Tobias Fischer

Veyron Swift und der Orden der Medusa


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sind albern, Willkins! Dabei sind Sie gar keine siebzehn mehr. Los jetzt, kommen Sie schon in den Lift, wir haben keine Zeit zu verlieren«, rief er ihr zu.

      Ratlos schenkte sie Tom einen fragenden Blick, doch der konnte nur mit den Schultern zucken.

      »Wir haben es eilig, ein paar Typen sind hinter uns her«, klärte er sie auf.

      Jane schloss sofort die Tür und sperrte ab.

      »Ich hoffe, ich hab‘ nichts abzuschalten vergessen. Wenn meine Bude abfackelt, zieh ich bei euch beiden ein. Dann müsst ihr mich monatelang aushalten«, beschwerte sie sich und stieg zusammen mit Tom in den Lift.

      Unten auf der Straße schlug Jane sofort den Weg zu ihrem alten, feuerroten VW Golf ein, doch Veyron packte sie am Handgelenk, zog sie zu dem schwarzen Jaguar. Ohne weitere Worte warf er ihren Rucksack in den Kofferraum.

      »Warum nehmen wir nicht meinen Wagen? Wo haben Sie überhaupt dieses Auto her? Sie besitzen doch gar keines.«

      Veyron machte ihr die Beifahrertür auf und ließ sie einsteigen. Tom musste auf der Rückbank Platz nehmen, was ihm gar nicht passte (für gewöhnlich saß er lieber vorne). Veyron stieg ein und startete den Motor.

      »Ihr Wagen ist verwanzt«, sagte er mit finsterem Ernst.

      Jane schaute ihn skeptisch an. »Woher wissen Sie das? Was ist denn überhaupt los?«

      Veyron deutete auf die andere Straßenseite, wo ein schmutziger Van mit verwaschener, blauer Firmenaufschrift stand.

      »Ist Ihnen der Vauxhall gegenüber noch nicht aufgefallen? Der parkt seit gestern Nacht da, seit Tom bei Ihnen übernachtet hat. Drinnen sitzen zwei Männer, die den Auftrag haben, ihn zu entführen. Ich bin sicher, die würden nicht zögern, Sie zu töten. Das sind Profis, Söldner und Berufskiller. Gerade eben versuchen sie mit ihrem Auftraggeber Kontakt aufzunehmen, da unser unerwartetes Auftauchen, noch dazu in diesem Wagen, nicht zu ihrem Plan gehört.«

      Jane machte große Augen. Sie beobachtete den Lieferwagen jetzt mit professionellem Interesse. Die Polizistin in ihr war geweckt.

      »Okay. Was haben Sie vor?«

      »Ganz einfach: Ich warte.«

      »Warten? Worauf?«

      Er deutete auf die Straße, wo sich ein alter Sportwagen näherte, aus dem lauter Rap zu hören war. Drinnen saßen vier Jugendliche, mit dicken Muskeln bepackt, überall tätowiert und Sonnenbrillen auf den Nasen.

      »Darauf. Pünktlich wie bestellt.«

      Die vier Jungs parkten ihren Wagen direkt neben dem Van.

      Endlich fuhr Veyron los. So schnell es der Motor des verbeulten Jaguars zuließ, raste er die Straße hinunter, dann bog er in Richtung Innenstadt ab. Tom und Jane beobachteten den Sportwagen durch die Heckscheibe. Er blockierte immer noch den Weg des Lieferwagens. Zwei Männer stiegen aus und beschwerten sich, doch die Jugendlichen im Sportwagen weigerten sich wegzufahren.

      »Simon Woods und seine Jungs. Üble Burschen, aber sie schuldeten mir wegen des Trolls von Woking, der drei aus ihrer Gang aufgefressen hat, noch einen Gefallen«, erklärte Veyron mit einem amüsierten Lächeln.

      Jane wirkte alles andere als begeistert.

      »Sie lassen sich mit diesen Typen ein? Das sind Gangster, Veyron. Typen von der allerschlimmsten Sorte.«

      »Irrtum, Willkins. Diese Jungs und ihre Familien werden in Ghettos angesiedelt, erhalten keine vernünftige Bildung und keine ordentlichen Jobs. Man lässt sie einfach links liegen, nur um dann noch kräftig auf sie draufzuhauen, wenn mal was schiefläuft. Niemand ist da, um diesen Menschen einen Weg in die Zukunft zu zeigen. Es ist unsere Gesellschaft, die von der allerschlimmsten Sorte ist«, konterte er mit ungewöhnlich scharfem Ton.

      Jane war sofort wieder still und blickte verlegen aus dem Fenster. Tom wagte auch nichts zu sagen. Irgendwie saß er hier zwischen den Stühlen.

      »Wo geht‘s jetzt eigentlich hin? Wir können ja nicht ewig mit einem gestohlenen Wagen rumfahren«, wechselte er das Thema.

