Eberhard Weidner

DER REGENMANN


Скачать книгу

Gefahr lauerte woanders.

      Die Klinge bohrte sich mühelos durch den Stoff des Bademantels. Dann durchtrennte sie Haut, Fett und Muskelgewebe, bis sie bis zum Heft im Bauch der Frau steckte.

      Diese stieß trotz des stählernen Griffs um ihren Hals ein dumpfes Stöhnen aus, als sie der unerwartete Angriff wie ein Magenschwinger traf. Doch noch hatte sie scheinbar nicht realisiert, was soeben geschehen war. Das Adrenalin, das sie erfüllte, verhinderte bislang wohl, dass sie den Schmerz spürte.

      Der Regenmann zog die lange Klinge langsam aus ihrem Körper. Er senkte den Blick und beobachtete zufrieden, wie sich der roséfarbene Bademantel um die Einstichstelle herum dunkelrot verfärbte und der Fleck sich dann rasch ausbreitete.

      Doch eilig hob er den Blick wieder, um der Frau erneut ins Gesicht zu sehen. Er wollte auf keinen Fall den magischen Moment verpassen, wenn sie endlich realisierte, dass sie tödlich verwundet war und unweigerlich sterben würde. Denn nur für diesen einen kostbaren Augenblick tat er dies alles.

      Endlich spürte die Frau den Schmerz, den die heftige Stichwunde in ihrem Bauch verursachte. Sie verzog gequält das Gesicht, während ihr gleichzeitig Tränen in die Augen schossen und über ihre geröteten Wagen liefen. Gleichzeitig stellte sie ihr Strampeln ein und ließ die Arme sinken, als wären sie plötzlich bleischwer.

      Der Regenmann wartete gespannt und hielt den Atem an, sodass für eine Weile keiner der beiden Anwesenden atmete.

      Doch noch war es nicht so weit. Die Frau schien noch immer nicht realisiert zu haben, dass sie so gut wie tot war. Trotz der tiefen, stark blutenden Wunde hob sie erneut die Hände. Allerdings schien sie die Sinnlosigkeit ihres vorherigen Tuns eingesehen zu haben. Denn anstatt weiterhin zu versuchen, seine Hand von ihrem Hals zu zerren, schlug sie nun nach ihm. Hinter ihren Hieben steckte jedoch nicht genug Kraft, um ihm etwas anzuhaben. Und mit jedem Tropfen Blut, der aus ihrem Körper floss, wurden ihre Schläge ziel- und kraftloser.

      Dennoch knurrte der Regenmann unwirsch, denn jetzt war er gezwungen, ein zweites Mal zuzustechen.

      Dieses Mal stieß er die Klinge in ihre Brust. Er achtete dabei allerdings darauf, dass er nicht versehentlich ihr Herz durchbohrte. Schließlich wollte er nicht, dass sie starb, bevor der Augenblick des Erkennens ihrer aussichtslosen Lage gekommen war. In dem Fall wäre die ganze Sache umsonst gewesen und ihr Tod eine Enttäuschung.

      Trotz des eisernen Griffs um ihre Kehle ächzte die Frau, als der zweite Messerstich sie nicht nur mit der Wucht eines heftigen Faustschlags traf und ihr auch noch das letzte Quäntchen Atemluft aus der Lunge presste, sondern darüber hinaus die Klinge tief in ihre Brust trieb. Ihr Körper versteifte sich daraufhin, und ihre Arme sanken kraftlos herab.

      Und dann war der magische Moment des Begreifens, um den es ihm in erster Linie ging, endlich gekommen.

      Ihre Pupillen verengten sich.

      Der Regenmann beobachtete fasziniert, wie jäh die Erkenntnis über ihr unausweichliches Schicksal in die Augen der Frau trat und jede Hoffnung auf einen guten Ausgang dieser Geschichte radikal auslöschte. Er konnte förmlich, wie er es erwartet und zugleich ersehnt hatte, tiefe Resignation und panisches Entsetzen vor dem Tod in ihrem Gesicht und in ihren Augen lesen. In diesem Moment begriff sie, dass ihr Leben an diesem Abend und an diesem Ort unweigerlich sein Ende finden würde. Ein Ende, mit dem sie vermutlich nie und nimmer gerechnet hätte, gewaltsam, schmerzhaft und extrem blutig, und das sie sich mit Sicherheit nicht erträumt hatte, allerhöchstens in ihren furchtbarsten Albträumen. Als sie heute Morgen aufgestanden war, hatte sie diesen Tag nur als einen weiteren unter vielen betrachtet, die noch kommen würden. Hätte sie auch nur geahnt, dass sie am Ende dieses Tages ihrem Mörder begegnen würde, dann hätte sie diesen Tag sicherlich anders wahrgenommen und genutzt, schließlich war es ihr allerletzter auf Erden. Doch sie hatte es natürlich nicht wissen können. Und das, obwohl er sie persönlich vorgewarnt hatte.

