Veronique Larsen

Maxillia


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      Die Sonne war schon längst aufgegangen, als Maxillia von den wärmenden Strahlen aufwachte und sich streckte. „So ein Mist“, fuhr es ihr durch den Kopf, als sie plötzlich bemerkte, wie spät es schon war. Sie hätte schon längst unten beim Frühstück im Speisesaal sein müssen. Vorsichtig setzte sie sich auf, während ihr Puls hochschnellte und ihr Schädel gleich wieder begann vor Schmerz zu pochen. Sicher würde sie wieder einen riesigen Ärger bekommen. Doch warum hatte niemand sie geweckt? Normalerweise hätte man dies doch schon längst getan. Egal. Nun aber bloß keine falsche oder ruckartige Bewegung machen. Sonst würde der Schmerz wohl wieder unerträglich durch sie hindurch jagen. Aber beeilen musste sie sich trotzdem. Schließlich würde sie desto später es würde, umso mehr Ärger bekommen. Mühsam wusch sie sich so schnell es ging und zog sich eines der etwas bequemeren Kleider an, bevor sie in den untersten der drei Stockwerke ihrer Gemächer eilte. Dort stand unerwarteterweise ein Tablett mit Frühstück auf dem dunklen Esstisch. Seit wann brachte man ihr denn bitte das Essen aufs Zimmer? Das war bislang noch nie vorgekommen. Zumindest erinnerte sie sich in diesem Moment an keinen Tag, an dem man dies gemacht hatte. Etwas verwundert schaute sie es sich an, bevor sie zur Tür ging und diese öffnete. Vielleicht war jemand auf dem Flur, der sie hätte aufklären können. Und tatsächlich, vor ihrer Tür stand an diesem Tag eine Wache, die dort sonst nicht stand. Sonst war der Flur sowieso immer komplett leer und selten lief mal ein Bediensteter dort entlang. Aber vielleicht wusste der dickliche Mann in der silbern glänzenden Rüstung was los war. „Gibt es einen Grund, warum man mich nicht geweckt hat?“, fragte Max den bewaffneten Mann, der stocksteif Löcher in die Luft starrte und ab und zu seinen Blick über den Gang schweifen ließ. „Anordnung der Königin. Ihr sollt euch ausruhen, eure Hoheit. Heute wird für euch auch kein Unterricht oder Training stattfinden. Königin Isabella wird nachher nochmal persönlich zu euch kommen“, antwortete die Wache, verbeugt sich und kehrte in die gleiche starre Haltung zurück. „Gut“, sagte Max zögerlich und ging wieder in ihr Zimmer. Irgendwie konnte sie mit dieser Information noch nicht so richtig etwas anfangen. Hatte sie wirklich den gesamten Tag frei? Oder hatte die Wache oder sie etwas falsch verstanden? Sie traute sich noch gar nicht sich zu freuen, so unwirklich und seltsam, wie es ihr vorkam. Träumte sie? Der letzte freie Tag schien schon ewig her gewesen zu sein. Sie konnte sich nicht einmal richtig daran erinnern. Eine ganze Weile stand sie nur da und überlegte, ob es wirklich sein konnte und was sie machen sollte, wenn dem so war. Schließlich musste sie es doch dann ausnutzen. Sicher würde sich nämlich eine solche Gelegenheit nicht so schnell wieder ergeben. Was hatte sie eigentlich damals gemacht, als jeder Tag für sie frei war? Bestimmt hatte sie im Garten herumgetollt und mit Puppen gespielt. Sie war da nämlich sicher noch ein kleines Kind gewesen, so lang war es her. „Oh man“, dachte sie sich. Sicher kannte sie da noch nicht einmal Seraphina. Apropos. Später, wenn sie sich mit Seraphina traf, könnte sie ungewohnt lange und entspannt mit ihr zusammen sein. Vielleicht würde ihnen noch etwas spontan einfallen, worauf sie Lust hätten es mal wieder zu unternehmen. Aber wie sollte sie an der Wache unbemerkt vorbeikommen, die direkt vor ihrer Tür stand? Darüber musste sie sich wohl noch Gedanken machen. Doch das hob sie sich lieber für später auf. Schließlich musste sie sich auch noch etwas für den Vormittag einfallen lassen. Denn Phina hatte nur an den Nachmittagen Zeit. Erstmal sollte sie aber etwas essen. Also setzte sie sich an den großen Tisch, in dessen Mitte eine kleine Zimmerpflanze stand und begann in Ruhe ihr Frühstück zu essen. So ganz allein war es schon etwas still und einsam in dem kleinen Turm, der so hoch war, dass man in ihm das leise Säuseln des Windes hören konnte und weit entfernt das Klappern der Waffen und Rüstungen der trainierenden Rekruten. Langsam kaute sie auf den Broten herum, die man ihr zurecht gemacht hatte und starrte mit leerem Kopf aus dem Fenster, das sich neben ihr befand. In der Ferne konnte sie Vögel beobachten, die dicht über den Baumwipfel des dichten und weiten Waldes hinwegjagten. Der Anblick erfüllte sie irgendwie mit Sehnsucht und dem Wunsch selbst zu fliegen. Doch sie war ja eine Elfe und kein Vogel oder ähnliches und hatte folglich keine Flügel, mit denen es hätte klappen können. Schon ein seltsamer Wunsch, dachte Maxillia, die zuvor noch nie über sowas nachgedacht hatte. Klar