Liv-Malin Winter

Pechschwarzer Sand


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sollte ich denn machen? Ihn verprügeln? Ich habe gesehen, wie du mit geballten Fäusten dagesessen hast.«

      »Dieser respektlose Kerl hätte eine Abreibung wirklich verdient.«

      »Die wird er ja bald bekommen. Wenn er versucht die Zufahrtswege zum Firmengelände von ENTAL zu blockieren, wird sich der Sicherheitsdienst um ihn kümmern.«

      »Ich habe gestaunt, wie ruhig du geblieben bist. Früher warst du impulsiver. Wenn ich daran denke, was du mir so an den Kopf geworfen hast...«, erinnerte sich Eric mit einem melancholischen Lächeln.

      »Ich habe gelernt, mich zu beherrschen. Schließlich hängt mein Leben davon ab, ruhig und unauffällig zu sein.« Isabella wich Erics Blick aus und sah zum Haus. »Da kommen Tom und Sunny«, sagte sie leise.

      Eric verstand und ließ das Thema fallen. Sie ging den beiden entgegen. Sunny kam sofort zu Isabella und Isabella umarmte sie liebevoll. Sie nahm Sunny nicht gerne mit zu solchen Veranstaltungen, doch sie allein in der Hütte zu lassen kam auch nicht infrage und die Strecke zum Waisenhaus wäre ein zu großer Umweg gewesen.

      »Bei euch geht es ja ganz schön heiß her«, sagte Eric zu Tom.

      »Ja, Tyrell schießt manchmal über das Ziel hinaus, aber er hat das Herz am richtigen Fleck.«

      Sie machten sich auf den Rückweg und Tom berichtete Eric einiges über die Leute auf der Versammlung. Isabella blieb mit Sunny etwas hinter den beiden zurück und erzählte ihr eine neue Geschichte von Lilly und Ole, dem Troll, um das Mädchen von der unerfreulichen Versammlung abzulenken.

      »Wie können wir Tyrell von seinem verrückten Plan abbringen?«, fragte Tom.

      Sie saßen in der Küche und hatten gerade ihr Mittagessen beendet. Isabella ließ das Gesicht in die Hände sinken.

      »Ich weiß es nicht«, murmelte sie resigniert. Die ganze Situation brachte sie an ihre Grenzen. Sie hatte es mit Mühe geschafft, ihr Leben halbwegs auf die Reihe zu bringen und nun war Eric aufgetaucht. Alle Sehnsüchte und Hoffnungen regten sich wieder in ihr. Sie hatte drei Jahre versucht sie zu unterdrücken.

      »Warum könnt ihr diesen Typen nicht einfach machen lassen?«, fragte Eric.

      »Weil es dann gefährlicher für uns alle wird. ENTAL wird nach so einem Vorfall wesentlich wachsamer sein«, erklärte Tom.

      »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Eric Isabella und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Toms Augen verengten sich, als er die Berührung sah. Isabella sah Eric an.

      »Ja, sicher«, antwortete sie wenig überzeugend. Sie stand auf und Erics Hand glitt von ihrer Schulter. Sie räumte die Teller vom Tisch und begann zu spülen. »Sunny, trocknest du ab?«

      »Ja, mache ich.« Das Mädchen stand auf und gesellte sich zu Isabella.

      »Ihr könnt schon mal ins Büro gehen. Ich komme nach, wenn ich hier fertig bin.« Isabella wollte die Männer für ein paar Minuten loswerden. Sie brauchte ein bisschen Zeit für sich.

      Sie begann mit Sunny zu plaudern. Isabella bedauerte, dass sie nicht mehr Zeit für sie hatte. Doch Sunny nahm das klaglos hin. Sie hatte schon Schlimmeres erlebt.

      »Ich habe dir ein neues Malbuch mitgebracht«, bemerkte Isabella, während sie sich die Hände abtrocknete. Sie ging zu ihrer Tasche und nahm das Malbuch heraus. Sie überreichte es Sunny, die sich sichtlich darüber freute. »Ich hoffe, morgen habe ich wieder Zeit zum Lesen üben.«

      Sunny war sehr wissbegierig und wollte in der Lage sein, ihre Lieblingsbücher selbst zu lesen. Deshalb hatte Isabella beschlossen, ihr das Lesen beizubringen. Sunny war sechs Jahre alt und müsste eigentlich in ein paar Wochen eingeschult werden. Doch das war problematisch. Isabella konnte sie nicht jeden Tag nach Fort McMurray zur Schule bringen. Das würde zu viele Fragen aufwerfen. Außerdem hatte Sunny alleine unter Fremden Angst. Als Isabella das Thema einmal aufgebracht hatte, hatte das Mädchen sich vehement geweigert darüber zu sprechen. Isabella versuchte Sunny zu Hause zu unterrichten, doch es war schwierig diese Aufgabe mit ihrem Engagement gegen ENTAL zu vereinen.

