Liv-Malin Winter

Pechschwarzer Sand


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währenddessen einen Kaffee und aß etwas, denn seit seinem hastigen Frühstück kurz vor fünf Uhr am Morgen hatte er nichts mehr zu sich genommen.

      »Ich habe mir über das Problem Gedanken gemacht, wie wir Geld auftreiben können. Hier ist die Internetadresse eines Biokunststoffherstellers. Vielleicht kann er uns helfen.«

      »Alles klar. Ich werde mich darum kümmern. Du musst jetzt los!«, sagte Marc.

      Eric trank hastig den Rest seines Kaffees aus. Dann eilte er zum Bahnhof. Ihm blieben dreieinhalb Stunden, um mit dem Zug nach Rotterdam zu fahren und in Europas größtem Hafen den Anlegeplatz seines Schiffes zu finden.

      4. Geschichten aus einer anderen Welt

      Die Überfahrt mit dem Frachtschiff verlief unspektakulär. Das Wetter war gut und Eric arbeitete die meiste Zeit. Im Fitnessstudio des Schiffes glich er den Bewegungsmangel aus. Seine Mahlzeiten nahm er gemeinsam mit den Offizieren des Schiffs ein. Nach zwölf Tagen erreichte er Halifax in Kanada. Dort hatte er einen Tag Pause. Diese Zeit nutzte er, um sich bei Chris und Rena über den Stand des Retramo-Projekts zu erkundigen und ihnen die Arbeit der letzten zwölf Tage zu schicken, denn auf dem Schiff hatte es keine Internetverbindung gegeben. Am nächsten Tag setzte er seine Reise in der kanadischen Eisenbahn fort. Vier Tage brauchte der Zug von Halifax nach Edmonton. Morgens um halb sieben hatte er die Stadt erreicht. Eric machte sich müde auf die Suche nach dem Bus, der ihn nach Fort McMurray bringen sollte. Im Bus holte er etwas Schlaf nach.

      Als sie Fort McMurray erreichten, war er wach. Ihn beflügelte der Gedanke, dass er endlich am Ziel war. Er schaute aus dem Fenster und sah sich die Stadt an. Ein anderer Bus fuhr langsam an seinem vorbei und versperrte ihm die Sicht auf die Gebäude. Der Verkehr stockte und die beiden Busse blieben nebeneinander stehen.

      Da sah er sie.

      Keinen Meter von ihm entfernt saß Isabella. Schon häufiger hatte Eric geglaubt, sie zu erkennen, doch es war immer ein Irrtum gewesen. Diesmal war es anders. Sie sah ihn an und er konnte ihre Gefühle förmlich von ihrem Gesicht ablesen. Erst war es Erstaunen, dann wandelte sich ihr Ausdruck in Erschrecken.

      Eric streckte die Hand aus, als könnte er sie durch die Scheibe berühren, als wollte er sich vergewissern, dass er sie wirklich vor sich hatte. In diesem Moment fuhren die beiden Busse an und sie verschwand aus seinem Blickfeld.

      Isabella betrat das Burger-Restaurant durch die Hintertür. Sie war immer noch geschockt. Zunächst hatte sie geglaubt, ihre Fantasie würde ihr einen Streich spielen. Doch dann hatte sie erkannt, dass es sich bei dem Mann, den sie gesehen hatte, nicht um ein Trugbild handelte. Eric hatte sie in diesem entlegenen Zipfel von Kanada gefunden. Pures Glücksgefühl hatte sie bei seinem unerwarteten Anblick durchströmt. Doch dann wurden ihr die Konsequenzen dieser Begegnung klar. Wenn Eric es geschafft hatte, sie aufzuspüren, dann würde das auch anderen gelingen. Waren ihre Verfolger aus Brüssel ihr wieder auf den Fersen? Isabella konnte es nicht fassen. Sie war sich sicher gewesen, dass sie diesmal keine Spuren hinterlassen hatte.

      Langsam ging sie den schmalen Gang entlang, der an den Toiletten vorbeiführte und spähte um die Ecke. Sie wollte sehen, ob Tom schon im Restaurant war. Sie arbeitete schon seit einiger Zeit mit Tom zusammen. In regelmäßigen Abständen trafen sie andere engagierte Umweltschützer oder Reporter, die sich für ihre Sicht über den Ölsandabbau interessierten. Dabei waren sie immer sehr vorsichtig. Niemand sollte wissen, wo sie wohnten. Sie trafen den Umweltschützer, der aus Europa gekommen war, in Fort McMurray und wollten ihm gründlich auf den Zahn fühlen.

      Isabella entdeckte Tom an einem Tisch in der Ecke. Bei ihm saß ein Mann. Es war Eric. Isabella lehnte sich an die Wand und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Natürlich war es Eric. Er war der Umweltschützer, mit dem sie verabredet waren!

