Tobias Fischer

Veyron Swift und der Orden der Medusa


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außergewöhnlich wohlhabend und sehr gut bezahlt. Mein Gegner hoffte wohl, mich damit überraschen zu können.

      Es wäre ihm wohl auch gelungen, wäre ich nur irgendein Hinterhofdetektiv, ein Amateur, der sich auf das Verlegen von Abhöranlagen versteht und untreuen Ehemännern hinterher spioniert. Mir war natürlich sehr schnell aufgefallen, dass in den letzten zwei Wochen etwas nicht stimmte. Ich kenne jeden Bewohner der Wisteria Road, weiß wie ihre Hunde heißen und welche Autos sie fahren. Da fällt ein Umzugstransporter natürlich sofort auf; wohlwissend, dass niemand in der Straße weder ein- noch auszog. 111 Wisteria Road wurde professionell beschattet. Aber ich hatte nicht vor, mich ungestraft beobachten zu lassen. Ich musste herausfinden, was hier gespielt wurde und welche Geschütze mein Feind noch gegen mich auffahren könnte. Dazu war es erst einmal notwendig, das Haus zu verlassen, heimlich und ungesehen«, erklärte er. Veyron ging davon aus, dass seine beiden Begleiter sich den Rest der Geschichte nun selbst zusammenreimen konnten. Als er jedoch die erwartungsvollen Gesichter von Jane und Tom registrierte, begriff er seinen Irrtum und fuhr fort.

      »Da habe ich Mrs. Hardfist erfunden, eine alleinstehende, sehr alte und gebrechliche Frau, die jeden Morgen mit ihrem Rollator einen kleinen Spaziergang in die Stadt macht. Zugegeben, einen sehr ausgedehnten Spaziergang, der sie nicht nur zu Toms Schule, sondern auch zu Ihnen, Willkins, und zu Inspektor Gregson führte.«

      Veyrons Grinsen wuchs in die Breite, als er sich für seine eigene Genialität bewunderte. Tom fand dieses selbstverliebte Gehabe fast unerträglich, aber er musste zugeben, dass die Ergebnisse eindeutig für seinen Paten sprachen.

      »Sie müssen wissen, dass 111 Wisteria Road einen zweiten Keller besitzt. Ich habe ihn vor neun Jahren ausheben lassen, als ich mit meiner Arbeit als Berater für unnatürliche Ereignisse und mythische Wesen begann. Sollte mich einmal eine Horde Kobolde angreifen, bräuchte ich einen schnellen Fluchtweg. Von diesem Keller führen mehrere Tunnels in die Keller der ganzen Nachbarschaft, auch unter der Straße hindurch. Auf diese Weise konnte ich jeden Morgen unerkannt 111 Wisteria Road verlassen.«

      Tom musste vor Begeisterung lachen.

      »Ist ja irre. Cool«, meinte er.

      Jane fand das dagegen weniger lustig. Sie schüttelte nur entgeistert den Kopf.

      »Sie haben doch einen totalen Dachschaden! Was Sie da gemacht haben, ist im höchsten Maße illegal. Wissen wenigstens Ihre Nachbarn von diesen Tunnels?«

      Veyron sah sie an, als habe sie den Verstand verloren.

      »Natürlich nicht«, entrüstete er sich. »Ansonsten wäre der Sinn und Zweck dieser Tunnel ja vollkommen umsonst. Warum glauben Sie wohl, nennt man sie Geheimtunnel? Weil sie geheim sind, ebenso die Türen. Noch keiner der Nachbarn hat sie entdeckt. Ich kenne selbstverständlich die morgendlichen Angewohnheiten meiner Nachbarn und weiß, wann ich gefahrlos welchen Tunnel benutzen kann. 114 Wisteria Road wird zum Beispiel in der Tat von einer alten Lady bewohnt, doch die liegt seit vier Wochen im Krankenhaus und kommt erst übermorgen wieder zurück. Dieser Umstand kam meiner kleinen Täuschungsnummer natürlich zu Gute. Zurück zu meinen weiteren Maßnahmen:

      Jetzt stand dieser Termin in jenem besagten Restaurant in Londons Innenstadt an. Wen traf ich dort? Charles Fellows, einer der meistgesuchtesten Verbrecher der Welt«, erklärte Veyron weiter. Er erzählte den beiden von dem Treffen und wiederholte jedes Wort, das gesprochen wurde, erwähnte jede Geste, jedes falsche Lächeln oder Aufblitzen der Augen. Er ließ kein einziges Detail aus. Wenn sie gefragt hätten, er hätte ihnen sogar sagen können wie oft die Warnlichter am London Eye in jener Nacht geblinkt hatten.

      Tom war beeindruckt wie ruhig und vorwitzig sein Pate in dieser Situation geblieben war. Jane dagegen schien im höchsten Maße aufgeregt und eingeschüchtert. Sie spielte nervös mit ihren Fingern und warf pausenlos wachsame Blicke hinaus auf den engen Gang.

