Liv-Malin Winter

Pechschwarzer Sand


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der gleich rechts vom Flur abging.

      Eric folgte ihr und sah sich in dem kleinen Raum um. Es passten nur zwei Schreibtische und ein paar Regale hinein.

      Isabellas Blick fiel auf die Tasche, die Eric in seiner Hand trug.

      »Ich zeige dir, wo du deine Sachen abstellen kannst«, sagte sie und verließ das Büro.

      Sie durchquerten den Flur und Isabella öffnete eine Tür.

      »Hier ist dein Zimmer. Ich hoffe, es ist in Ordnung für dich.« Isabella sprach immer noch Englisch.

      »Sicher«, antwortete Eric und ging hinein.

      Das Zimmer war sehr klein. Die Möblierung bestand aus einem Doppelstockbett, an das sich ein schmales Regal anschloss. Ein paar Haken an der Wand vervollständigten die Einrichtung. Eric ließ seine Tasche auf den Boden fallen. Dann sah er Isabella an. Sie war es wirklich. Er konnte es kaum glauben.

      »Wie hast du mich gefunden?«, fragte sie leise. Nun wechselte sie ins Deutsche.

      Die verschiedensten Gefühle waren in ihrem Gesicht zu lesen. Verwirrung, Freude und Angst. Angst? Er verstand nicht, warum sie Angst vor ihm haben sollte.

      »Ich habe dich nicht gefunden«, beantwortete er ihre Frage. »Ich bin zufällig hier. Ich wusste nicht, dass du dich in Alberta aufhältst.«

      Mit einem Schritt war er bei ihr. Er umschlang sie und zog sie an sich. Die andere Hand legte er an ihre Wange. Er lehnte seine Stirn an ihre und sah in die Tiefen ihrer grünen Augen.

      »Oh Isa, ich bin so froh, dass es dir gut geht. Ich habe dich so lange gesucht, aber es gab keine Spur von dir. Es tut mir so leid«, murmelte er. Er senkte seinen Mund zu ihren Lippen. Isabella befreite sich hastig aus seiner Umarmung. Eric hörte Schritte und einen Moment später erschien Tom.

      »Alles in Ordnung hier?«, erkundigte er sich.

      »Ja, alles in Ordnung«, antwortete Isabella.

      »Eric, hast du Hunger?«, fragte Tom.

      »Ja«, antwortete Eric mit einem zwanglosen Lächeln.

      »Dann werde ich mal was vorbereiten. Amy, hilfst du mir?«

      »Ja, natürlich.«

      Eric sah Isabella nach und fragte sich, in welcher Beziehung die drei Menschen, die hier lebten, zueinander standen.

      Eine Stunde später saßen sie gemeinsam am Tisch und ließen sich einen kräftigen Eintopf schmecken.

      »Warum wohnt ihr alleine im Wald?«, erkundigte sich Eric.

      »ENTAL macht uns das Leben sehr schwer. Wir sind vielen Anfeindungen ausgesetzt und müssen uns vor Übergriffen schützen. Deshalb leben wir sehr zurückgezogen«, beantwortete Isabella seine Frage.

      »Ich habe schon gehört, dass es hier gefährlich werden kann«, bemerkte er und widmete sich wieder seiner Suppe.

      Tom sah ihn misstrauisch an. »Von wem hast du das gehört?«

      »Freunde von mir haben bis vor kurzem in Alberta gelebt. Sie mussten das Land verlassen, weil der Druck, den ENTAL auf sie ausgeübt hat, zu groß geworden ist.«

      »Wie heißen deine Freunde?«, kam es sofort von Tom.

      Eric musterte Tom einen Moment und überlegte, ob er die Namen preisgeben sollte. Er warf Isabella einen kurzen Blick zu. Auch sie schien sehr interessiert an seiner Antwort zu sein. »Es sind Chris und Rena Siebach.«

      Toms Gesicht hellte sich bei dieser Antwort auf. »So klein ist die Welt«, stellte er lachend fest.

      »Chris und Rena haben während ihrer Flucht bei uns Station gemacht«, erklärte Isabella. »Wie geht es ihnen?«

      »Gut. Sie wohnen bei mir in Berlin.«

      Bei dieser Antwort überkam Isabella plötzlich heftiges Heimweh. Sie spürte Erics warmen Blick auf sich und ihr war schmerzlich bewusst, wie viel sie durch ihr Engagement gegen den Abbau von Methanhydrat verloren hatte.