      »Okay, wie können wir dir helfen, Eric?«, erkundigte sich Isabella entschlossen, als sie sich zu den Männern gesellte.

      »Wir haben eventuell eine Möglichkeit gefunden, wie wir die Lieferung dieses Bauteils nach Kanada unterbrechen können«, informierte Eric die beiden.

      Tom sah verwirrt aus, doch Isabella lächelte, als sie das hörte. Eric hatte sich gewundert, wie jemand so genau über die technische Seite der Ölsandförderung Bescheid wissen konnte. Als er Isabella getroffen hatte, war diese Frage beantwortet worden. Sie war eine Spezialistin im Bereich Wechselwirkungen von Klima und Technologie. Mit solchen Sachen kannte sie sich aus.

      »Könnte mich jemand darüber aufklären, worüber ihr redet?«, erkundigte sich Tom.

      »Eric hat sich vor einigen Wochen bei mir nach der Achillesferse von ENTAL erkundigt. Zumindest denke ich, dass du es warst?« Fragend sah sie ihn an.

      Eric nickte zustimmend.

      »Ich habe ihm von den Hydrozyklonen berichtet, die ENTAL aus Deutschland bezieht. Wenn die nicht mehr geliefert werden, wird es für die Ölfirma sehr schwer einen adäquaten Ersatz zu finden«, erklärte sie.

      »Die Idee ist gut, aber ich denke, das allein wird nicht ausreichen«, sagte Eric. »Wir brauchen noch mehr Munition.«

      »Du willst den Abbau der Ölsande komplett stoppen?«, fragte Isabella und sah Eric erstaunt an.

      »Ja, ich will das Unmögliche möglich machen.« Eric lächelte Isabella an. Ihre Blicke verfingen sich und für einen Moment gab es nur sie beide.

      »Hast du Erfahrung damit?«, unterbrach Tom ihr stummes Zwiegespräch.

      »Ein bisschen«, erwiderte Eric mit einem kurzen Seitenblick zu Isabella, der Tom nicht entging.

      »Bisher wurden immer wieder Missstände an die Öffentlichkeit gebracht. Es wurde über die Zerstörung der Natur, den immensen Verbrauch von Wasser und Erdgas berichtet. Es ist bekannt, dass durch den Ölsandabbau Schadstoffe ins Wasser gelangen, die Krebs auslösen. Es gab in den letzten 30 Jahren viele Leute, die versucht haben, die Probleme ans Licht zu bringen. Aber den Abbau von Ölsanden konnte das nicht stoppen«, entgegnete Isabella.

      Sie diskutierten den ganzen Nachmittag über mögliche Vorgehensweisen. Tom bemerkte zwischen Eric und Isabella eine Vertrautheit, die für zwei Leute, die sich gerade erst kennen gelernt hatten, nicht normal war. Das gefiel ihm nicht.

      Nach dem Abendessen brachte Isabella Sunny ins Bett. Sie war froh, der spannungsgeladenen Atmosphäre eine Weile zu entkommen. Sie erzählte Sunny eine besonders lange Gutenachtgeschichte. Sie hatte es nicht eilig sich wieder zu den Männern zu gesellen. Sie gab Sunny einen Kuss auf die Wange und stand auf. Das Mädchen lag warm zugedeckt im Bett und hielt ihren Kuschelbären im Arm. Unwillkürlich musste Isabella bei diesem Anblick lächeln. Sie liebte Sunny wie eine eigene Tochter und würde alles tun, um das Mädchen zu beschützen.

      Sie verließ das Schlafzimmer und stieß beinahe mit Tom zusammen. Er war ihr so leise gefolgt, dass sie ihn nicht gehört hatte.

      »Du hast mich erschreckt«, sagte sie lächelnd und legte die Hand auf ihr Herz.

      »Kennst du Eric von früher?«.

      Isabellas Lächeln schwand. Tom sah sie forschend an.

      »Wie kommst du darauf?«

      »War nur so ein Gedanke.«

      Isabella sah Tom unbewegt an. Tom wurde unbehaglich unter diesem Blick. »Ihr macht so einen Eindruck«, versuchte er zu erklären.

      Isabella schüttelte den Kopf. »Du kommst auf Ideen«, sagte sie beiläufig.

      Im Inneren war sie jedoch alles andere als ruhig. Wie war es möglich, dass Tom die Vertrautheit zwischen Eric und ihr so schnell bemerkt hatte? Sie hatte sich viel Mühe gegeben, Eric wie einen Fremden zu behandeln. Bis jetzt wusste Tom nicht einmal, dass