      Jane wäre am liebsten durch die Decke gegangen. »Was? Der Wagen ist gestohlen? Swift, Sie haben den Verstand verloren!«

      »Ganz im Gegenteil. Ich habe dieses Fahrzeug Toms Fast-Entführern entwendet. Die sitzen jetzt bei Gregson auf dem Revier und werden sich ausschweigen. Niemand wird uns verfolgen, also bleiben Sie ganz entspannt. Ich fahre auch bloß bis King’s Cross, dort steigen wir in den Zug nach Milton Keynes um. Karten habe ich bereits gekauft.«

      »Warum mit dem Zug?«

      »Wegen möglicher Verfolger. Da Zugfahren heutzutage fast anachronistisch ist, werden unsere Gegner es am wenigsten erwarten. Bis die wissen, wo wir hin sind, genießen wir bereits die Freuden Elderwelts.«

      Veyron versprach nicht zu viel. Er ließ den verbeulten Jaguar einfach am Straßenrand stehen und sie marschierten in den riesigen Bahnhof. Freitagmittag gingen sie im Getümmel Londons komplett unter. Dennoch wanderten Toms Blicke überall hin. Jede Person, die ihm irgendwie seltsam vorkam, beobachtete er genau. Erst als sie in den Zug eingestiegen waren, wurde er etwas ruhiger.

      Veyron besetzte ein Abteil und warf Janes Rucksack auf die Gepäckablage. Er selbst hatte nur eine alte, karierte Reisetasche aus Filz dabei, die perfekt zu dem altmodischen Rock und der albernen selbstgestrickten Jacke passte. Danach verschwand er auf der nächsten Toilette. Jane, wachsam aber aufgeregt, blieb in der Tür des Abteils stehen und spähte in alle Richtungen. Sie bedauerte es mehrmals, dass sie ihre Dienstwaffe nicht eingepackt hatte

      »Ich hab das Gefühl, die werden wir noch brauchen. Mein Gott, worauf habe ich mich da nur eingelassen?«, murmelte sie und klopfte mit den Fingern nervös gegen den metallenen Türrahmen.

      Nach einer Viertelstunde kehrte Veyron zurück, jetzt wieder ganz er selbst, das schwarze Haar zerzaust, ein breites, schelmisches Grinsen in seinem hageren, falkenhaften Gesicht. Anstatt des modrigen Großmutteraufzugs trug er jetzt Hemd, Hose und eine Anzugweste.

      Er könnte glatt als seriöser Geschäftsmann durchgehen, dachte Tom. Aber nur, wenn man ihn nicht besser kennt!

      »Setzen Sie sich endlich, Willkins. Unsere Verfolger sind wir los und wir werden wohl auch nicht weiter von ihnen behelligt werden«, sagte Veyron und schob die junge Polizistin ins Abteil. Eher widerwillig ließ sie sich in einen der Sitze fallen, während Veyron sich entspannt hinlümmelte und die Beine übereinander schlug.

      »Der ganze Ärger begann vor ziemlich genau zwei Wochen. Ich bekam Emails mit wenig freundlichem Inhalt. Ganz offen wurde mir gedroht. Zunächst nur per Text, später folgten dann Fotos von Tom, aufgenommen auf der Straße, vor der Schule und auch vor Ihrer Wohnung. Sofort war mir klar, dass es jemand ziemlich ernst meinte«, erklärte er.

      Jane schüttelte erschrocken den Kopf.

      »Sie hätten uns informieren sollen. Die Polizei besteht nicht nur aus Idioten, wissen Sie? Inspektor Gregson hätte sicher was unternehmen können«, meinte sie.

      »Sehr pflichtbewusst, Constable, sehr pflichtbewusst. Aber leider blieb mir dieser Weg versperrt. Ich bekam auch Fotos von Ihnen, von Gregson und von jedem anderem aus dem Revier. Ein falscher Schritt von mir und Sie hätten auf eine Kollegenbeerdigung gehen können – eventuell auch auf Ihre eigene. Das musste ich verhindern. Zurück zu meinem neuen Feind. Seine Textnachrichten ließen erkennen, dass ich mich um jeden Preis aus gewissen Angelegenheiten heraushalten sollte. Mir war nur nicht klar, aus welchen. Seit dem Tommerberry-Desaster, oder den Schneetroll-Flop in Schottland, hatte ich eigentlich gar nichts mehr zu tun. An meinem Fliegenprojekt – das von Tom und Mrs. Fuller massiv sabotiert wurde, nur um das noch anzumerken – konnte mein Feind ja wohl kaum Anstoß genommen haben.

      Also bat ich meinen unbekannten Gegner um eine Unterredung. Ich antwortete einfach auf seine Emails. Mir war natürlich klar, dass die Absender gefälscht waren, aber ebenso rechnete ich damit, dass mein Feind eine Möglichkeit besaß, um meine Antworten zu erhalten.

      Schließlich