Edgar Wallace

John Flack


Скачать книгу

der häuslichen Tugenden der heutigen Frauen, oder ob das ›tschk'd‹ einen anderen Grund hatte, war schwer zu sagen. Er war von seinen Gedanken völlig in Anspruch genommen.

      Er leuchtete wieder nach der Tür.

      »Das dachte ich,« sagte er, und seine Stimme klang erleichtert. »Da stehen zwei Spazierstöcke in dem Garderobenständer. Wollen Sie mir mal einen geben, Schutzmann?«

      Der Beamte gehorchte verwundert und brachte Mr. Reeder einen langen Stock aus Kirschbaumholz mit gebogener Krücke, den er im Lichte der Lampe untersuchte.

      »Verstaubt und von dem früheren Bewohner zurückgelassen. Die Spitze anstelle einer Zwinge beweist, daß er in der Schweiz gekauft wurde. Wahrscheinlich haben Sie kein Interesse für Detektivgeschichten und haben niemals von dem Manne gelesen, dessen Methode ich hier nachmache?«

      »Nein, Sir,« erwiderte Dyer, der nichts von alledem begriff.

      Mr. Reeder untersuchte den Stock noch einmal.

      »Es ist jammerschade, daß es keine Angelrute ist,« sagte er. »Bleiben Sie hier stehen und rühren Sie sich nicht.«

      Dann kroch er langsam auf den Knien die Treppe hinauf und fuchtelte dabei mit seinem Stock in der lächerlichsten Art und Weise hin und her. Er hielt ihn mit ausgestrecktem Arm in die Höhe und schlug beim Hinaufkriechen gegen unsichtbare Hindernisse. Er kroch höher und höher, und sein Schattenbild zeichnete sich scharf gegen den Schein der Lampe in seinen Händen ab. Der Schutzmann Dyer sah ihm mit offenem Munde zu.

      »Könnte ich denn nicht ...«

      Weiter kam er nicht. Eine ohrenbetäubende Explosion erfolgte. Die Luft war plötzlich mit Rauch- und Staubwolken angefüllt; er hörte das Krachen von Holz, und der beißende Geruch von etwas Brennendem kam zu ihm. Verwirrt und unfähig, sich zu bewegen, starrte er Mr. Reeder an, der auf einer Stufe saß und kleine Holzsplitter von seinem Rock absuchte.

      »Ich glaube, Sie können jetzt ohne jede Gefahr heraufkommen,« sagte Mr. Reeder sehr ruhig.

      »Was ... was war das?« stotterte der Schutzmann.

      Der geschworene Feind aller Verbrecher staubte zärtlich seinen Hut ab, was aber Dyer nicht sehen konnte.

      »Sie können heraufkommen.«

      Mr. Dyer lief die Treppe hinauf und folgte dem anderen über den breiten Treppenflur, bis dieser stehenblieb und im Scheine der Lampe einen merkwürdig aussehenden und allem Anschein nach selbstangefertigten Selbstschuß betrachtete, dessen Mündung so durch das Treppengeländer gerichtet war, daß sie die Treppe deckte, die er heraufgekommen war.

      »Quer über die Stufen,« erklärte Mr. Reeder eingehend, »war ein schwarzer Faden gespannt, so daß jeder, der an den Faden rührte oder ihn zerriß, den Selbstschuß zum Entladen bringen mußte.«

      »Aber ... aber ... die Dame ...?«

      Mr. Reeder hüstelte.

      »Ich glaube nicht, daß sie noch im Hause ist,« sagte er in immer gleichem, freundlichem Ton. »Ich nehme vielmehr an, daß sie durch die Hintertür entwischte. Da ist doch ein Wirtschaftseingang, nicht wahr? Sie tut mir eigentlich leid – dieser kleine Zwischenfall ereignete sich zu spät für die Morgenausgaben, und sie wird leider bis zu den ersten Sportberichten warten müssen, bevor sie erfährt, daß ich noch am Leben bin.«

      Der Schutzmann atmete tief auf.

      »Ich glaube, ich muß das erst mal zu Rapport bringen, Sir.«

      »Das glaube ich auch,« seufzte Mr. Reeder. »Und rufen Sie, bitte, Inspektor Simpson an und sagen Sie ihm, er soll hierherkommen, ich möchte ihn gern sprechen.«

      Der Beamte zauderte wiederum.

      »Halten Sie es nicht für besser, daß wir erst das Haus durchsuchen? ... Vielleicht haben sie die Frau aus dem Wege geschafft.«

      Mr. Reeder schüttelte den Kopf.

