Tobias Fischer

Veyron Swift und der Orden der Medusa


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Bogen, weder gemauert noch gemeißelt, sondern von Wind und Regenwasser in seine erstaunliche Form geschliffen, von oben bis unten verwittert. Drumherum war der Wald immer noch sehr dicht. Die Chancen standen nicht schlecht, dass die Schrate mich hier gar nicht fanden. Wo sollte ich auch sonst hin? Ich konnte mich ja kaum mehr auf den Beinen halten. Also schleppte ich mich zum Torbogen und stieg hindurch, wollte mich hinter den Felsen verstecken, nur für einen kurzen Moment.

      Dann geschah etwas Seltsames: genau in diesem Moment veränderte sich die Landschaft. Ich war noch immer in einem dunklen Wald, doch der Berg war verschwunden, das Land ringsum flach. Hinter mir stand der steinerne Torbogen, alles andere schien mir jedoch fremd. Selbst von den Schraten konnte ich nichts mehr hören. Diese Unholde sind allerdings für ihre Gerissenheit bekannt. Vielleicht lauerten sie mir in der Nähe auf.

      Die unerwartete Wendung der Ereignisse verlieh mir jedenfalls neue Kräfte. Ich kämpfte mich weiter durchs Unterholz, bis der Wald lichter wurde und ich mehr von der Landschaft erkennen konnte. Tatsächlich befand ich mich jetzt in einem flachen Tal, doch es war nicht das Land, welches den Mons Coronus umgab.

      Ich war nicht länger in Maresia. Allmählich wurde mir bewusst, dass ich es geschafft hatte. Der Felsbogen musste das Tor der Simanui sein! Ohne Ziel oder Orientierung marschierte ich weiter. Nirgendwo fand ich ein Anzeichen, dass ich auch tatsächlich bei den Simanui gelandet war. Die Nachforschungen der alten Ennia hatten sich als trügerisch erwiesen. Doch schon im nächsten Moment verwarf ich diese Zweifel wieder.

      Ich stieß auf eine sonderbare Straße, schwarz und glatt, überhaupt nicht wie die gepflasterten Straßen des Imperiums. Wie aus dem Nichts tauchten plötzlich aus der Finsternis zwei Lichter auf, wie die Augen eines Drachen. Ich war vor Angst wie versteinert. War ich einem weiteren Ungeheuer in die Falle getappt? Am Ende vielleicht sogar Medusa persönlich? Tatsächlich schoss die Bestie genau auf mich zu und machte dabei einen furchtbaren Lärm. Ich vermochte nichts anderes zu tun, als die Hände vor die Augen zu halten und die Götter anzuflehen, dass es nur schnell vorbei sein möge.«

      Sie stutzte und hob verwundert den Kopf.

      »An alles, was danach geschah, kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich erwachte in diesem seltsamen, hellen Raum. Offenbar gehörte er zu einem Krankenhaus wie mir der freundliche Pater Felton versichert hat. Fernwelt ist bei uns in Elderwelt nur ein Mythos, gefüllt mit den tollsten Wundern. Die Wahrheit ist jedoch vielfach erstaunlicher und erschreckender, als ich je zu träumen wagte«, schloss sie ihre Erzählung.

      Veyron öffnete die Augen. Mit einem plötzlichen Anfall von Hyperaktivität schnellte er aus seinem Ohrensessel hoch und marschierte mit hastigen Schritten im Wohnzimmer auf und ab.

      »Ah ja, jetzt verstehe ich endlich die Zusammenhänge«, meinte er mit einer Begeisterung, die niemand sonst nachvollziehen konnte. Er lachte kurz auf, drehte sich zu seinen Klienten um und klatschte laut in die Hände.

      »Hervorragend! Ich muss mich bei Euch bedanken, Prinzessin. Eure Geschichte erhellt einige meiner eigenen Rätsel der letzten Zeit. Ja, ich denke ich kann Euch helfen. Ich werde versuchen, Euch mit den Simanui in Kontakt zu bringen. Jedenfalls müssen wir Euch so schnell wie möglich wieder zurück nach Elderwelt bringen. Eure Mutter und die alte Ennia werden sich große Sorgen machen. Vorübergehend möchte ich Euch jedoch wieder der Obhut der beiden Gentlemen hier anvertrauen. Ich werde derweil Eure Rückkehr arrangieren und Inspektor Moore Bescheid geben, wohin er Euch bringen soll, wenn alles bereit ist«, erklärte Veyron, jetzt wieder sachlich und gelassen.

      Die Prinzessin erhob sich, knickste vor Veyron und küsste seine Hand. Tom fand das erstaunlich, offenbar war das ein Dankbarkeitsritual in Maresia. Sie wandte sich an Inspektor Moore und Pater Felton. Letzterer war der Schnellere, sprang auf und reichte ihr die Hand. In Begleitung der beiden Constables führte er sie nach draußen.

      Moore blieb sitzen und schüttelte den Kopf.

