Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es kostet nix


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oder ein Thai Chi ist und welche acht Lebensbereiche sich verbessern sollten, hielt aber noch seinen Mund und nickte nur.

      „Unser Familienglück, unsere Freundschaften, auch unsere Partnerschaft, unser Wissen, unser Ruhm und Reichtum, die Karriere und der berufliche Erfolg. Alles wird sich wieder­einstellen, wenn das Chi erstmal wieder so richtig fließt.“ Gisela war ganz außer Atem wegen des neuen Glücks, das ihnen blühte.

      Jetzt konnte Herbert sich nicht mehr zurückhalten.

      „Welcher berufliche Erfolg und welche Karriere denn? Wir sind doch Rentner. Und unser Geld hat auch immer gereicht. Außerdem haben wir nette Freunde, eine ganz wunderbare Familie mit tollen Enkeln und unsere Partner­schaft ist doch auch ganz harmonisch. Meistens“, schränkte Herbert etwas ein mit Blick auf Giselas Ernährungsum­stellung.

      „Aber Du wirst sehen, wenn wir das Haus auf die fünf Elemente abstimmen, dann fließt das Chi wie ein Walzer tanzendes Lüftchen durch die Räume. Es stellt sich neues Glück und größte Zufriedenheit ein“, betete die seit Juttas Besuch unzufriedene Gisela deren Argumente runter. Herbert wusste noch gar nicht, dass sie bislang unglücklich oder unzufrieden waren.

      „Und was hast Du jetzt vor?“ versuchte der praktische Herbert etwas konkreter zu werden.

      „Wir arbeiten die To-Do Liste ab, die ich von Gisela bekommen habe. Als erstes habe ich schon mal Salz in alle vier Hausecken gestreut. Das nimmt die negativen Energien weg.“

      Herbert runzelte die Stirn und beschloss, morgen heimlich zu saugen.

      „Und dann geht es erst so richtig los. Wir streichen alle Wände neu in hellen Farben. Nächstes Jahr vergrößerst Du die Fenster, damit noch mehr Licht in die Zimmer kommt. Die dunkelroten Terracotta Böden fliegen alle raus. Und die Haustür muss zwingend versetzt werden. Du machst doch so gern handwerkliche Arbeiten, Herbert. Und außerdem hat mir Jutta noch einen Katalog dagelassen. Sie vertreibt nämlich gemütliche Polstermöbel, Betten, Teppiche, Gardinen, Spiegel und wunderbare Accessoires für unser Haus. Und weißt Du was, mein Schatz? Wenn wir hier fertig sind, hat Jutta versprochen, sich unser Haus in Kassel auch mal anzusehen. Da geht‘s dann weiter.“

      Herbert war im ersten Moment sprachlos, beschloss dann aber, Widerworte zu geben.

      „Am besten, wir reißen unsere Häuser ganz ab. Bei der schlechten Energie seit Jahren. Gisela, wir sind gesund, fühlen uns wohl und wir sind glücklich. Ich will das alles nicht, was Jutta aufgeschrieben hat. Auch wenn ich gerne bastele. Das Einzige, was ich jetzt will, ist mein Mittags­schlaf.“

      „Herbert, wenn wir die neuen Betten von Jutta gekauft haben, hast Du so viel Energie, dass Du gar keinen Mittags­schlaf mehr brauchst“, konterte Gisela triumphierend und punktgenau mit dem falschen Argument. Denn der Mittags­schlaf war Herbert seit Jahren heilig.

      Herbert versteifte sich und wurde bockig. Jetzt drohte der Streit zu eskalieren.

      „Dann soll doch Jutta bei sich zu Hause erstmal selber mit dem Feng-Shui anfangen. Mit ihrer dunklen, ungelüfteten Räucherhöhle hat sie genug zu tun. Und Du mit Deinem gesteigerten Energiefluss kannst ihr ja helfen, bei sich alles auf den Kopf zu stellen. Mal sehen, wie das Chi dann durch deren Räume flutscht und ob Theo freiwillig auf seinen Mittagsschlaf verzichten würde.“

      Als Gisela ihrem Mann auf dessen Frage auch noch zugeben musste, dass Jutta für die Beratung ein Freundschafts­honorar von nur 200 Euro bekommen hatte, war das Maß voll. Herbert verzog sich zornig in sein Schlafzimmer. Nur - schlafen konnte er vor Wut nicht.

      Nachdem sich Gisela und Herbert die nächsten Stunden aus dem Weg gegangen waren und nur das Nötigste miteinander gesprochen hatten, versuchte Gisela beim Abendbrot im Wintergarten die aufgeheizte Stimmung wieder zu glätten. Obwohl Herbert sich von dem Möbel- und Hauszubehör­prospekt, den Jutta ihnen großzügiger Weise dagelassen hatte, noch zusätzlich provoziert fühlte.

