Liv-Malin Winter

Pechschwarzer Sand


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Damit würde er eine Nudel-Zucchini-Pfanne zubereiten. Dann besorgte er alles andere, was sie in den nächsten Tagen benötigen würden.

      »Jetzt erzählt doch mal, warum ihr so lange nach Deutschland gebraucht habt«, erkundigte sich Eric, während sie in seiner geräumigen Wohnküche aßen. Vor der dritten Ölkrise, als Flugzeuge noch allgegenwärtig gewesen waren, hätte die Reise nur einen Tag gedauert und sich nicht über Wochen hingezogen. Inzwischen standen Flugzeuge nur noch Privilegierten zur Verfügung.

      »Eigentlich wollten wir das Geld, das du uns überwiesen hast, in Toronto von der Bank abholen. Wir haben diese Stadt dafür ausgewählt, weil wir hofften, dass es dort schwierig sein würde, unsere Spur zu verfolgen. Doch als wir in Toronto angekommen waren, war das Geld noch nicht da. Wir mussten zwei Tage in der Stadt warten. Als wir das Geld endlich hatten, sind wir weiter gefahren. Allerdings haben wir unseren Anschlusszug nicht mehr erreicht und dadurch insgesamt fünf Tage verloren«, erzählte Chris und schob sich eine Gabel mit Nudeln in den Mund.

      »Ich hatte die Zusage eines Kunden für die Anzahlung eines Auftrages. Allerdings hat er nicht pünktlich gezahlt. Es hat ein paar Tage gedauert, an das Geld zu kommen«, erklärte Eric bedauernd.

      »Als wir in Halifax angekommen sind, war das Schiff fort, mit dem wir fahren wollten. Das nächste hat uns nicht mitgenommen, weil ich schwanger war.« Rena aß mit Appetit weiter.

      »Dieser Mistkerl von Kapitän hat uns einfach stehen gelassen«, sagte Chris und fuchtelte erbost mit der Gabel in der Luft. »Seinetwegen mussten wir noch eine Woche warten, bis das nächste Schiff ankam, auf dem wir mitfahren konnten. Dieses Mal sind wir kein Risiko eingegangen. Ich bin alleine zum Hafen gegangen, um unsere Passage zu buchen. Dann haben wir abgewartet, bis der Kapitän anderweitig beschäftigt war, um an Bord zu gehen. Zum Glück hat es geklappt. Sonst würden wir wahrscheinlich jetzt noch in Halifax festsitzen«, sagte er grimmig. »Insgesamt haben wir zwei Wochen verloren und wenn das nicht passiert wäre, wäre unser Kind in einem anständigen Krankenhaus in Deutschland geboren worden.«

      Eric wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Schließlich hatte er einen Teil zu der Verzögerung beigetragen. Rena bemerkte seine Verlegenheit.

      »Wir danken dir, dass du uns geholfen hast. Das war sehr großzügig von dir und es war bestimmt nicht einfach«, sagte sie an Eric gewandt.

      »Ich bin froh, dass ich euch helfen konnte. Aber warum musstet ihr Kanada so überstürzt verlassen?«

      »Als wir erfahren haben, dass Rena schwanger ist, haben wir beschlossen aus Fort Chipewyan wegzuziehen. Es gibt in der Gegend sehr viele Krebsfälle und wir wollten, dass unser Kind gesund aufwachsen kann«, sagte Chris, der sich wieder beruhigt hatte.

      »Meine Mutter ist vor einigen Monaten gestorben. Sie hatte Krebs«, erklärte Rena. »Mein Vater ist auch an Krebs erkrankt «, fügte sie leiser hinzu.

      »Das tut mir leid«, sagte Eric betroffen.

      »Wir wollten nicht, dass Melissa krank wird und das wäre bestimmt passiert, wenn wir geblieben wären.«

      »Das liegt an dieser verdammten Ölfirma. Die sind nur darauf fixiert, wie sie ihren Gewinn steigern können. Was sie dabei anrichten, ist ihnen egal.« Wut klang in Chris' Stimme mit. »Beim Ölsandabbau wird das Wasser vergiftet. Die giftigen Abwässer, die die Ölfirma verursacht, gelangen in das Grundwasser und in den Athabasca River. Kein Wunder, dass die Menschen Krebs bekommen. Es ist inzwischen fast unmöglich an sauberes Trinkwasser zu gelangen und die Fische aus dem Athabasca River sind ungenießbar.«

      Chris war Ranger im Wood Buffalo National Park gewesen. Er hatte viele Jahre Arbeit in den Erhalt und Schutz dieses Nationalparks investiert. Nun musste er mit ansehen, wie der Nationalpark immer weiter zerstört wurde. Er und seine Frau hatten versucht, sich gegen die Ölfirma zu wehren, doch sie war zu mächtig.

