Liv-Malin Winter

Pechschwarzer Sand


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Die Schäden standen in keinem Verhältnis zum Nutzen, den das gewonnene Öl bot. Doch nicht nur Verbrechen an der Umwelt wurden angeprangert, sondern auch soziale Probleme. Der Ölsandabbau raubte vielen Menschen ihre Lebensgrundlage. Sie wurden durch die freigesetzten Gifte krank und starben.

      Eric stieß auf zwei interessante Internetseiten. Die eine gehörte einer kleinen unbekannten Organisation. Auf dieser Seite wurden die Verfahren des Ölsandabbaus akribisch und detailliert beschrieben. Es wurde erklärt, wie es zu den Umweltschäden kam. Eric beschloss, in den nächsten Tagen mit den Verfassern dieser Seite Kontakt aufzunehmen. Diese Leute schienen über ein tiefgehendes technisches Wissen zu verfügen.

      Bei der anderen Seite handelte es sich um die Website eines Biokunststoffherstellers namens Leander Klaas, der außerdem Kunststoffe recycelte. Er unterstützte ein Projekt zur Reinigung der Ozeane, das vor einigen Jahren von einem neunzehnjährigen Studenten vorgestellt worden war. Dieser hatte eine effiziente Methode gefunden, wie Plastikmüll mithilfe von schwimmenden Barrieren aus den großen Ozeanstrudeln gesammelt werden konnte. Dabei hatte sich der Erfinder die natürlichen Meeresströmungen zu Nutze gemacht. So konnten die Plastikstrudel vom Abfall befreit und der Zerfall in Mikroplastik verhindert werden. Die Frage, wie Mikroplastik aus den Ozeanen gefiltert werden konnte, war hingegen noch nicht gelöst.

      Zudem engagierte sich Leander Klaas gegen die Ölindustrie und pries sein umweltfreundliches Verfahren als Alternative an. Der Verbrauch an Kunststoffen war in den letzten Jahren bereits stark zurückgegangen. Die Leute bekamen nicht mehr bei jedem Einkauf eine Plastiktüte, sondern brachten ihre eigenen Beutel, Taschen oder Körbe mit. Auch die Produkte wurden nicht mehr unnötigerweise in Plastik verpackt. Doch immer noch schien Öl als Rohstoff unabdingbar zu sein.

      Eric schrieb seinem Freund Marc eine Mail. Er informierte ihn darüber, dass Chris und Rena bei ihm angekommen waren und erkundigte sich, wann Marc Zeit hatte, nach Berlin zu kommen.

      »Prost!« Marc stieß mit Rena, Chris und Eric an. Sie saßen im Außenbereich eines kleinen Restaurants in der Nähe von Erics Wohnung. Die Abenddämmerung war angebrochen und ein lauer Wind bot endlich etwas Abkühlung von der Hitze des Tages. »Schön, dass ihr da seid. Ich habe ja schon ein bisschen von eurer abenteuerlichen Reise gehört. Aber warum hattet ihr es denn so eilig, aus Kanada wegzukommen?«

      Rena und Chris berichteten ihm vom Abbau der Ölsande und den verheerenden Folgen für die Umwelt und die Menschen, die dort lebten.

      »Das ist auch der Grund, warum ich mich mit dir unterhalten wollte«, schaltete sich Eric in das Gespräch ein. »Das wäre doch ein Projekt für dich.«

      »Klingt nach einer ziemlich aussichtslosen Sache«, bemerkte Marc trocken. »Nun ja, was soll’s. Die aussichtslosen Projekte sind immer die spannendsten.«

      »Aber wo hat eine mächtige Ölfirma ihren Schwachpunkt?«, stellte Chris die entscheidende Frage.

      Die drei Männer diskutierten viele Möglichkeiten. Die Ideen reichten von Boykott des Öls aus Kanada über einen Generalstreik der Belegschaft bis zur Sabotage der Anlagen. Doch keine dieser Ideen erschien auch nur ansatzweise umsetzbar.

      »Was haltet ihr von der Idee, ihre Zulieferkette zu stören?«, warf Rena ein.

      Sie rückte das Baby auf ihrem Schoß zurecht, bevor sie weitersprach. »Oft sind es nicht die großen Aktionen, die zum Erfolg führen. Viele Projekte scheitern an Kleinigkeiten. Ihr müsst nur ein kleines Bauteil finden, für das es schwer Ersatz gibt. Wenn die Ölfirma nicht mehr an dieses Bauteil kommt, kann sie auch nicht mehr produzieren.«

      Die drei Männer sahen sie verdutzt an.

      »Das ist genial!«, rief Marc.

      Chris lächelte seine Frau begeistert an.

      »Ich werde mich mal umhören, ob mir jemand bei der Suche nach diesem Bauteil helfen kann. Ich…« Eric verstummte mitten im Satz.

