Tobias Fischer

Veyron Swift und der Orden der Medusa


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wirklich sprachlos dastand. Lange hielt dieser Zustand jedoch nicht an. Veyron war sofort wieder bei der Sache.

      »Morgen Mittag, sobald Tom von der Schule nach Hause kommt. Packen Sie schon einmal Ihren Rucksack. Ich empfehle auf jeden Fall festes Schuhwerk und eine sehr warme Jacke, wenn’s geht wasserdicht. Ich muss zuvor noch ein paar Kleinigkeiten erledigen, wir sehen uns also morgen. Halten Sie sich bereit, seien Sie auf alles gefasst. Möglicherweise werden wir sehr rasch aufbrechen müssen«, erklärte er.

      Jane war einverstanden, Stimme und Gestik voller Trotz. Veyron ignorierte ihr Gebaren einfach, verabschiedete sich mit halbwegs freundlichen Worten und verschwand wieder in das finstere Treppenhaus. Jane warf die Tür zu. Mit der Faust hieb sie gegen das Türblatt.

      »Warum muss er mich andauernd provozieren? Er ist ein richtiges Aas, dein Patenonkel«, schimpfte sie.

      Tom zuckte mit den Schultern. »Manchmal schon. Ich bin sicher, dass er dich eigentlich recht gern mag. Er kann es nur nicht so zeigen«, versuchte er Veyron in Schutz nehmen. Jetzt, wo er ihn endlich wieder nach Elderwelt mitnehmen würde, wollte er Veyron das unmögliche Verhalten der letzten Wochen nachsehen. Jane war jedoch anderer Meinung.

      »Nein, der einzige Mensch, der Platz in seinem Herzen hat, ist er selbst – und vielleicht du noch. Mich kann er nicht ausstehen, das kannst du mir glauben. Ich hoffe nur, wir bringen uns nicht gegenseitig um.«

      Tom sagte darauf lieber nichts. Er hoffte, seinen Paten in dieser Sache besser zu kennen als Jane, anderenfalls würde das kein sonderlich angenehmer Ausflug werden.

      Eine halbe Stunde später trat Veyron Swift durch den Eingang von Galvin at Windows, dem sagenhaften Restaurant im 28. Stockwerk des Londoner Hilton Hotels an der Park Lane. Hier oben, von wo man einen fantastischen 360 Grad Blick über ganz London hatte, würde sich ein weiteres Puzzlestück finden, das mit seinem aktuellen Fall in Zusammenhang stand.

      Tom wusste nichts davon, er ahnte es nicht einmal. Veyron hatte den Jungen für cleverer gehalten, aber vielleicht war es auch besser so. Immerhin war er erst fünfzehn Jahre alt und für Geschäfte dieser Art eindeutig zu jung. Sicherlich würde er mit Panik reagieren. Das war etwas, das Veyron überhaupt nicht brauchen konnte.

      Er setzte kaum den Fuß durch die Eingangstür, als auch schon ein Kellner seinen Weg kreuzte und freundlich fragte, wie ihm weiterzuhelfen sei. Veyron hatte sein bestes Hemd angezogen, dunkelblau, nur ganz selten getragen, dazu seine feinste Hose und den teuersten Satz Schuhe, den er auftreiben konnte. Geschniegelte Geschäftsessen waren nicht seine Art. Er bevorzugte es, seine Klienten – und auch seine Feinde – in der Wisteria Road zu empfangen. In diesem Fall wollte er jedoch eine Ausnahme machen. Sein jetziger Gegenspieler war ihm in den letzten zwei Wochen nahe genug gekommen.

      »Ich werde erwartet, Veyron Swift«, ließ er den Kellner wissen. Der nickte sofort und deutete nach hinten zu den Fenstern. Von dort hatte man einen großartigen Blick auf das gewaltige, blau beleuchtete London Eye und auf die dahinter liegende Waterloo Station.

      Veyron bedankte sich mit einem Nicken und setzte sich in Bewegung, wurde aber plötzlich von einem Gast angerempelt – nur ganz kurz. Der Mann entschuldigte sich sofort. Veyron aber spürte, wie blitzschnelle Finger seine Hosentaschen abtasteten, seine Brust streiften und sogar sein Hinterteil. Im Nu war die Begegnung vorbei. Ohne sich umzusehen setzte er den Weg fort.

      Selbstverständlich ist mein Gesprächspartner nicht allein gekommen, dachte er mit einem Schmunzeln. Er hat ein paar Helfer mitgebracht und natürlich wurde ich professionell gefilzt. Alles andere wäre auch eine Enttäuschung gewesen.

      Am besagten Tisch saß ein Mann, gut zehn Jahre älter als Veyron, das schwarze Haar mit reichlich Gel nach hinten geschleckt, die Gesichtszüge ausdruckslos und ohne markante Eigenheiten. Charles Fellows. Bisher hatte Veyron nur indirekt mit ihm zu tun gehabt, kannte ihn nur von Beschreibungen. Das, was er von diesem Mann jedoch wusste, ließ Abscheu in ihm aufkeimen.

