Veronique Larsen

Maxillia


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von der Lichtung entfernte, sich entfernte von der Freiheit. Zumindest fühlte es sich so an, als sie aus dem Wald heraustrat und die Burg vor ihr erschien. In ihrer vollen Pracht thronte sie auf den Wällen mit ihren dicken Mauern und vielen Türmen, die sich in den Himmel reckten. Beeindruckend war es schon, wenn man unten am Fuß der Wälle stand und zu ihr empor sah, wie sie ihren Schatten über die Stadt Lubea warf. Vorsichtig schaute sie an der Schutzmauer in beiden Richtungen entlang, die die Burg und die Stadt schützend umrahmte, ob die Luft rein war und keine Wache sie entdecken würde. Erst als sie sicher war, dass niemand in der Nähe war, eilte sie geduckt zu den schmalen Treppen rüber, die steil über die Wälle hinauf zu der dicken Schutzmauer führte. Unauffällig und klein war die Tür am Ende der vielen Stufen und führte in den hinteren Hof der Burg, der mehr für die militärischen Zwecke genutzt wurde. Vorsichtig quetschte Max sich durch den schmalen Spalt, den sie die Tür geöffnet hatte und schob die dichte Efeuranke beiseite, die die Tür von innen verbarg. Quietschend bewegten sich die alten Scharniere, als sie die Tür hinter sich wieder verschloss und den Efeu davor drapierte. Scheu schaute sie sich noch einmal um, eh sie im Schatten der Mauer zur Hintertür huschte, die in die Eingangshalle der Burg führte. Einen kurzen Moment hielt sie inne, als sie diese erreicht hatte und lauschte, ob sie das Klappern einer Rüstung vernehmen konnte, welches verraten würde, ob eine der Wachen sich gerade dort aufhielt. Doch es blieb alles still, sodass sie die Tür öffnete und hineinschlüpfte. Die weißen Wände ließen den Raum erstrahlen und der Steinboden war von den Mägden so blank geputzt, dass sich die Bilder der vorigen Königspaare, die die Wände zierten, sich darin spiegelten. Auf steinernen Säulen waren große Vasen aufgestellt, die wie gewohnt mit kunstvollen Blumenarrangements gefüllt waren, deren süßlicher Duft den Raum erfüllte. So leise sie konnte, schlich sie sich um das Geländer der breiten Treppe herum und eilte diese empor auf die Galerie, die um die Eingangshalle führte. Auf leisen Sohlen stahl sie sich durch eine der vielen Türen, die auf den schmalen Flur führte, von dem die Treppen in den Ostflügel abgingen, wo Maxillia ihre Gemächer hatte. Dort musste sie hin, ohne dass jemand sie entdecken würde. An einem jeden Tag schlich Max diesen Weg entlang, der so viele Gefahren barg, entdeckt zu werden und Bestrafungen zu erhalten. Doch war es die süße Freiheit, die sie lockte, dies auf sich zu nehmen und die Risiken einzugehen. Mehr noch wollte sie aber um jeden Preis die Treffen mit ihrer besten und einzigen Freundin wahrnehmen. Ohne sie wäre ihr Leben nämlich noch einsamer, als es ohnehin schon war und noch deutlich weniger schön. Es kam ihr aber auch zugute, dass selten jemand über die Flure lief, da die Diener in den verschiedenen Räumen arbeiteten und die Wachen sich meist im Außenbereich aufhielten. Daher hatte es selten Situationen gegeben, in denen es knapp wurde und sie beinahe erwischt worden wäre. Am gefährlichsten war eigentlich nur das Stück des Weges, der über die Wälle, den Hof und durch die Eingangshalle führte. Doch da Maxillia mittlerweile sehr geübt darin war sich unauffällig zu bewegen, wurde sie die vielen Jahren noch nicht entdeckt, die sie sich schon aus der Burg schlich. Es waren mittlerweile sechs Jahre, in denen sie sich beinahe jeden Tag auf den Weg zu der kleinen Lichtung machte. Zuerst sollte es nur ein einmaliger Ausbruch gewesen sein, eine kleine Ungehorsamkeit, die sie sich an ihrem zehnten Geburtstag leistete, als ihr klar wurde, was es bedeutete die Thronfolgerin zu sein. Denn an diesem Tag begann der Unterricht, der sie auf das Amt vorbereiten sollte, das sie wohl in weiter Zukunft einmal erben würde. Zwar wurde sie zuvor auch schon unterrichten, aber doch deutlich lockerer und lustiger als seit jenem Tag. Nun quälte ihre Mutter sie mit langweiliger Politik und solch trockenem Stoff, dass es beinahe schon staubte. Da war es dieser wunderschöne, ja, schon verwunschene Ort, der ihr Halt gab und für sie Freiheit bedeutete. Versonnen lächelte sie vor sich hin, wenn sie an ihn dachte, den einzigen Platz, an dem sie einfach nur Max sein konnte.

