Tobias Fischer

Veyron Swift und der Orden der Medusa


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Ein neuartiges Sedativ, das ein temporäres Koma hervorruft – Tommerberrys bemitleidenswerter Versuch, den eigenen Tod zu fingieren. Ein versuchter Versicherungsbetrug, wie langweilig. Für uns alle jetzt jedoch ein Glücksfall. Ich nehme also die präparierten Zuckerpäckchen mit zu meinem Treffen mit Fellows. In einem Moment vorgespielter Nervosität und Ungeschicklichkeit, tausche ich die echten durch die falschen aus, schütte sie in meinen Kaffee, trinke dann jedoch aus Fellows Tasse. Dieser nun aus der meinen und tappt so in meine Falle. Tommerberrys Sedativ braucht ein paar Stunden, bis es zu wirken beginnt. Fellows kehrt in seine Absteige zurück und schläft ein; vor dem Fernseher, beim Pokern oder wo auch immer. Das Sedativ ruft einen komatösen Zustand hervor, Fellows Handlanger können ihn nicht mehr aufwecken. Zweifellos lassen sie ihn in ihrer Panik im Stich und fliehen. Wenn er wieder zu sich kommt – etwa heute Abend – steht er vor den Trümmern seiner Organisation. Er wird untertauchen müssen, denn Gregson und sogar der MI-5 sind ihm auf den Fersen. Vielleicht gelingt ihm die Flucht, aber ich bezweifle es. Das, meine liebe Willkins, ist dann das Ende der Geschichte und zweifellos auch das Ende von Mr. Charles Fellows.«

      Seinen Triumph auskostend, verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen.

      Von Jane war für den Rest der Fahrt nach Milton Keynes kein einziges kritisches Wort mehr zu hören. Misstrauisch blieb sie dennoch, als wollte sie nicht so ganz glauben, dass es Veyron wirklich gelungen war, innerhalb von Stunden jenen Mann restlos zu besiegen, den die ganze Ermittlerelite der Welt bislang vergebens zu verhaften versucht hatte.

      Auch Tom war nicht ganz wohl in seiner Haut. In Kürze würden sie nach Elderwelt zurückkehren. Dieser unheimliche Consilian würde dort auf sie warten. Um ihm das Handwerk zu legen, würde es sicher mehr brauchen, als ein paar billige Tricks.

      4. Kapitel: Ankunft in Fabrillian

      Von Milton Keynes führte der Weg über die Landstraße nach Wisperton, einem kleinen Ort, der mitten in der Wildnis lag. Von Osten, Westen und Norden von Wald umgeben, grenzten zahlreiche Äcker und Pferdeweiden im Süden an die Ortsgrenzen. Insgesamt vierundzwanzig alte Häuser säumten die ebenso alte Straße, die wohl zum letzten Mal irgendwann in den Sechzigern ausgebessert wurde. Unzählige Schlaglöcher und der fast vollständig verblasste Mittelstreifen, machten jede Autofahrt hier zum Abenteuer. Es gab ein einziges Hotel, mit zusammengezählt sechs Fremdenzimmern im ersten Stock, die meisten nicht belegt. Das Erdgeschoss wurde von einem altmodischen, aber gemütlichen Pub ausgefüllt.

      Sie erreichten Wisperton erst nach Einbruch der Dunkelheit und wären da nicht ein paar alte Straßenlaternen und die hell erleuchteten Fenster des Pub gewesen, sie wären glatt durchgefahren. Tom erinnerte sich noch gut an diesen Ort. Nichts hatte sich seit ihrem letzten Besuch geändert. Im letzten Jahr endete hier sein erstes großes Abenteuer, nun sollte das Zweite beginnen.

      »Als würde die Zeit in diesem Ort stehenbleiben. Nur das es jetzt Herbst ist, kalt und neblig. Letztes Mal war es Spätsommer und angenehm warm. Ob das irgendetwas zu bedeuten hat«, fragte er sich.

      Veyron hatte in Milton Keynes einen Mietwagen organisiert, eine alte Rostlaube, die auf scheinbar magische Weise zusammengehalten wurde. Mehrmals hatte das Vehikel den Eindruck erweckt, als wolle es am liebsten sofort auseinanderfallen. Hier draußen in Wisperton, fiel der Schrotthaufen zwischen all den anderen betagten Automobilen jedoch kaum auf. Er parkte den Wagen auf der anderen Straßenseite, sie stiegen aus und holten ihr Gepäck aus dem Kofferraum. Der Parkplatz des Hotels war mit Fahrzeugen aller Art überfüllt. Limousinen, Traktoren und Motorräder, da ganze Dorf schien anwesend zu sein.

      »Von hier aus sollen wir nach Elderwelt gelangen«, fragte Jane zweifelnd. Sie warf mit verschränkten Armen einen missmutigen Blick in das alte Pub. Durch die kleinen Fenster konnte man sehen, dass drinnen ein reges Treiben herrschte.