kam man so deutlich einfacher und schneller an einige Orte, jedoch ist der Elf nicht dafür gemacht. Sonst wären ihm Flügel gegeben. Außerdem hatten sie magische Portale, um schnell an weit entlegene Orte zu gelangen. Die Menschen hatten dafür Flugzeuge erfunden, die dröhnend den Himmel durchpflügten. Aber das war eigentlich auch nicht Maxillias Ansinnen dahinter. Denn es sah nach Spaß aus und nach grenzenloser Freiheit, die sie nicht hatte. Ob überhaupt ein Elf je fliegen würde? Wohl eher nicht. Denn im Gegensatz zu den Menschen wägten Elfen sehr genau ab, wie hoch der Nutzen wäre im Gegensatz zu den Schäden, die es der Natur brächte. Vor allem machten sich Elfen auch über die Langzeitfolgen Gedanken und dachten nicht nur an den Nutzen, den sie im Hier und Jetzt hätten. Daher entschieden sich die Elfen oft gegen neue Erfindungen, wenn sie die Natur aus dem Gleichgewicht hätten bringen können. So verhielt es sich sicher auch mit den Flugzeugen. Schließlich brauchten diese Unmengen an Treibstoffen, die erst einmal gewonnen werden mussten. Und spätestens dies würde dem Planeten stark zusetzen. Dazu kam, dass die Elfenvölker und auch die Zwerge viel zu sehr an Traditionen und der Vergangenheit festhielten, als dass sie etwas ändern oder gar einen Gedanken an große Veränderungen verschwenden würden. Völlig in Gedanken versunken würgte sie den letzten Bissen ihres Brotes herunter und starrte noch ein paar Minuten aus dem Fenster, bevor sie beschloss sich in ihren Gemächern noch einmal umzusehen, ob ihr nicht doch noch etwas ins Auge fiele, womit sie sich den Vormittag hätte vertreiben können. Also stand sie auf und lief die Stufen, die in die runden Wände geschlagen waren, wieder nach oben in den zweiten Stock. Dort befand sich ihr Bade- und Ankleidezimmer. Ihre Kleidung war allerdings mit einer hölzernen Trennwand abgeteilt, so dass ihr Kleiderschrank mehr einem weiteren Zimmer glich. Kurz ließ sie ihren Blick über den Paravent, die Badewanne und das Schminktischchen mit dem Spiegel wandern und überlegte, ob sie dort etwas hatte, womit es lohnt sich zu beschäftigen. Doch nichts, was sich dort befand, war zum Zeitvertreib geeignet. Gut, sie hätte verschiedene Arten sich zu schminken ausprobieren können, aber darauf hatte sie keine Lust. Schminken verband sie eh immer nur mit dem Prinzessin-sein, was sie bekanntlich nicht gerne war. Daher wandte sie sich ab und ging weiter in den dritten und obersten Stock ihrer Gemächer. In diesem war ihr Schlafzimmer eingerichtet, mit dem herrlichen Himmelbett und den paar wenigen Regalen, in denen nur noch Kerzen und Vasen standen. Früher waren sie vollgestopft mit Kuscheltieren und Spielzeugen. Doch aus diesem Alter war sie schon lange raus, so dass die meisten Bretter leer waren und nur Staub fingen. Seufzend setzte sie sich auf die linke Seite ihres Bettes und starrte aus dem kleinen Fenster gegenüber, von wo sie eine atemberaubende Aussicht über die große Hauptstadt von Rebien hatte. Sie war nicht zu vergleichen mit den modernen Städten der Menschen, mit ihren unglaublich hohen Gebäuden und vielen Lichtern, die oftmals nicht zum Zweck der Beleuchtung angebracht waren. Vielmehr erinnerte sie an die Städte, die die Menschen im sogenannten Mittelalter bewohnten. Neidisch war Max darauf aber trotzdem nicht. Denn so interessant die Welt der Menschen auch war, so schmutzig und unheimlich war sie auch. Max hatte oft das Gefühl, dass die Menschen mit den vielen Dingen die sie besaßen deutlich weniger zufrieden und glücklich waren, als die einfachen Bauern der Elfen und Zwerge, die deutlich weniger besaßen. Selbst Maxillia, eine Prinzessin, besaß teilweise weniger als manch ein normaler Bürger der Menschen. Zumindest sagte Isabella das immer. Nachprüfen konnte das Max nicht so richtig, wodurch sie es einfach glauben musste. Vorstellen konnte sie es sich aber dennoch. Da sie schon einen kleinen Eindruck hatte bekommen können. Verträumt beobachtete sie die kleinen rauchenden Schornsteine, die verrieten, dass dort unten in Lubea in den vielen Schmieden, Bäckereien und den ganzen anderen kleinen Geschäften und Ständen wieder fleißig gearbeitet wurde. „Max?“, riss die Stimme ihrer Mutter sie aus ihrer Träumerei, die, den Schritten nach zu urteilen, die Treppen schon hinaufstieg. „Ja?“, rief Maxillia zurück, während ihr wieder ein stechender Schmerz durch den Kopf zuckte. „Ach hier bist du“, stellte Isabella lächelnd fest, als sie das Schlafzimmer ihrer Tochter erreicht hatte und dieses betrat. „Na? Wie geht es dir heute?“, fragte sie und setzte sich neben sie auf das Bett. „Ich habe Kopfschmerzen“ grinste Maxillia ihre Mutter an, der das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben stand. „Dafür