      Eric riss seinen Blick von Isabella los. »Ich muss Renas Vater besuchen. Wie ihr sicher wisst, wohnt er in Fort Chipewyan. Ich will ihm mitteilen, dass Chris und Rena wohlbehalten in Berlin angekommen sind. Außerdem habe ich ein Foto von seiner Enkeltochter.«

      »Es wird nicht einfach sein, dort hinzukommen«, bemerkte Tom. »Fort Chipewyan ist 280 km von hier entfernt und im Sommer gibt es keine befestigte Straße. Im Winter, wenn hier alles gefroren ist, kommt man leichter dorthin.«

      »Und was machen die Leute, die im Sommer nach Fort Chipewyan wollen? Es muss doch auch zu dieser Jahreszeit Möglichkeiten geben?«, hakte Eric nach.

      »Klar gibt es die«, antwortete Tom. »Man kann sich ein kleines Flugzeug chartern, aber das kostet natürlich. Außerdem kontrolliert ENTAL, wer über die Abbaugebiete fliegt. Sie wollen nicht, dass Fotos von dieser verpesteten Mondlandschaft gemacht und veröffentlicht werden«, bemerkte er verächtlich. »Ich werde mich nach einer anderen Mitfahrgelegenheit für dich umhören.«

      »Vielen Dank.«

      »Eric, hat Amy dir schon von unserem Treffen morgen erzählt?«

      Eric schüttelte den Kopf.

      »Morgen wollen sich alle Umweltschützer aus der Gegend treffen. Wir wollen versuchen unser Vorgehen besser zu koordinieren. Du bist also genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.«

      Tom berichtete Eric von den Aktionen, die in der Gegend liefen. Isabella beteiligte sich kaum an dem Gespräch und Sunny begnügte sich damit, Eric hin und wieder misstrauische Blicke zuzuwerfen.

      »Zeit fürs Bett«, erinnerte Isabella Sunny schließlich.

      Diese stand ohne Widerrede auf und verließ die Küche. Isabella folgte ihr. Aus dem Bad hörten sie Wasserrauschen. Isabella ging ins Schlafzimmer und schlug die Bettdecke zurück. Dann erschien Sunny, zog sich ihren Schlafanzug an und schlüpfte ins Bett.

      »Erzählst du mir eine Geschichte?« Erwartungsvoll sah sie Isabella an. »Oder hast du keine Zeit?«, fragte sie unsicher.

      »Auf jeden Fall habe ich Zeit für eine Gutenachtgeschichte«, erwiderte Isabella. »Welche möchtest du hören?«

      »Eine von Lilly und Ole.«

      Natürlich, dachte Isabella lächelnd. Sie kuschelte sich mit Sunny ins Bett und begann zu erzählen.

      Sie erzählte von einem weit entfernten Land, ein Land, in dem es riesige Wälder gab, hohe Berge, unzählige Seen und sprudelnde Gebirgsbäche. Diese Geschichte handelte von einem Mädchen namens Lilly und ihrem besten Freund Ole. Ole war ein Trolljunge. Sie erzählte Sunny, wie die beiden durch den Wald streiften, Blaubeeren aßen und spannende Abenteuer erlebten. In jedem ihrer Worte lag eine tiefe Sehnsucht nach diesem Land, das unerreichbar schien.

      »So, und nun schlaf schön, mein Schatz.« Isabella umarmte Sunny liebevoll. Dann erhob sie sich vom Bett und ging hinaus. Die kleine Nachttischlampe ließ sie brennen, wie sie es immer tat.

      Richard Sullivan nippte an seinem Champagner. Seine Frau Leanne sah im weichen Kerzenlicht beinahe aus wie vor 26 Jahren, als er sie kennen gelernt hatte. Das dunkelblaue Abendkleid umschmeichelte ihre schlanke Figur. Ihre platinblonden Haare waren zu einer eleganten Hochsteckfrisur arrangiert und das Saphircollier, das er ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hatte, stand ihr ausgezeichnet.

      Leanne musterte seine Erscheinung. Er hatte eine sportliche Figur, die in dem Smoking gut zu Geltung kam. Seine von silbernen Strähnen durchzogenen braunen Haare waren akkurat frisiert und verbargen die allmählich entstehenden Geheimratsecken. Zufrieden mit dieser Bestandsaufnahme sah sich Leanne im Saal um. Die Organisation dieser Benefizveranstaltung hatte sie in den letzten Wochen sehr in Anspruch genommen. Der Erlös der Veranstaltung sollte dem Kampf gegen Krebs zugutekommen.

      Leanne machte ihren Mann auf die gemeinsame Tochter aufmerksam. Richard beobachtete, wie ihre Tochter charmant mit einer älteren Dame plauderte.

      »Lindsay