      »Was für eine verrückte Story. Die Lady hat ja eine blühende Phantasie«, brummte er.

      Veyron war anderer Meinung.

      »Angesichts der Tatsache, dass sie mit jedem Wort die Wahrheit sagte, bleibt nur der Schluss übrig, dass Sie vielleicht doch ein Idiot sind, wenn Sie derartigen Unsinn von sich geben, Moore. Jetzt hören Sie mir mal gut zu! Sie sind für den Schutz dieser jungen Dame verantwortlich. Sie werden mit ihr nicht in dieses Hotel zurückkehren, sondern sie bringen sie auf die nächste Polizeiwache. Rufen Sie Gregson an und sagen Sie ihm, dass Sie von Veyron Swift geschickt werden und eine sichere Unterkunft brauchen. In genau drei Tagen brechen Sie zusammen mit der Prinzessin zu einem Ort namens Wisperton auf. Niemand außer Gregson oder Pater Felton darf Sie begleiten.

      Ich wollte es vor der jungen Dame nicht erwähnen, aber sie ist auch in unserer Welt nicht sicher. Ich fürchte, sie ist da in eine Sache hineingeraten, an der weitaus größere und gefährlichere Mächte beteiligt sind, als sie sich vorstellt. Ihre Gegner haben auch hier, mitten in London, ihre willfährigen Handlager. Ich sage es ganz deutlich: Prinzessin Iulia schwebt in Lebensgefahr.«

      Veyron beugte sich zu Moores Ohr und flüsterte ihm etwas zu. Seine dunkle Stimme klang so finster und drängend, dass Tom ein mulmiges Gefühl bekam.

      Moore nickte, sein Blick wild entschlossen. Was immer ihm Veyron auch zugeflüstert hatte, offenbar nahm er ihn jetzt endlich ernst.

      »Ich werde alles genau befolgen, Mr. Swift. Ich dachte mir schon, dass da was nicht stimmt. Ich hoffe nur, Sie bringen rechtzeitig Licht ins Dunkel. Aber vergessen Sie nicht: Das ist eine Angelegenheit der Polizei. Wenn Sie einen Hinweis haben, dann müssen Sie …«

      Veyron unterbrach ihn mit einer wegwerfenden Handbewegung.

      »Sie brauchen mich nicht zu belehren, Moore! Ich kenne die Gesetze! Keine Sorge, Ihre Kollegen bekommen noch genug zu tun. Ich verlange nur eines: Befolgen Sie präzise meine Anweisungen. Der Erfolg wird für sich sprechen.«

      Moore nickte, verabschiedete sich von Tom und Veyron.

      »Ich versichere Ihnen, Ihrer Prinzessin wird nichts geschehen«, sagte er zuletzt und verschwand durch die Haustür.

      Tom hatte plötzlich ein ganz mieses Gefühl. In was für eine Sache waren sie denn nun schon wieder reingeraten?

      3. Kapitel: Flucht aus London

      Die Haustür war kaum ins Schloss gefallen, als Veyron Swift regelrecht in hektischer Aktivität explodierte. Er sprang mit einem gewaltigen Satz über die Couch, nahm sich ein Buch aus dem nächsten Regal und blätterte es durch. Dabei huschte er mit rasenden Schritten von einem Ende des Wohnzimmers zum Anderen. Plötzlich stieß er einen lauten Jubelschrei aus und warf Tom das Buch zu.

      »Ein perfektes Match, Tom! Absolut perfekt! Wir haben einen neuen Fall, mein Lieber. Endlich ist sie um, die Zeit der Lethargie und Langeweile.«

      Tom fing das Buch überrascht auf, blickte auf den Einband. Tacitus – Annalen, klassische Literatur. Englisch/Latein. Eindeutig nicht sein Fall.

      »Ich versteh nicht, was das mit diesem alten Wälzer zu tun hat«, gestand er mit einem Schulterzucken und legte das Buch auf den Tisch. Veyron machte eine flehende Geste zur Zimmerdecke.

      »Weißt du denn gar nichts von der Welt? Tacitus ist der Schlüssel! Seine Geschichte über die frühen Cäsaren. Tiberius, Claudius und Nero. Wir haben ein perfektes Match. Jemand in Elderwelt benutzt Tacitus als Anleitung um die hiesige Cäsarenfamilie auszulöschen, verstehst du das denn nicht?«

      »Nein.«

      Veyron drückte sich mit einem Seufzen die Augenlider mit den Fingern zu, seine übliche Geste, wenn er sich über die scheinbare Begriffsstutzigkeit seiner Gesprächspartner ärgerte.

      »Vergiss es wieder, glaub mir einfach, dass es genauso ist. Wir sind wieder im Spiel und haben einen neuen Fall! Das wird die herbe Enttäuschung unseres letzten Abenteuers aufwiegen«, sagte er.

      Tom erinnerte sich sofort wieder an diese Tommerberry-Sache, ein richtiger Flop. Die Leiche eines Buchhändlers war spurlos verschwunden,