Edgar Wallace

John Flack


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– –«

      Eine Hand packte seinen Arm und drehte ihn langsam herum – und das am hellichten Tage auf dem Waterloo Bahnhof, vor den Augen von mindestens zweien seiner Kumpane. Mr. Ravinis Augen blitzten drohend.

      Und doch schien sein Angreifer ein höchst harmloser Mann zu sein. Er war schlank und sah ziemlich melancholisch in die Welt. Er trug einen Gehrock, der fest über der Brust zugeknöpft war, und einen hohen, harten Filzhut mit flachem Deckel. Auf seiner etwas starken Nase saß – ein wenig schief – ein einfacher Stahlklemmer. Ein Paar strohfarbener Koteletten zierten seine Wangen, und an seinem Arm hing ein lose zusammengerollter Regenschirm. Diesen Einzelheiten schenkte aber George keine besondere Aufmerksamkeit, er kannte sie zur Genüge, denn Mr. I. G. Reeder, Detektiv der Staatsanwaltschaft, war ihm sehr gut bekannt ... die Kampflust verschwand aus seinen Augen.

      »Aaaach, Mr. Reeder!« sagte er mit einer Herzlichkeit, die beinahe aufrichtig klang. »Das ist aber eine angenehme Überraschung. Darf ich Ihnen Miß Belman vorstellen – wir wollten gerade zusammen nach –«

      »Aber doch nicht nach dem Flotsam Club zum Tee?« murmelte Mr. Reeder mit schmerzlichem Tonfall, »Und auch nicht nach Harrabys Restaurant? Sagen Sie bloß das nicht, Georgio! Du liebe Güte! Das hätte aber interessant werden können!«

      Er strahlte den finster blickenden Italiener an.

      »Im Flotsam Club hätten Sie der jungen Dame zeigen können, wo Ihre Freunde erst vorgestern den jungen Lord Fallon um dreitausend Pfund erleichtert haben – wie man mir erzählt hat. Und bei Harraby hätten Sie ihr das interessante, kleine Zimmer zeigen können, wo die Polizei immer durch eine Hintertür hineinkommen kann, wenn Sie es für vorteilhaft halten, einen Ihrer Freunde zu verraten. Sie hat wirklich was versäumt!« George Ravinis Lächeln stand mit seiner plötzlichen Blässe nicht im Einklang.

      »Hören Sie mal. Mr. Reeder –«

      »Tut mir leid, Georgio« Mr. Reeder schüttelte traurig seinen Kopf. »Meine Zeit ist kostbar. Ich kann Ihnen gerade noch eine Minute opfern, um Ihnen mitzuteilen, daß Miß Belman eine ganz besonders gute Freundin von mir ist. Sollte sich ihr Erlebnis von heute wiederholen – wer weiß, was da alles passieren könnte; wie Ihnen bekannt sein dürfte, bin ich ein boshafter Mensch.« Er sah den Italiener nachdenklich an. »Ich möchte wissen, ob es wirklich Bosheit ist, die mich hindert, Ihnen eine sehr interessante Enthüllung zu machen, die mir auf der Zunge liegt. Das menschliche Gemüt ist ein eigenartiges und kompliziertes Ding, Mr. Ravini. Na ja, ich muß weiter. Grüßen Sie Ihre Zunftgenossen, und wenn Sie merken, daß einer der Herren von Scotland Yard Ihnen nachgeht, seien Sie ihm nicht weiter böse. Er tut ja nur seine Pflicht. Und vergessen Sie nicht meine – na ja – Warnung betreffs dieser jungen Dame.«

      »Ich habe nichts zu dieser Dame gesagt, was ein Herr nicht sagen dürfte.«

      Mr. Reeder schielte Ravini an.

      »Sollten Sie das getan haben, können Sie darauf rechnen, daß Sie mich heute Abend wiedersehen – und dann werde ich wohl nicht allein kommen. In dem Fall,« – sein Ton wurde ganz vertraulich – »würde ich genug kräftige Leute mitbringen, die Ihnen die Schlüssel zu Ihrem Schließfach im Fetter Lane Stahlkammer-Depot abnehmen werden.«

      Mehr sagte er nicht, aber Ravini taumelte bei dieser Drohung. Ehe er sich wieder gefaßt hatte, waren Mr. I. G. Reeder und sein Schützling in der Menge verschwunden.

      3. Kapitel

      »Ein interessanter Mann,« sagte Mr. Reeder, als ihr Wagen über die Westminster Brücke fuhr. »Er ist wirklich der interessanteste Mensch, den ich im Augenblick kenne. Das Schicksal wollte es, daß ich in dieser Weise auf ihn stoßen mußte. Ich möchte aber, er würde keine Diamantringe tragen.«

      Er sah seine Begleiterin verstohlen an.