      »Da ist nicht eine einzige Frau aus dem Wege geräumt worden,« sagte er entschieden. »Das Einzige, was wirklich beseitigt worden ist, ist eine der Lieblingstheorien Mr. Simpsons.«

      »Aber, Mr. Reeder, warum ist denn diese Dame an die Tür gekommen ...?«

      Mr. Reeder tätschelte ihn wohlwollend auf den Arm – wie eine Mutter ihr Kind tätschelt, das eine närrische Frage stellt.

      »Die ... hm ... Dame hat eine halbe Stunde an der Tür gestanden,« antwortete er sanft, »eine geschlagene halbe Stunde, mein lieber Freund, und hoffte – wider alle Hoffnung, wie man sich vorstellen kann – daß sie meine Aufmerksamkeit auf sich lenken würde. Ich habe sie nämlich von einem Zimmer aus beobachtet, das ... hm ... nicht erleuchtet war. Ich habe mich nicht sehen lassen, weil ich den .. hm ... lebhaften Wunsch habe, noch eine Zeitlang am Leben zu bleiben.«

      Mit diesen dunklen Worten verschwand Mr. Reeder in seinem Hause.

      5. Kapitel

      Mr. Reeder hatte es sich bequem gemacht, trug ein Paar merkwürdig bemalte Sammetpantoffeln, eine Zigarette hing zwischen seinen Lippen, und er setzte dem Detektiv-Inspektor, der ihn in aller Frühe aufgesucht hatte, seine Gründe für gewisse Schlußfolgerungen auseinander.

      »Ich nehme auch nicht einen einzigen Augenblick an, daß mein Freund Ravini die Hand dabei im Spiele hat. Er arbeitet nicht so ... hm ... fein, außerdem hat er wenig oder gar keine Intelligenz. Sie werden finden, daß dieser Schlag schon seit Monaten geplant ist, obwohl er erst heute ausgeführt wurde. Bennet Street Nr. 307 gehört einem alten Herrn, der hauptsächlich in Italien lebt. Er hat das Haus schon seit Jahren möbliert vermietet; erst seit einem Monat sieht es leer.«

      »Sie nehmen also an, daß die Leute, wer sie auch immer sein mögen, das Haus gemietet ...«

      Mr. Reeder schüttelte den Kopf.

      »Sogar das bezweifle ich. Höchstwahrscheinlich haben sie eine Erlaubnis, das Haus zu besichtigen, und sind auf irgendeine Weise den Verwalter losgeworden. Sie wußten, daß ich heute Nacht zu Haus sein würde, weil ich immer zu Haus bin ... hm ... wenigstens meistens, seit ...« Mr. Reeder hustete verlegen. »Eine gute Bekannte von mir hat kürzlich London verlassen, und ich gehe nicht gern allein aus.«

      Und zu Simpsons Schauder flog ein rosiger Schein über Mr. Reeders nüchternes Gesicht.

      »Vor einigen Wochen,« fuhr er fort mit einem kläglichen Versuche, unbefangen zu erscheinen, »aß ich gewöhnlich auswärts, ging in ein Konzert, oder sah mir eines jener wundervollen Melodramen an, für die ich eine besondere Vorliebe habe.«

      »Wen haben Sie in Verdacht?« unterbrach Simpson, der nicht mitten in der Nacht aus dem Bett gerufen worden war, um die Vorzüge von Melodramen zu erörtern. »Die Gregorys oder die Donovans?« Er nannte zwei Banden, die ausgezeichnete Gründe hatten, mit Mr. Reeder und seinen Methoden unzufrieden zu sein.

      Mr. Reeder schüttelte seinen Kopf.

      »Keine von beiden. Ich glaube, oder vielmehr: ich bin ganz sicher, daß wir für diese Sache hier auf alte Geschichten zurückkommen müssen.«

      Simpson riß die Augen auf.

      »Sie meinen doch nicht Flack?« fragte er ungläubig. »Der hält sich versteckt ... So bald fängt der nicht wieder an.«

      Mr. Reeder nickte.

      »John Flack. Wer denn sonst könnte ein solches Unternehmen geplant haben? ... Diese künstlerische Vollendung! Und dann, Mr. Simpson« – er beugte sich zu ihm und tippte ihm auf die Brust – »seit Flack nach Broadmoor geschickt wurde, ist kein größerer Einbruch mehr in London vorgekommen. In einer Woche werden Sie den größten von allen erleben. Die Quintessenz aller Einbrüche. Sein wahnwitziges Hirn bereitet ihn jetzt vor.«

      »Er ist erledigt,« sagte Simpson stirnrunzelnd.

      Mr. Reeder lächelte schwach.

      »Wir wollen abwarten. Die kleine Affäre von