      Fellows brachte reiche Finanziers und mittellose Terrororganisationen zusammen, organisierte Waffenschmuggel, plante Überfälle und Anschläge, Entführungen und Erpressungen. Einen skrupelloseren Menschen gab es wahrscheinlich nirgendwo auf der ganzen Welt. Jetzt saß er vor ihm, gekleidet in einem maßgeschneiderten Anzug, viele tausend Pfund wert, und bedachte ihn mit einem kalten Lächeln. Veyron setzte sich.

      »Ihre Männer sind sehr gründlich. Haben Sie Angst, ich bringe eine Waffe mit, oder ein Abhörgerät? Sie kennen offenbar meine Methoden nicht«, begrüßte er Fellows mit dem freundlichsten Lächeln, zu dem er imstande war.

      Fellows erwiderte die Geste beiläufig. »Reine Routine, Mr. Swift. Keine Sorge, meine Männer haben diesen Ort untersucht und infiltriert, seit ich ihn in meiner Email als Treffpunkt angab.«

      Ein Kellner kam, servierte jedem eine Tasse Kaffee, dazu Gebäck. Fellows nickte dem Mann bestätigend zu, kühl, fast maschinell. Veyron achtete genau auf die Reaktion des Kellners. Sie fiel ebenso kühl aus. Noch einer von Fellows Männern? Sehr wahrscheinlich, Fellows überließ sicher nichts dem Zufall.

      »Französischer Kaffee, der beste der Welt. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden?«, fragte Fellows und klang dabei so gelassen, als wäre dies hier nur ein gemütliches Plauderstündchen.

      »Eine vortreffliche Wahl. Sie arbeiten hochprofessionell, das war mir von Anfang an klar. Ihre Söldner beobachten mein Haus jetzt schon seit zwei Wochen, recht unauffällig, getarnt als Handwerker, welche die 120 Wisteria Road renovieren, ein leerstehendes Haus. Perfekte Tarnung, aber nicht, wenn man es mit Veyron Swift zu tun hat«, sagte Veyron. Er schnappte sich die beiden Zuckerpäckchen am Tassenrand.

      Fellows gestattete sich ein geschäftsmäßiges Lächeln in seinem weichen, nichtssagenden Gesicht.

      »Alle Achtung, nicht schlecht für einen Provinzdetektiv aus Harrow. Ist das der Anlass, warum Sie gerade jetzt um dieses Treffen baten? Ich nehme an, Sie wissen sehr wohl, warum Sie in mein Zielvisier geraten sind?«

      »Selbstverständlich. Es geht um Prinzessin Iulia aus Maresia und Ihre sichere Heimkehr nach Elderwelt. Schauen Sie nicht so verblüfft drein, Sie wissen ganz genau was ich meine«, erwiderte Veyron und riss die Zuckerpäckchen auf. Ungeschickt ließ er eines fallen. Der ganze Zucker verteilte sich über die Tischdecke. Veyron entschuldigte sich und wischte das Malheur weg. Seine Hände zitterten, er räusperte sich und ballte kurz die Faust. Ein flüchtiger Moment der Konzentration, ein langes Ausatmen. Das Zittern hörte auf. Er schenkte Fellows ein verlegenes Lächeln, riss anschließend das zweite Zuckerpäckchen auf und schüttete es in seine Tasse.

      Fellows quittierte die Nervosität seines Gegenspielers mit eisiger Genugtuung.

      »Mein Auftraggeber macht sich große Sorgen um die Prinzessin. Ehrlich gesagt, ich verstehe das Warum nicht so ganz. Eigentlich ist es in meinen Augen eine Lappalie. Aber Geschäft ist Geschäft«, meinte er.

      Veyron rieb sich die Hände und nickte zustimmend.

      »Nur, das diesmal Ihr Auftraggeber nicht den Namen H.G.W. Morgan benutzt, oder sollte ich besser sagen: Lord Nemesis? Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Klient den Namen Consilian trägt? Also, was genau erwartet Mr. Consilian nun von mir?«

      Das herablassende Lächeln auf Fellows Lippen verschwand augenblicklich. Sein eh schon recht blasses Antlitz wurde noch um eine Stufe bleicher. Wortlos starrte er Veyron einige Sekunden an, dann schien er seine Fassung zurückgewonnen zu haben.

      »Auf der ganzen Welt gibt es niemanden, der davon weiß«, raunte er, unterschwelligen Zorn in der Stimme, und auch einen Hauch von Furcht.

      Veyron gestattete sich ein kurzes Triumphgefühl.

      »Ich schon, Mr. Fellows, ich schon. Also, zurück zu Ihrem Klienten, den ehrenwerten Mr. Consilian.«

      Fellows atmete tief durch, der Spaß war ihm vergangen.

      »Mein Klient erwartet, dass Sie sich vollkommen aus der weiteren Entwicklung der Ereignisse heraushalten – ganz besonders die Prinzessin betreffend. Die Geschehnisse in Gloria Maresia sind nicht Ihre Sache, so soll ich es Ihnen ausrichten. Ach ja, ich soll