      »Nicht direkt, aber ich hoffe, hier einen Führer zu treffen, der uns dorthin bringt. Ich versichere Ihnen, dass wir hier Elderwelt näher sind, als sonst irgendwo in England«, gab Veyron zurück. Ohne weiteres Zögern betrat er das Pub, gefolgt von Tom und der äußerst skeptisch dreinschauenden Jane.

      Die Gaststube war brechend voll. Dutzende von Leuten saßen oder standen um die kleinen Tische. Sie unterhielten sich angeregt, die einen über das, die anderen über jenes. Für Tom war es ein einziges Stimmengewirr, das in seinen Ohren summte. Veyron setzte sich an einen freien Tisch und bat Jane und Tom, ebenfalls Platz zu nehmen.

      Ein junger Keller, höchstens zwanzig, das lange, dunkelbraune Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, erschien lautlos neben ihnen und bat um die Bestellung.

      »Für Tom eine Coke und für Willkins ein Bier, für mich ein Mineralwasser, bitte. Oder könnt Ihr mir etwas Besseres empfehlen, Meister Faeringel?«, sagte Veyron, ohne den jugendlichen Kellner dabei anzusehen.

      Tom hob erstaunt den Blick, als er den ungewöhnlichen Namen des Kellners vernahm. Er hatte ihn schon einmal gehört – drüben in Elderwelt. Der Kellner lächelte verschmitzt.

      »Normalerweise vermag mich kein Mensch in dieser Tarnung zu erkennen. Ihr müsst wahrhaftig die Fähigkeiten eines Zauberers besitzen, Meister Swift«, erwiderte er.

      In Veyrons Gesicht blitzte ein Lächeln auf, nur um sofort wieder in seinen üblichen, scheinbar desinteressierten Ausdruck zurückzukehren.

      »Nur geschulte Augen, ausgezeichnete Ohren und ein superbes Erinnerungsvermögen. Ihr könnt Eure Ohren tarnen, vielleicht auch noch gewisse Merkmale in Eurem Gesicht und Eurer Gestalt, aber Eure Bewegungen nicht, und auch kaum die Stimme. Ihr habt meine Nachricht erhalten?«

      Der Kellner, Faeringel, nickte stumm.

      »Die Königin wurde über Euer Anliegen in Kenntnis gesetzt. Sie ist einverstanden, dass Ihr auf die andere Seite gehen dürft. Ich werde Euch zum Durchgang führen. Die junge Dame kommt wohl ebenfalls mit, oder ist sie nur eine momentane Gesellschaft?«

      Veyron lachte kurz, vermutlich weil Jane plötzlich so verdattert dreinschaute. Tom konnte es nicht sagen, er war immer noch damit beschäftigt, das Gesicht des Kellners mit jenem in Einklang zu bringen, das er erst letztes Jahr kennengelernt hatte. Es wollte ihm nicht gelingen. Faeringel sah doch ganz anders aus. Wie um alles in der Welt konnte das denn sein? Er zuckte mit den Schultern und fand sich einfach damit ab.

      »Das ist Jane Willkins, eine Polizistin; und mit unseren Angelegenheiten gewissermaßen vertraut. Ist das mit nur einem Erlaubnisstein machbar?«, sagte Veyron.

      Faeringel musterte Jane mit einem schnellen Blick, dann nickte er.

      »Es wird immer nur ein einziger Erlaubnisstein benötigt. Ihr habt ihn doch hoffentlich dabei?«

      »Tom, zeig Meister Faeringel doch den kleinen Kieselstein, den dir die Königin bei unserem letzten Abenteuer geschenkt hat.«

      Tom griff in die Hosentasche, holte seinen Geldbeutel heraus und klappte ihn auf. Er fischte einen kleinen, eisblauen Kiesel heraus. Schon lange hatte er nicht mehr an dieses ungewöhnliche Geschenk gedacht, doch jetzt, wo er es zwischen den Fingern drehte, erinnerte sich wieder an alles. Faeringel schien jedenfalls zufrieden.

      »Sehr gut«, sagte er. »Wir marschieren morgen bei Sonnenaufgang los. Eure Nachricht erzählte noch etwas von einer zweiten Gruppe, die nach Elderwelt kommen möchte?«

      »Ja, in der Tat. Übermorgen werden drei weitere Leute in Wisperton auftauchen, darunter eine Prinzessin aus Maresia, Iulia Livia. Sie ist durch einen anderen Durchgang in unsere Welt gelangt. Es ist von allergrößter Wichtigkeit, dass sie heil nach Elderwelt zurückkehrt. Ihre Begleiter, ein rundlicher Inspektor und ein ältlicher Priester, könnt Ihr nachhause schicken, mit Grüßen von mir und dem Versprechen, mich so bald wie möglich zu melden. Lässt sich das bewerkstelligen?«

      »Natürlich. Ich habe noch einige meiner Leute in der Gegend. Die werden Eure Freunde in Empfang nehmen und die Prinzessin zur Königin geleiten. Allerdings gefällt es mir nicht, jemanden aus Maresia nach Fabrillian zu bringen. Ihr kennt meine Vorbehalte gegen dieses eroberungssüchtige Menschenvolk.«

      »Wenn ich es