Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es kostet nix


Скачать книгу

Hildegard hatte den Vogel abgeschossen. Als sie ihr Los geöffnet hatte, atmete sie vor Aufregung flach durch die trockene Nase, und die Hände zitterten, als sie sprachlos vor Glück ihr Los der Tanzlehrerin überreichte.

      Sie hatte ein verlängertes Wochenende mit einem Leih-Cabriolet eines Kasseler Autohauses gewonnen.

      „Das ist mein erster Gewinn seit dem Freiflug mit dem Zeppelin vor über sechzig Jahren“, strahlte Hildegard wie bei einem Kindergeburtstag.

      Allerdings hatte Hildegard gar keinen Führerschein.

      „Aber dann fahre ich halt“, schlug Alma spontan vor, die froh war, außer ihrem alten Jetta mal so ein flottes Luxus-Cabrio fahren zu dürfen.

      Alle waren sich schnell einig. Außer dem Golfkurs könnten sie ja die Preise doch als Grundlage für zukünftige, gemein­same Unternehmungen nutzen.

      Und so verabredeten sich die vier für die nächsten Wochen, um weiterhin zusammen bei Frau Riebezahl-Schondorf zu tanzen und die Gewinne gemeinsam zu verbrauchen.

      Es wurde halb zwölf, als sich die beiden Herren von den Damen mit einem galanten, angedeuteten Handkuss verab­schiedeten.

      „Wunderbare alte Schule“, schwärmte Fräulein Saurbier selig, als ihre Freundin Alma sie nach dem wunderschönen Ball nach Hause fuhr.

      Etwas Feng-Shui, etwas Sport, etwas Lamm

      1

      Herbert und Gisela Kesselmann stand das Wasser bis zum Hals.

      Die Eltern von Andrea überwinterten seit Jahren in Baños de Fortuna, einem kleinen Thermalbad in der Nähe von Murcia, im Hinterland der Costa Blanca.

      Beide hatten sich im Laufe ihres Ruhestandes ihr schönes Haus „La Viña“ erweitert, um- und angebaut und den Garten liebevoll gestaltet. Thalers nutzten das Haus mit dem Wintergarten und der Dachterrasse mit dem Blick über die wüstenähnliche, karge Landschaft regelmäßig für einen Zwischenstopp auf dem Weg nach Andalusien in ihr Haus in La Herradura.

      Außer dem trockenen Klima und dem ebenfalls sehr trockenen Vino Tinto, waren Kesselmanns in erster Linie wegen dem Thermalbad von Oktober bis Mai in ihrem Haus.

      Neben ihnen standen Jutta und Theo im warmen Thermal­wasser, ihre deutschen Freunde aus dem Linksrheinischen, die aber das ganze Jahr in ihrem kleinen Bungalow in der „deutschen Siedlung“ lebten.

      Während sich Gisela um ihren Kräutergarten kümmerte und Herbert mit Theo und einigen anderen Rentnern regelmäßig Boule spielte, hatte sich die geschäftstüchtige Jutta neben ihrer Rente ein zweites Standbein aufgebaut.

      Das Wohnzimmer in ihrem Bungalow wurde als Studio für Qigong-, Trommel- und Yoga Kurse und später auch noch als Praxis für Warzenbesprechungen umgebaut.

      Und weil das Geschäft mit den unausgelasteten Rentnern an der Costa Blanca immer mehr florierte, hatte Jutta ex­pandiert und bot noch Handlesen, eine astrologische Komplettberatung und Tantra Schulungen an. Denn viele ältere „Flüchtlinge“ aus den kalten, nordeuropäischen Ländern hofften, durch Juttas Entspannungs- und Massage­übungen eine natürliche Stimulanz und eine neue Festigkeit in ihrer Beziehung zu erhalten, sodass die kleinen blauen Pillen weggelassen werden konnten.

      Jutta hatte sich, ähnlich wie Theo, ihrem esoterischen Umfeld angepasst. Ihre grauen, langen Haare waren jetzt mit Henna rot gefärbt, die welke Haut zierten Tattoos mit exotischen, meist indischen Motiven, und sie umgab ein ständiger muffiger Geruch nach ihren öligen Räucher­kerzen.

      Heute wirkte Jutta etwas abwesend und niedergeschlagen. Ihr kleiner Liebling, ihr Kater Ali, hatte nach 19 glücklichen Jahren als überaus fruchtbarer Kater das Zeitliche gesegnet. Während Jutta schluckte und sichtbar unter dem Verlust des inkontinenten Katers litt, konnte Theo seine Erleichterung nicht vollständig verbergen.

      Theo, der mittlerweile einem Druiden ähnelte, und dessen weißer Vollbart wie ein nasser Flokati im Gesicht hing, versuchte geschickt das Thema zu wechseln.