      „Ich hab‘ mir überlegt, wir könnten ja auch etwas kleiner mit dem Feng-Shui hier anfangen.“ Gisela lächelte ihren Mann an. „Wir könnten ja mit Kleinigkeiten beginnen, die nichts oder nur wenig kosten und warten ab, wie das dann wirkt.“

      Herbert hörte jetzt interessiert zu. Vielleicht würde er morgen ja doch noch nicht saugen.

      „Wir könnten doch die Möbel so umstellen, dass die Couch an der Wand steht und wir dabei aus dem Fenster sehen können. Den Sessel stellen wir ins Turmzimmer. Dann bleibt die Mitte im Wohnzimmer frei. Das ist positiv für den Energiefluss.“ Gisela erwähnte den Reiznamen Jutta lieber nicht mehr.

      „Die Betten in den Schlafzimmern stellen wir so, dass unser Kopf im Osten liegt. Und im Wohnzimmer stelle ich jeden Tag eine Schale mit Blütenblättern auf. Und das Salz in den Ecken kostet ja auch nicht viel. Frische Blumen für die Vasen pflücken wir selber auf den Wiesen oder ich pflanze sie bei uns im Garten an. Streichen wolltest Du doch nächstes Jahr sowieso, dann nehmen wir ganz helle Pastell­farben.“

      Herbert war erleichtert und mit allem einverstanden.

      „Und Jutta hat uns ja auch sehr gelobt, wegen den schönen Bildern von unseren Kindern und unseren Enkeln an der Wand. Alles positiv für die Lebensenergie. Und sie fand, dass die Luft bei uns im Haus sehr gut wäre. Weil ich immer so schön reinige und lüfte.“

      Herbert spürte förmlich, wie der Harmoniefluß wieder zurück nach La Viña kam und durch die Räume strömte.

      „Klar, die Arbeiten kann ich alle selber machen. Und ich könnte nächstes Jahr das Fenster im Wohnzimmer auch selber aufbrechen und bodentief vergrößern. Dann wird es noch heller und wir haben einen schöneren Blick in den Garten.“ Herbert freute sich schon auf die Umbauarbeit für nächstes Jahr. Normalerweise hatte ja Gisela immer ge­bremst, wenn er etwas verbessern wollte.

      „Dann könnten wir ja heute schon mit einer Kleinigkeit im Haus anfangen, mein Schatz.“ Gisela nutzte die zurückge­kehrte positive Energie zwischen ihnen gleich aus.

      „Wir räumen unser Haus mal auf und trennen uns von allem unnötigen Ballast. Ich schmeiße meine alten Zeitschriften weg, und bei Dir Herbert, schauen wir uns Deine Bücher­regale mal an. Einige Bücher sind absolut überflüssig. Vor allem Dein Kamasutra-Buch, das Emma peinlicher­weise mal beim Frühstück gefunden hatte, kommt jetzt weg. Das brauchen wir doch wirklich nicht mehr.“

      Als Herbert protestieren wollte, lächelte ihn seine Frau spitzbübisch an.

      „Jutta meint ja auch, dass Tantra in unserem Alter viel schonender, sanfter und belebender ist. Und Deine ge­liebten Versteinerungen lassen wir weiterhin im Winter­garten liegen. Das war ja auch immer die große Freude unserer Enkel.“

      Für Herbert war die Welt wieder in Ordnung. Mit so viel Feng-Shui konnte er gut leben. Und die Freundschaft zu Theo und Jutta würde auch keinen Knacks bekommen.

      3

      Andrea saß im Arbeitszimmer und checkte die Emails. Eine Arbeit, die Klaus lieber seiner Frau überließ, denn er war noch ein ziemlich analoger Mensch. Ähnlich wie seine Mutter, bei der man die Aversion gegen Computer aber zumindest mit dem Alter erklären konnte.

      Klaus beschäftigte sich am liebsten grobmotorisch. Rasen­mähen oder sehr gerne auch Staubsaugen. Wobei die Familie darauf beharrte, immer einen Tag vorher gewarnt zu werden, bevor Klaus zu saugen begann.

      Denn Klaus saugte wie im Rausch, ohne Rücksicht auf Dinge, die auf dem Boden lagen.

      Das konnte schon mal eine Feinstrumpfhose von Andrea sein, die das Staubsaugerrohr mit einem heulenden „Fluuups“ schlürfend aufsaugte, Gardinen, die den Fehler hatten, zu tief zu hängen und sich gerne im Rohr ver­knitterten, vereinzelte Müffelsocken oder ein zu Stein erstarrter, uralter Kaugummi in Antons Zimmer, ein Stick von Emil mit wichtigen Dateien aus der Schule, der einfach nur Pech hatte, neben Emils Schreibtisch zu liegen, oder Emmas Lieblingsohrringe, die sich mit einem hässlichen Klirren in den Staubsaugerbeutel verabschiedeten.

      „Vatter, wann saugst Du wieder?“, war daher eine wöchent­liche Frage von Anton beim Frühstück. Zumindest führte Klaus