Charles Dickens

Weihnachtsmärchen


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Teller von Miß Belinda gewechselt, und Mrs. Cratchit verließ

      das Zimmer allein, denn sie war zu unruhig, Zeugen dulden zu

      können, wenn sie den Pudding herausnahm und hereinbrachte.

      Wenn er nicht ausgebacken wäre! Wenn er beim Herausnehmen

      in Stücke zerfiele! Wenn jemand über die Mauer des

      Hinterhauses geklettert wäre und ihn gestohlen hätte, während

      sie sich an der Gans erquickten - ein Gedanke, bei dem die

      beiden kleinen Cratchits vor Schrecken bleich wurden.

      Hallo, eine Dampfwolke! Der Pudding war aus dem Kessel

      genommen. Ein Geruch, wie an einem Waschtag! Das war die

      Serviette. Ein Geruch wie in einem Speisehaus, mit einem

      Pastetenbäcker auf der einen und einer Wäscherin auf der

      andern Seite! Das war der Pudding. Nach einer halben Minute

      trat Mrs.

      Cratchit herein, aufgeregt, aber stolz lächelnd und vor sich den

      Pudding haltend, hart und fest wie eine gefleckte Kanonenkugel,

      in einem Viertelquart Rum flammend und in der Mitte mit der

      festlichen Stechpalme geschmückt.

      Oh, welch wunderbarer Pudding! Bob Cratchit erklärte mit

      ruhiger und sicherer Stimme, er halte das für das größte

      Kochkunststück, das Mrs. Cratchit 42

      Kochkunststück, das Mrs. Cratchit 42

      seit ihrer Heirat geliefert habe. Mrs. Cratchit meinte, da die Last

      von ihrem Herzen sei, wol e sie nur gestehen, daß sie wegen der

      Menge des Mehls gar sehr in Angst gewesen sei. jeder hatte

      darüber etwas zu sagen, aber keiner sagte oder dachte, es sei

      doch ein zu kleiner Pudding für eine so große Familie. Das wäre

      offenbare Ketzerei gewesen. jeder Cratchit würde sich geschämt

      haben, an so etwas nur zu denken.

      Endlich waren sie mit dem Essen fertig, der Tisch war

      abgedeckt, der Herd gesäubert und das Feuer geschürt. Das

      Gemisch im Krug wurde gekostet und für fertig erklärt, Äpfel

      und Apfelsinen auf den Tisch gesetzt und ein paar Hände voll

      Kastanien auf das Feuer geschüttet. Dann setzte sich die ganze

      Familie Cratchit um den Kamin in einem Kreis, wie es Bob

      Cratchit nannte, obgleich es eigentlich nur ein Halbkreis war,

      Bob in die Mitte und neben ihm der Gläservorrat der Familie:

      zwei Paßgläser und ein Milchkännchen ohne Henkel.

      Diese Gefäße aber hielten das heiße Gemisch aus dem Krug so

      gut, als wären es goldene Pokale gewesen, und Bob schenkte

      mit strahlenden Blicken ein, während die Kastanien auf dem

      Feuer spuckten und platzten. Dann schlug Bob den Toast vor.

      »Uns allen eine fröhliche Weihnacht, meine Lieben! Gott segne

      uns!«

      Die ganze Familie wiederholte den Toast.

      »Gott segne jeden von uns!« sagte Tiny Tim, der letzte von al en.

      Er saß dicht neben dem Vater auf seinem Stühlchen, Bob hielt

      seine kleine welke Hand in der seinigen, als ob er das Kind liebte

      und wünschte, es bei sich zu behalten, aber fürchte, es könnte

      ihm bald genommen werden.

      »Geist«, sprach Scrooge mit einer Teilnahme, wie er sie noch nie

      empfunden hatte, »sag mir, wird Tiny Tim am Leben bleiben?«

      »Ich sehe einen leeren Stuhl in der Kaminecke«, antwortete der

      Geist, »und eine Krücke ohne Besitzer, sorgfältig aufbewahrt.

      Wenn die Zukunft diese Schatten nicht ändert, wird das Kind

      sterben.«

      »Nein, nein«, drängte Scrooge. »Ach nein, guter Geist, sag, daß

      es am Leben bleiben wird.«

      »Wenn die Zukunft diese Schatten nicht verändert«, antwortete

      der Geist abermals, »wird kein anderer meines Geschlechtes das

      Kind noch hier finden.

      Was tut es auch? Wenn es sterben muß, ist es besser, es tue es

      gleich und vermindere die überflüssige Bevölkerung.«

      Scrooge senkte das Haupt, da er seine eigenen Worte von dem

      Geist hörte, und fühlte sich überwältigt von Reue und Schmerz.

      Geist hörte, und fühlte sich überwältigt von Reue und Schmerz.

      »Mensch«, sprach der Geist, »wenn du ein menschliches Herz

      hast und kein steinernes, so hüte dich, so heuchlerisch zu reden,

      bis du weißt, was und wo dieser Überfluß ist. Willst du

      entscheiden, welche Menschen leben, welche 43

      Menschen sterben sol en? Vielleicht bist du in den Augen des

      Himmels unwürdiger und unfähiger zu leben als Millionen gleich

      dieses armen Mannes Kind. O Gott! Solch Gewürm auf einem

      Blättlein reden zu hören über zuviel Leben unter seinen hungrigen

      Brüdern im Staub!«

      Scrooge nahm des Geistes Vorwurf demütig hin und schlug die

      Augen nieder, aber er blickte schnel wieder in die Höhe, als er

      seinen Namen nennen hörte.

      »Es lebe Mr. Scrooge!« sagte Bob, »Mr. Scrooge, der Schöpfer

      dieses Festes!«

      »Der Schöpfer dieses Festes, wahrhaftig!« rief Mrs. Cratchit mit

      glühendem Gesicht. »Ich wol te, ich hätte ihn hier. Ich wol te ihm

      ein Stück von meiner Meinung zu kosten geben, und ich hoffe,

      sie würde ihm schmecken.«

      »Liebe Frau«, sagte Bob beschwichtigend, »die Kinder! - Es ist

      Weihnachten.«

      »Freilich muß es Weihnachten sein«, sagte sie, »wenn man auf

      »Freilich muß es Weihnachten sein«, sagte sie, »wenn man auf

      die Gesundheit eines so niederträchtigen, geizigen, fühllosen

      Menschen, wie Scrooge ist, trinken kann. Und du weißt es,

      Robert, daß er so ist, niemand weiß es besser als du!«

      »Liebe Frau«, antwortete Bob mild, »es ist Weihnachten.«

      »Ich will auf seine Gesundheit trinken, dir und dem Feste zu

      Gefallen,« sagte Mrs. Cratchit, »nicht seinetwegen. Möge er

      lange leben! Ein fröhliches Weihnachten und ein glückliches

      neues Jahr! - Er wird sehr fröhlich und sehr glücklich sein,