      »Geht es Ihnen gut?«

      Isabella riss die Augen auf. Vor ihr stand ein Mann, der sie musterte.

      »Ja, es ist alles in Ordnung«, antwortete Isabella hastig.

      Der Mann nickte und ging weiter.

      Isabella atmete tief durch. Sie straffte die Schultern und ging entschlossen auf den Tisch zu. Ihr stand ein heikles Gespräch bevor. Tom wusste nichts von ihrer Vergangenheit. Er wusste nicht einmal, dass sie vor einigen Jahren aus Deutschland nach Kanada gekommen war und wenn es nach ihr ging, sollte das auch so bleiben.

      »Hallo.« Sie zwang sich zu lächeln.

      Sie warf einen Blick auf Eric. Es war deutlich zu erkennen, wie fassungslos er über diese Begegnung war.

      »Eric, das ist meine Partnerin Amy Brown. Amy, das ist Eric Bergmann. Er kommt aus Deutschland«, ergriff Tom das Wort, da keiner der beiden etwas sagte.

      »Es freut mich, dich kennen zu lernen«, sagte Isabella auf Englisch und reichte ihm die Hand. Sie zitterte leicht. Eric ergriff sie. Ein warmes Gefühl durchströmte Isabella.

      »Ja, mich auch«, antwortete Eric mechanisch in derselben Sprache. Sein intensiver Blick ruhte auf ihr. Isabella verlor sich in den Tiefen seiner braunen Augen. Sie musterte sein vertrautes Gesicht und wurde von Erinnerungen geradezu überflutet. Erinnerungen an sein zärtliches Lächeln, sein freches Grinsen, wenn er sie neckte, wie sich seine Wange an ihrer anfühlte, seine Lippen, die über ihren Hals strichen, an ihrem Ohr knabberten und sie mal zärtlich, mal leidenschaftlich küssten.

      Ein lautes Klirren riss sie aus ihrer Versunkenheit. Irgendwo war ein Glas zu Bruch gegangen. Sie registrierte, dass sie immer noch seine Hand in ihrer hielt und ließ sie los.

      Sie erinnerte sich, dass Tom anwesend war. Sie wandte ihren Blick von Eric ab, damit sie sich konzentrieren konnte.

      Tom schien nichts von dem mitbekommen zu haben, was sich gerade zwischen Isabella und Eric abspielte. Er begann Eric über seine Motive und Absichten zu befragen. Sie führten das Gespräch auf Englisch. Eric hatte in der Vergangenheit häufig internationale Kunden betreut und die Sprache bereitete ihm keine Mühe. Nach ein paar Minuten hatte sich Isabella so weit gefangen, dass sie ihren Teil beisteuern konnte. Isabella spürte Erics Blick auf sich ruhen. Doch sie vermied es ihn zu erwidern, um nicht aus dem Konzept zu geraten. Ihr war klar, dass Eric die Situation nicht verstand, doch er spielte mit. Schließlich nickte sie zufrieden. Sie hoffte, dass es für Tom so aussah, als ob auch sie Eric gründlich ausgehorcht hatte.

      »Ich denke, es ist am besten, wenn Eric mit zu uns kommt«, wandte sie sich an Tom.

      Dieser sah sie erstaunt an. Sie hatten noch nie einem Außenstehenden ihr Haus gezeigt. Bisher war es immer Isabella gewesen, die vehement dagegen war, Fremde in ihren Schlupfwinkel zu lassen.

      »Warum?«, fragte Tom.

      Isabella wusste genau, was er dachte.

      »Wir werden viel mit Eric besprechen müssen. Wenn wir das jedes Mal in der Öffentlichkeit tun, könnten die falschen Leute auf uns aufmerksam werden«, antwortete sie.

      »Bist du dir sicher?« Tom sah sie eindringlich an. Isabella erwiderte seinen Blick.

      »Ja.«

      »Also gut.« Tom stand auf.

      Sie verließen das Restaurant und nahmen einen Bus, der Fort McMurray durchquerte. In einem der westlichen Außenbezirke stiegen sie aus.

      »Ich gehe Sunny abholen«, sagte Isabella und ging zu einem Haus in der Nähe. Es war ein Waisenhaus.

      Sie unterhielt sich kurz mit einer Frau und kam dann mit einem Mädchen an der Hand zu Tom und Eric zurück. Eric schätzte, dass das Mädchen fünf oder sechs Jahre alt war. Es hatte braune lockige Haare.

      »Das ist Sunny«, stellte Isabella ihm das Mädchen vor. »Sunny, das ist Eric. Er wird ein paar Tage bei uns wohnen.«

      Eric lächelte das Mädchen an, während Sunny ihn skeptisch musterte.

      »Lasst uns gehen. Wir haben noch eine halbe Stunde Fußmarsch vor uns und ich habe Hunger«, forderte Tom die anderen auf.

      Sie erreichten ein Holzhaus, das einsam im Wald stand.

      »Hier