      »Nun, hat Ihnen ... hm ... das Haus gefallen?«

      »Es ist wunderschön dort,« sagte sie ohne große Begeisterung, »aber es ist ziemlich weit weg von London.«

      Er sah auf einmal niedergeschlagen aus.

      »Haben Sie die Stellung nicht angenommen?« fragte er besorgt.

      Sie wandte sich halb zu ihm und sah ihn fest an.

      »Mr. Reeder, ich glaube wirklich, Sie sehen mich lieber gehen als kommen!«

      Zu ihrer Überraschung bekam Mr. Reeder einen ganz roten Kopf.

      »Wie ... hm ... natürlich möchte ich das ... nicht, meine ich selbstverständlich. Aber es scheint doch eine sehr gute Stellung zu sein, auch wenn es nur vorübergehend sein sollte.« Er blinzelte sie an. »Ich werde Sie vermissen, wirklich, ich werde Sie sehr vermissen, Miß – hm – Margaret. Wir sind so gute« – er verschluckte etwas – »Freunde geworden, aber das ... eine gewisse Angelegenheit bedrückt mich – ich meine, ich bin ziemlich beunruhigt.«

      Er sah von einem Fenster nach dem anderen, als ob er einen Lauscher auf dem Trittbrett des Wagens vermutete, und sagte dann mit gedämpfter Stimme:

      »Ich habe niemals mit Ihnen, meine liebe ... hm ... Miß Margaret, über die unangenehmen Einzelheiten meines Berufes gesprochen; da gibt es nun, oder vielmehr, da gab es mal einen Herrn mit Namen Flack – F-l-a-c-k,« buchstabierte er. »Erinnern Sie sich nicht?« fragte er eindringlich, und als sie den Kopf schüttelte: »Ich hoffte, Sie würden sich des Namens erinnern. Man liest ja so viel über solche Sachen in der Zeitung. Aber vor fünf Jahren waren Sie ja noch ein Kind –«

      »Sehr schmeichelhaft,« lächelte sie, »aber vor fünf Jahren war ich schon eine erwachsene junge Dame von achtzehn Jahren.«

      »Tatsächlich?« fragte Mr. Reeder leise. »Das wundert mich aber! Nun ... Mr. Flack war eine jener Personen, von denen man so häufig in den Sensationsromanen liest, deren Verfasser die Möglichkeiten und Tatsachen des menschlichen Lebens wenig berücksichtigen. Ein Meister des Verbrechens, der Gründer einer ... hm ... Gesellschaft, oder, wie der gewöhnliche Mann sagen würde, einer Verbrecherbande.«

      Er seufzte und schloß die Augen. Einen Augenblick dachte sie, daß er für den gottlosen Sünder betete.

      »Ein glänzender Verbrecher – es ist schrecklich, es einzugestehen, aber ich habe wirklich eine widerwillige Bewunderung für ihn. Sie sehen, ich bin selbst ein wenig verbrecherisch veranlagt, wie ich Ihnen ja schon oft gesagt habe. Aber er war wahnsinnig.«

      »Alle Verbrecher sind wahnsinnig; Sie haben mir das ja so oft erklärt,« sagte sie etwas schroff, denn es gefiel ihr gar nicht, daß die Unterhaltung von ihren eigenen Angelegenheiten abschweifte.

      »Aber er war wirklich wahnsinnig,« sagte Mr. Reeder sehr ernst und tippte bezeichnend an seine Stirn. »Gerade sein Wahnsinn war seine Rettung. Er führte die tollsten Dinge aus, aber mit der Schlauheit des Wahnsinnigen. Er schoß mit kaltem Blute zwei Polizisten nieder – mitten am Tage in einer der belebtesten Straßen der City und entkam. Wir haben ihn schließlich gefaßt ... natürlich. Solche Leute werden bei uns immer gefaßt. Ich ... hm ... half dabei. Aus dem Grunde dachte ich an unseren Freund Georgio; denn es war Mr. Ravini, der ihn an uns für zweitausend Pfund verriet. Ich vermittelte das Geschäft, Mr. Ravini ist ja selbst ein Verbrecher und ...«

      Sie starrte ihn mit offenem Munde an.

      »Der Italiener? Das ist doch nicht möglich!«

      Mr. Reeder nickte.

      »Mr. Ravini stand mit der Bande von Flack in Verbindung und erfuhr zufällig, wo der alte John Flack sich aufhielt. Wir faßten den alten John, während er schlief ...« Mr. Reeder seufzte wieder. »Er äußerte sich sehr bitter über mich. Leute, die verhaftet werden, übertreiben sehr häufig die Fehler der ... hm ... derjenigen, die sie verhaften.«

      »Ist er vor Gericht gekommen?« fragte sie.

      »Er kam wegen Mordes vor Gericht,« sagte Mr. Reeder. »Aber natürlich ... er war ja wahnsinnig. Schuldig, aber geistesgestört lautete das Urteil, und er wurde nach dem Irrengefängnis von Broadmoor geschickt.«

      Er