      „Höma, Jutta, jetzt reg Disch ma ja nit auf. Erzähl‘ doch dem Herbert und dä Gisela wat fürne Beratung Du seeit Neustem anbietest.“

      Jutta schaute zuerst etwas überrascht, nahm aber das Thema dann dankbar auf.

      „Also, isch bin jetzt auch Feng-Shui Spezialistin. Zertifiziert, über dat Internet. Isch biete jetzt Erdheilungen mit Kraft­plätzen an. Isch entwickle Farbkonzepte für die Wohnung, berate bei der Einrischtung un sage, wo die Fenster und Türen hinjehören. Dat Ziel is, dat dat Chi wieder so rischtig fließt. Wischtig is, dat die Klienten immer die elf Basisregeln bei der Gestaltung ihres Heims befolgen. Dann wird dat Zuhause nit nur schöner. Auch die Lebensenergie steigt wieder janz enorm. So konnte isch auch Alis Verlust besser verkraften.“ Jutta war kaum noch zu bremsen vor Enthusiasmus und Energie.

      Und Herbert und Gisela waren verblüfft. Gisela war sogar schwer beeindruckt. Denn Gisela hatte sowieso eine Neigung zum Esoterischen und war spontan interessiert an Feng-Shui und an den positiven Energieströmen.

      „Vielleicht könntest Du Dir ja unser Haus auch mal ansehen. Ob wir alles richtig gemacht haben. Und ob alles gut fließt bei uns,“ sprang Gisela sofort auf das Thema an. Herbert schaute eher sehr skeptisch drein.

      „Also, das mit dem Feng-Shui hat doch noch viel Zeit. Noch leben wir ja, und ich fühl` mich eigentlich ganz energie­geladen“, versuchte Herbert mit einem flachen Scherz die drohende Beratung abzuwehren.

      Aber Gisela interessierte Herberts Bedenken nur wenig und sie lud ihre rheinischen Freunde ohne Herbert zu fragen für den Abend zum Essen ein.

      Herbert wollte keinen Streit und schwieg im warmen Wasser lieber. Er war mit ihrem Häuschen und seiner Lebensenergie bestens zufrieden. Und wenn renoviert oder umgebaut werden sollte, dann war er ja bis jetzt der Macher und Gisela hatte gebremst.

      Aber Gisela war für alles, was der Gesundheit und ihrem Ziel, hundert Jahre alt zu werden, diente, sehr aufge­schlossen. Das hatte Herbert an der veganen Ernährung gemerkt, die Gisela jetzt kulanterweise auf vegetarisch etwas gelockert hatte. Was Herbert aber heimlich umging, wenn er nach dem Boule Spiel mit seinen Freunden bei Valentino, dem kleinen dicken Ober im Hotel-Restaurant, einen Roten und einen Lammbraten genoss.

      Jutta erwähnte nur beiläufig, dass sie bei ihren Freunden einen Sonderpreis für die Beratung machen würde. Was Herbert sehr stutzig machte, denn er kannte ja Juttas Sonderpreise bei der Warzenbesprechung seiner Tochter Andrea.

      Gisela wollte von all dem nichts wissen. Natürlich müsse ihre Freundin auch etwas verdienen, denn das „Fern­studium“ hätte ja ein Sündengeld gekostet, wie ihr Jutta ver­raten hatte.

      Weil Jutta aber den Einfall des Tageslichtes in Kesselmanns Haus prüfen wollte, nahm sie die Einladung zum Abend­essen zwar gern an, wollte aber am nächsten Tag um zwölf Uhr Kesselmanns Haus genau inspizieren.

      Herbert und Theo waren erleichtert. Denn am nächsten Tag um elf Uhr war ihr Boule Spiel auf der Petanca Bahn. Und danach hatten sie dann Zeit für einen Besuch bei Valentino, während die Damen die Energieströme in ihrem Haus aufspüren würden.

      2

      Gegen halb drei kam Herbert gut gesättigt, gut gelaunt und mit einer entspannten Bettschwere vom Boule Spiel und von den drei Gläsern Rotwein zum mittäglichen Braten nach Hause. Er freute sich auf einen ausgiebigen Mittagsschlaf auf der Terrasse.

      „Prima, dass Du endlich da bist, Herbert. Du kannst gleich mit anpacken und mir helfen.“ Gisela sprühte vor Kampfes­lust und Energie. Herbert wurde sehr vorsichtig, um seine liebe Ehefrau nicht zu reizen.

      „Erzähl‘ doch erst mal von Eurem Termin. Was hat Jutta denn so feststellen können?“

      Jetzt war Gisela nicht mehr zu halten vor Begeisterung.

      „Die Jutta hat ja echt viel Ahnung. Also sie hat ihr Bagua für die Untersuchung genutzt und ganz viele tolle Vorschläge gemacht. Unsere acht Lebensbereiche