      Sein Blick war starr ins Innere des Restaurants gerichtet. Chris sah sich um. Er wollte ergründen, was da drinnen so interessant war. Eric stand wortlos auf und ging hinein.

      »Nicht schon wieder«, murmelte Marc.

      Eric ging auf eine blonde Frau zu, die an der Bar stand. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Je näher Eric ihr kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Man konnte das Zögern förmlich spüren. Schließlich trat er neben sie. Marc, Rena und Chris beobachteten, wie Eric die Frau ansprach. Sie drehte sich um und Eric schien förmlich in sich zusammen zu sinken. Er sprach noch kurz mit ihr, dann wandte er sich ab.

      »Was ist denn los?«, erkundigte sich Chris.

      »Eric hat geglaubt, dass er Isabella gesehen hat.«

      »Wer ist Isabella?«, fragte Rena.

      »Eric und Isabella haben gemeinsam den Abbau von Methanhydrat verhindert. Isabella hat in einem Forschungsinstitut gearbeitet. Dort ist sie auf brisante Informationen gestoßen. Eric hat ihr geholfen, diese Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen. Sie waren gemeinsam in Brüssel bei einer Anhörung und daraufhin wurde der Abbau von Methanhydrat verboten. Nach der Anhörung ist Isabella spurlos verschwunden. Eric befürchtet, dass ihr etwas Schlimmes passiert ist, denn sie hat die Karrieren einiger mächtiger Männer ruiniert«, erklärte Marc.

      »Der Abbau von Methanhydrat war eine große Sache. Die Nachrichten davon sind sogar bis nach Alberta gedrungen«, stellte Chris fest.

      »Glaubt Eric, dass er schuld ist, weil diese Isabella verschwunden ist?«, fragte Rena.

      »Das sicherlich auch, aber das Hauptproblem ist, dass er sich in sie verliebt hat. Ein Jahr lang hat er überall nach Isabella gesucht. Er hat seinen Job verloren und seine Ersparnisse für diese Suche aufgebraucht. Schließlich war er gezwungen wieder zu arbeiten und seine Suche aufzugeben. Er hat schon ein paarmal geglaubt, Isabella irgendwo entdeckt zu haben. Aber bisher hat er sich jedes Mal geirrt.«

      »Der Arme. Was für eine tragische Geschichte«, flüsterte Rena betroffen.

      Den restlichen Abend vergrub sich Eric in Arbeit. Wieder einmal hatte er für einen Moment Hoffnung geschöpft, doch sie war sofort zerstört worden. Ihm war klar, dass er Isabella wahrscheinlich nicht einfach in einem Restaurant um die Ecke treffen würde. Dennoch hatte er sich nicht bremsen können. Er hatte diese blonde Frau gesehen und sofort war die Illusion in ihm aufgestiegen, dass es sich um Isabella handelte. Er war geradezu gezwungen gewesen, zu ihr zu gehen und sich zu vergewissern. Der Augenblick, in dem er erkannte, dass er nicht Isabellas vertrautes Gesicht vor sich sah, hatte ihn in tiefe Enttäuschung gestürzt. Als er aus dem Restaurant geeilt war, waren ihm die mitleidigen Blicke seiner Freunde gefolgt. Derartige Blicke verfolgten ihn nun schon seit drei Jahren und er konnte sie nicht mehr ertragen.

      Nachdem Eric die Arbeit am Projekt von Retramo für diesen Tag beendet hatte, wandte er sich der Internetseite zu, die sich mit dem Abbau von Ölsanden beschäftigte. Sie war auf Englisch verfasst und Eric vermutete, dass sie von Leuten in Kanada betrieben wurde. Er entschloss sich Kontakt aufzunehmen.

      »Eine sehr interessante Seite habt ihr. Sie ist sehr detailliert und trotzdem verständlich«, schrieb Eric auf Englisch in das Kontaktfeld.

      »Vielen Dank, es war uns wichtig, die Fakten über den Ölsandabbau so darzustellen, dass sie nicht nur Experten verstehen. Ich freue mich, dass das gelungen ist«, kam die Antwort kurz darauf.

      Eric überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Er hielt es nicht für ratsam, sofort mit der Tür ins Haus zu fallen.

      »Ich arbeite in einer Umweltschutzorganisation in Europa und das Thema Ölsande steht bei uns zur Zeit im Fokus.« Die Frage ›Wer seid ihr?‹ ließ er bewusst unausgesprochen.

      Doch sie wurde auch so verstanden. »Wir sind nur ein kleiner, loser Zusammenschluss von Umweltschützern, die sich ebenfalls gegen den Abbau von Ölsanden engagieren. Können wir euch bei eurer Arbeit irgendwie unterstützen? Unser Schwerpunkt liegt vor allem im technischen Bereich, wie du ja bereits bemerkt hast.«

      Eric überlegte. Das war die perfekte Vorlage. Er beschloss es zu riskieren.