      Denn er hatte sie angerufen. Exakt dreimal hatte er das getan. Und jedes Mal hatte er ihr die abgewandelte Zeile seines Lieblingsliedes vorgesungen.

      Weine nicht, wenn der Regenmann kommt, dam-dam, dam-dam …

      Mehr hatte er gar nicht getan. Und anschließend hatte er sofort wieder aufgelegt.

      Wahrscheinlich hatte sie gedacht, er wäre nur irgendein Perverser, der sich daran aufgeilte, willkürlich Frauen anzurufen und in Unruhe zu versetzen. Der sich dann aber doch nicht traute, ihnen persönlich gegenüberzutreten. Aber da hatte sie sich getäuscht.

      Ein tödlicher Irrtum!

      Und in diesem für sie furchtbaren, für ihn hingegen wunderbaren Moment wurde ihr dieser Irrtum in aller Endgültigkeit bewusst. Und als sie nun erkannte, dass der Regenmann gekommen war, so wie er es dreimal angekündigt hatte, vergoss sie bittere Tränen.

      Der Regenmann kostete diesen allzu kurzen magischen Moment aus, solange er währte. Er saugte sämtliche Sinneseindrücke wie ein trockener Schwamm in sich auf und speicherte sie, um sie später immer wieder abrufen und sich daran erfreuen zu können.

      Dann trübte sich der Blick der Frau, und sie erschlaffte in seinem Griff.

      Enttäuscht schüttelte der Regenmann den Kopf.

      Der magische Augenblick, auf den es ihm angekommen war, war vorüber, und seine Erregung verflog rasch wieder. Von jetzt an war die Frau nicht nur uninteressant für ihn, sie widerte ihn geradezu an. Es war daher an der Zeit, dem allen ein rasches Ende zu bereiten.

      In einer fließenden Bewegung zog er ihr das Messer aus der Brustwunde.

      Die Frau erzitterte daraufhin am ganzen Körper, als hätte man ihr einen Stromstoß versetzt.

      Der Regenmann wollte nicht mehr sehen, was im Augenblick ihres Todes in ihrem Gesicht und in ihren Augen vor sich ging. Es war ohne Belang für ihn. Er hatte bekommen, was er wollte. Er würde die Erinnerung daran bewahren und immer wieder davon zehren. Aber was er jetzt tun musste, war nur eine lästige Pflicht, die dazugehörte, die er aber nur äußerst ungern erledigte. Trotzdem musste es getan werden.

      Aus diesem Grund schnitt er ihr knapp oberhalb seiner Hand die Kehle durch und warf sie gleichzeitig rasch von sich, sodass sie in die offene Duschkabine flog. Ihr Kopf schlug gegen die Kachelwand und hinterließ einen blutigen Abdruck. Der Regenmann bezweifelte allerdings, dass sie es noch spürte, denn sie war kaum noch am Leben. Der Gürtel des Bademantels war aufgegangen. Der Mantel hatte sich geöffnet und den Blick auf ihren nackten Körper und die heftig blutenden Wunden freigegeben. Vor allem aus dem klaffenden Schnitt in ihrem Hals und der Brustwunde spritzte das Blut, während ihr Herz seine letzten verzweifelten Schläge tat. Der Stoff des Bademantels saugte einen Großteil des vielen Blutes auf und verfärbte sich rot. Der Rest lief zum Abfluss der Dusche und versickerte dort.

      Schließlich zuckte der Körper der Frau ein letztes Mal, dann lag er vollkommen still, weil jegliches Leben daraus entflohen war.

      Der Regenmann wandte seufzend den Blick ab. Nachdem er sich mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, dass die Frau tot war, konnte er das blutige Ergebnis seiner Tat nicht länger ansehen. Er ging zum Waschbecken und ließ Wasser über die Messerklinge und seine Handschuhe laufen, um das Blut abzuwaschen. Dann trocknete er die Klinge sorgfältig ab, bevor er fluchtartig das Badezimmer verließ und die Tür hinter sich schloss.

      Im Flur blieb er stehen. Er drehte den Kopf in alle Richtungen, sah sich aufmerksam um und lauschte.

      Wo hat sich bloß diese verdammte Katze verkrochen?

      Nun, er würde es schon herausfinden. Schließlich war das Haus nicht besonders groß. Wenn er methodisch vorging, Zimmer für Zimmer gründlich durchsuchte und anschließend die Türen schloss, musste er früher oder später zwangsläufig auf die Katze stoßen. Schließlich sorgte der Regen, der immer noch heftig vom Himmel fiel, dafür, dass sie nicht nach draußen flüchten würde.

      Fang endlich an zu suchen!, befahl die Regentropfenstimme.

      Der Regenmann nickte gehorsam und setzte sich augenblicklich in Bewegung.

      ERSTER