      »Wir wollten aus Fort Chipewyan wegziehen. Ich habe mich um einen Job in einem anderen Nationalpark bemüht. Im Jasper Nationalpark sah es sehr gut aus, aber dann wurde Rena verhaftet.«

      »Verhaftet?« Eric sah die Frau erstaunt an.

      »Eigentlich war es eine Verwechslung, doch ich hatte brisantes Material bei mir, das die Polizei nicht finden durfte.«

      »Rena hat Probleme mit dem Baby vorgetäuscht, um einem Verhör zu entgehen. Sie wurde nach Hause gebracht, allerdings stand sie unter Beobachtung. Die Hebamme hat jegliche Befragung durch die Polizei untersagt. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie Rena wieder in Gewahrsam genommen hätten. Sie hatte kein Alibi. Deshalb mussten wir Kanada auf dem schnellsten Wege verlassen«, erklärte Chris die Situation.

      »Mein Vater hat uns dazu gedrängt, nach Deutschland zu gehen«, ergänzte Rena. »Er hat darauf bestanden. Er ist krank und braucht unsere Hilfe. Aber er sagte, dass Melissa wichtiger ist …« Renas Stimme versagte und Tränen traten ihr in die Augen. Sie wusste, dass sie ihren Vater nie wieder sehen würde. Chris nahm sie tröstend in den Arm.

      Eric hatte ihrem Bericht betroffen gelauscht. Nun verstand er den Grund für Chris' Eile. Er wollte seine Familie in Sicherheit bringen.

      Chris und Eric kannten sich bereits seit ihrer Schulzeit. Chris hatte immer davon geträumt in Kanada zu leben. Nach seinem Schulabschluss hatte er die Gelegenheit ergriffen, dort Ranger zu werden.

      Nachdenklich betrachtete Eric das unruhige Baby in Renas Armen.

      »Ich werde mich mal um Melissa kümmern«, sagte Rena und erhob sich. Chris sah den beiden nach, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf Eric.

      »Eric…«, begann er unbehaglich, »…ich habe da eine Bitte.«

      »Worum geht's denn?«

      »Wir haben kaum Sachen für die Kleine. Ich weiß, das ist viel verlangt. Schließlich hast du uns schon die Reise bezahlt, aber wir haben kaum noch Geld. Sobald ich einen Job habe, werde ich dir alles zurückzahlen«, Chris zögerte, bevor er weiter sprach. »Allerdings glaube ich kaum, dass in Berlin jemand einen Ranger braucht.«

      »Das kriegen wir schon irgendwie hin. Ich werde mich mal umhören, wo wir günstige Babysachen bekommen können. Beruflich könnte ich wahrscheinlich bald Unterstützung gebrauchen. Ich bin gerade dabei, einen Auftrag von Retramo, einer Textilfirma, an Land zu ziehen. Wenn das gelingt, gibt es hier eine Menge zu tun.«

      »Ich dachte, in Deutschland gibt es gar keine Textilindustrie mehr«, erkundigte sich Chris verwundert.

      »Vor der dritten Ölkrise war das der Fall. Zu dieser Zeit wurden nur noch fünf Prozent aller in Deutschland verkauften Textilien auch in Deutschland hergestellt. Aber in den letzten dreizehn Jahren hat sich vieles verändert. Seit der dritten Ölkrise haben die verbliebenen Unternehmen ihre Produktion stark ausgebaut. Kleidung aus Asien ist wegen der hohen Transportkosten auf dem deutschen Markt nicht mehr konkurrenzfähig. Die Firma Retramo hat sich lange mit der Herstellung von Trachtenmode über Wasser gehalten. Nach der Ölkrise haben sie vermehrt einfache und funktionale Kleidung hergestellt und sich damit dem Bedarf der Menschen angepasst.«

      »Ich hoffe, ich kann dir dabei helfen. In der Textilindustrie kenne ich mich überhaupt nicht aus«, bemerkte Chris skeptisch.

      »Dafür habe ich umso mehr Ahnung von dem Metier«, beruhigte ihn Eric.

      »Okay, wenn du meinst, dass ich dir behilflich sein kann, freue ich mich auf unsere Zusammenarbeit«, entgegnete Chris zuversichtlicher.

      Eric sah auf die Uhr, die an der Küchenwand hing.

      »In einer Stunde habe ich einen Termin bei Retramo. Sie wollen heute darüber entscheiden, ob ich den Zuschlag bekomme. Drück mir die Daumen und wünsch mir Glück.«

      Chris grinste. In der Schule war das vor jeder Prüfung sein Spruch gewesen. Eric hatte kein Glück nötig gehabt.

      Eric eilte in sein Büro, packte seine Unterlagen zusammen und zog sich seinen dunkelgrauen Anzug an. Er verabschiedete sich von Chris, eilte die Treppen hinunter und schwang sich auf sein Fahrrad.

      Verschwitzt und müde verließ Eric die Firmenzentrale von