar. Als Gegenleistung bekam der Graf eine leidliche finanzielle Entschädigung und es brachte ihm immerhin die Zuständigkeit für den Niedersächsischen Kreis ein. Das hat was mit der Organisation von Ausrüstung und Waffen in Friedens- und erst recht in Kriegszeiten zu tun, wie er sagt. Manchmal vertritt er auch den Kreis bei Versammlungen als Abgesandter. Das alles kann aber nicht viel abwerfen, dachte die Gräfin weiter. Auf alle Fälle hat er das Gut in den letzten Jahren deutlich vorangebracht, denn von Geldknappheit ist keine Rede mehr. Ich verstehe nichts davon. Meine Aufgabe war und ist es, das Haus zu organisieren und mich, in den ersten Jahren natürlich besonders, um die Kinder zu kümmern. Wenn nur nicht die Wutausbrüche des Grafen wären, die er immer häufiger hat! Er wird immer jähzorniger. Wenn er jemals erfährt, dass …

      „Gräfin, tummle dich. Wir feiern ein Fest. Schüsseltreiben ist Brauch nach einer erfolgreichen Jagd. Sieh zu, dass genügend Wein und Mumme da sind und mach nicht so ein Gesicht! Lass mir die Hirschleber braten, in zwei Stunden in der Halle vor dem großen Kamin.“ Und raus war der Graf. Sie hatte ihn nicht einmal hereinkommen hören.

      „Wo kommst du jetzt erst her, Barnward? Habe ich dir nicht aufgetragen, deinen Bruder herzuschaffen?“

      Die Hand des Grafen zuckte unwillkürlich zu seiner Peitsche. Eine achtschwänzige Katze. Aber an seinen Söhnen hatte er sich noch nie vergriffen. Die Gräfin will der eine oder andere aber schon mal schreien gehört haben.

      „Lass gut sein, Vater“, sagte Heiner, der gerade dazukam. „Ich bin ja da.“

      „Bringt ihm Wein und Fleisch. Setz dich zu uns an den Kamin! Das Feuer tut gut.“

      Alle waren schon in ziemlicher Stimmung. Wein und Bier waren wohl schon reichlich geflossen.

      Warum er wohl immer wieder diese Feste mit dem Gesinde und all den anderen macht?, dachte Heiner. Hinterher hat Mutter es wieder auszubaden. Warum sie nur immer so ruhig ist, seine Ausbrüche und wer weiß was noch alles erträgt? In letzter Zeit kränkelt sie wieder. Manchmal ist er unerträglich. Der elende Pfarrer ist natürlich auch hier. Geschlagen hat er uns früher, wenn wir, mein Bruder und ich, mal nicht bei der Sache waren. Er war so eine Art Hauslehrer. Vater beschimpfte ihn dann als elendigen Pfaffen, dem man selbst die Peitsche geben müsse, ließ aber weiter zu, dass er uns drangsalierte.

      In der geräumigen Halle waren Stroh und Binsen auf dem Boden ausgelegt und lange eichene Tische und Bänke aufgestellt. Die Mägde brachten Hirschbraten und mehrere Hasen. Wildschweine hatten sie auch erlegt, aber die Stücke waren als Vorrat gedacht. Die zwei Kutscher saßen mit den beiden Büchsenmachern zusammen. Selbst für Kutscher war es ungewöhnlich, zu dieser frühen Zeit schon so betrunken zu sein. Gegenüber saßen die vier Söldner, die Wachen des Gutes, die manchmal auch die Transporte begleiteten. Der Pfarrer stand auf und bewegte sich dickwanstig in Richtung Kamin. Der Graf stand merkwürdigerweise auch gleich auf und ging mit ihm ein paar Schritte zur Seite.

      Das Schüsseltreiben nahm seinen Lauf. Na, ihr Halunken von Fuhrknechten! Ich werde euch schon noch das Fell über die Ohren ziehen, dachte der Graf, während er am Platz der Kutscher angetrunken vorbeischwankte. „Das ist etwas anderes als jeden Tag Brei, wie es andere Kutscher täglich fressen müssen, was?“ Die Gräfin beobachtete die Szene.

      Die beiden starrten nur noch völlig betrunken vor sich hin. Die beiden Büchsenmacher dachten sich ihren Teil. Der Graf hatte sie aus dem Schuldturm in Magdeburg freigekauft. Nun bauten sie für ihn die Musketen zusammen. Noch drei Jahre hatten sie zu dienen, dann würde ihre Schuld bezahlt sein. Immerhin mussten ihre Frauen und Kinder nicht hungern. Der Graf hatte sie allesamt mit auf das Gut genommen.

      „Begleite mich bitte nach oben!“