      »Sie sind verrückt! Einer der gefährlichsten Männer der Welt erpresst Sie, setzt Killer und Entführer auf uns andere an – und was tun Sie? Anstatt sich bei der Polizei zu melden, spielen Sie mit diesem Fellows auch noch Spielchen! Ist Ihnen klar, in welche Gefahr Sie Tom da gebracht haben? Ihre Nachbarn, den Inspektor und mich – eigentlich jedermann?«

      Veyron schloss die Augen und seufzte laut.

      »Willkins, Sie müssen sich wirklich entspannen. Machen Sie sich keine Sorgen, die Gefahr ist fürs Erste gebannt.«

      »Das ich nicht lache!«

      »Sie kennen den Rest der Geschichte nicht. Ich habe Ihnen noch nichts von Mrs. Hardfists Wirken berichtet. Dazu komme ich gleich, doch zuerst will ich Ihnen erklären wie es mir gelang, Ihren und Toms Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

      Ich sagte schon, dass ich bereits vor dem Treffen über Fellows verschiedene Handlanger im Bilde war. Nun musste ich jedoch Gegenmaßnahmen ergreifen. Sie würden staunen, Willkins, wer mir noch den einen oder anderen Gefallen schuldet oder mir bereitwillig Unterstützung anbietet. Menschen, über die Sie die Nase rümpfen oder Sie belächeln. Meine unsichtbaren Freunde, so nenne ich sie, die Bettler, die Obdachlosen, die Graffiti-Sprayer oder die heimatlosen Ghetto-Kids.

      Noch während ich auf dem Weg zum Treffen mit Fellows war, wurde bereits sein Untergang eingeleitet. Meine unsichtbaren Freunde kontaktierten Woods, gaben ihm meine Anweisungen weiter. Auf diese Weise wurde Toms Fluchtfahrrad bereitgestellt. Auch die drei Schläger lauerten ihm rechtzeitig auf, um einen Zugriff von Fellows Leuten zu verhindern und Verwirrung zu stiften. Ort und Zeit waren präzise geplant, ebenso das Auftauchen von Woods Leuten vor Ihrem Wohnhaus, Willkins. Auch Mr. Puttner war zur rechten Zeit da, um Tom die Tore seines Grundstücks zu öffnen. Ich hatte die ganze Verfolgungsjagd vorausberechnet, die Geschwindigkeiten des Fahrrads und des Verfolgungsfahrzeugs so genau wie möglich bestimmt. Alle Mechanismen haben funktioniert, keiner meiner vier Ausweichpläne musste eingeleitet werden.

      Die einzigen kleinen Zutaten, die ich noch hinzufügen musste, war die Manipulation von Toms Smartphone und eine Webcam in seinem Rucksackverschluss, damit ich beobachten konnte, was hinter ihm geschah. Natürlich noch das Daring-Schwert für Notfälle. Ich selbst hielt mich, als Mrs. Hardfist verkleidet, den ganzen Morgen schon bereit. Den Rest der Geschichte kennen Sie ja.«

      Tom lachte laut auf, als er all das hörte. Er klatschte in die Hände.

      »Phantastisch, echt cool. Das ist ja der Wahnsinn.«

      Nur Jane blieb noch immer skeptisch, wenngleich sie sich ein anerkennendes Lächeln nicht ganz verkneifen konnte.

      »Eine meisterhaft inszenierte Flucht, das stimmt. Aber das Hauptproblem löst sie natürlich nicht. Fellows ist immer noch dort draußen. Wenn es stimmt, was Sie über diesen Kerl sagen, sind seine Killer jetzt hinter uns her«, meinte sie.

      Veyron stieß einen höhnischen Lacher aus, wurde aber gleich wieder ernst.

      »Ich bezweifle sehr stark, das Mr. Fellows dazu überhaupt in der Lage sein wird«, erwiderte er.

      Jane und Tom blickten ihn staunend an, was Veyron listig lächeln ließ.

      »Ich sollte vielleicht endlich von Mrs. Hardfists Meisterstück erzählen. Was für eine tüchtige alte Lady! Nachdem ich Fellows kontaktiert hatte und Adresse und Uhrzeit unseres Treffpunkts übermittelt bekam, bemühte ich Mrs. Hardfist für einen kleinen Ausflug in die City. Ich hatte ein paar Stunden Zeit. Zweifellos würden Fellows Agenten bereits in jenem Restaurant warten, falls ich vorher mal vorbeischaue. Fellows ist kein Dummkopf. Mit einem Besuch von Mrs. Hardfist rechnet jedoch nicht einmal er. Eine krumme, übelriechende alte Schachtel, der man nicht zu nahe kommen will. Die watschelt in das Hilton, hinein in den Aufzug und rauf ins Restaurant, von jedermann ungläubig angestarrt. Sie marschiert von Kundschaft zu Kundschaft, murmelt, geifert, schnappt sich ein paar Zuckerpäckchen und steckt sie in die Taschen. Ein freundlicher Kellner kommt zu ihr und komplimentiert sie hinaus. Mrs. Hardfist beschimpft ihn als Rüpel und steigt in den nächsten Bus. Jedermann lacht über diesen Vorfall, auch Fellows Handlanger.

      Zu Hause verwandelt sie sich dann zurück in Veyron Swift, der nun die Zuckerpäckchen nimmt und manipuliert. Er mischt dem Zucker ein Betäubungsmittel bei. Und zwar jenes, welches der gute,