      2

      „Max? Bist du noch anwesend?“, riss die Stimme von Maxillias Mutter sie aus ihren Tagträumen, in denen sie schon seit einer Weile versunken war. Sie kämpfte gegen die bohrende Müdigkeit, die ihre Augenlider schwer machte und jegliche Konzentration verhinderte. Wie jeden Tag, quälte ihre Mutter Isabella sie mit langweiligem Politikunterricht, den Maxillia regelrecht hasste. „Ja“, räusperte sich diese heiser und legte den Stift aus der Hand, mit dem sie das Deckblatt ihres Notizbuchs bekritzelt hatte. „Ich weiß, dass das nicht spannend ist, aber du musst das lernen, wenn du mal meinen Thron übernehmen sollst. Du bist nunmal mein einziges Kind“, meckerte Isabella ihre Tochter an, in der die Sorge brannte, dass Max mit der Stellung als Königin später überfordert wäre. Schließlich hing nicht nur das Reich der Großelfen sondern auch das Fortbestehen des Bündnisses von dem Thron ab. „Nagut. Dann ist es erstmal genug für heute. Sei bitte pünktlich zum Training nachher da“, sagte Isabella seufzend mit besorgtem Blick und legte das Buch aus ihren Händen auf den Tisch. Maxillia wartete nicht auf eine weitere Aufforderung und huschte lächelnd mit wehendem Kleid aus der Bibliothek. Drei Stunden hatte sie nun wieder Zeit dem Alltag zu entfliehen und ihre Krone, die sie so sehr verfluchte, abzulegen. Ihr Herz hüpfte vor Freude ihre beste Freundin nun wieder zu treffen und für ein paar Stunden einfach nur Max zu sein. Schnell schlängelte sie sich durch die vielen Flure nach oben in den kleinen Turm, in dem sie ihre Gemächer hatte, und zog sich schnell ihre bequeme Hose und das lockere Oberteil an, das sie so gerne trug. Dann warf sie sich noch den schwarzen Kapuzenumhang über die Schultern und verließ so unauffällig wie möglich ihre Gemächer. Flink eilte sie die Flure wieder nach unten in die Eingangshalle hinunter, von der aus sie wachsam hinaus in den Hof trat. Mit angehaltenem Atem überquerte sie diesen im Schatten der dicken Burgmauern zur vom Efeu versteckten, kleinen Pforte. Vorsichtig öffnete sie die alte Tür, deren Scharniere leise quietschten, während sie sich umsah, ob jemand in der Nähe war, der dies hätte beobachten können. Als die Luft rein und der Spalt groß genug war, zwängte sie sich hindurch, trat leise auf die Wälle hinaus und zog die Tür sofort wieder hinter sich zu. Einen Moment lang blieb sie im sicheren Schatten stehen und atmete erst einmal tief durch. Den schwierigsten Teil ihres Weges hatte sie geschafft. Nun musste sie schnell sein. Also eilte sie los, während sie darauf achtete nicht auf die kaputten Stufen zu treten. Auf manchen waren die Steine lose oder gebrochen. Einmal war sie unachtsam gewesen und ist böse gestürzt. Zwar hatte Seraphina ihr helfen und die Wunden und Schmerzen lindern können, so dass ihre Eltern nichts mitbekommen hatten, jedoch hätte jemand durch den Lärm auf sie aufmerksam werden können, was glücklicherweise nicht geschehen war. Aber es darauf ankommen lassen wollte sie auch nicht. Daher umging sie geschickt die tückischen Stellen und sprang wie ein junges Reh die Stufen hinunter. Als sie endlich am Ende der Treppen angelangt war, eilte sie rüber zum Waldrand, zu den dichten Büschen, hinter denen sich der schmale Pfad verbarg. Sanft schob sie die Äste beiseite und schlüpfte zwischen ihnen hindurch. Kaum hatte sie den Wald betreten, fiel die Anspannung von ihr ab und Ruhe begann ihren Geist zu erfüllen. Mit jedem Schritt, den sie der Lichtung näher kam, schien sie sich auch von der bedrückenden Verantwortung zu entfernen, genauso wie von den typischen Geräuschen des Trainings der Rekruten, die wie eine Glocke an jedem Tag über die Burg und die Umgebung schallten. Die Stille des Waldes umhüllte sie wie ein sanfter Mantel des Friedens, der sich wärmend um sie legte. Hoch oben in den Baumwipfeln zwitscherten Vögel und sangen ihre herrlichen Lieder, die für Max wie ein Loblied der Freiheit klangen. Der würzige Duft von Tanne und der modrige Geruch des Waldbodens stiegen wohlig in ihre Nase, die den Frust und die lähmende Langeweile zu verjagen schienen. Mit einem Lächeln auf den Lippen stapfte sie über die Wurzeln der Lichtung entgegen und genoss schon jetzt die Ruhe und die Stille. Schon bald hatte sie wieder die kleine Lichtung erreicht und überquerte die hohe Wiese, um zu dem Baum zu gelangen, in dem sich das Versteck der beiden Freundinnen befand. Flink kletterte sie wieder den alten Baumstamm empor und krabbelte in die Baumkrone auf die alten Bretter. Dort wartete auch schon, wie zu erwarten, ihre Freundin Seraphina. „Hallo Max“, begrüßte die Nymphe sie, als sie auf das Floß gekrochen kam und lächelte ihr zu. „Schön dich wieder zu sehen, Phina. Wie geht es dir?“, seufzte Max und drückte ihre Freundin ganz fest, als sie sich neben sie gesetzt hatte. „Wie immer gut. Und dir?“, lächelte diese und setzte sich in einen Schneidersitz. Zwischen den Fingerspitzen zerrupfte sie ein kleines