Edgar Wallace

John Flack


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sie unter normalen Verhältnissen hübsch war, konnte sich aber über ihr Alter kein Urteil bilden. Sie trug einen langen, schwarzen Schlafrock, der bis zum Kinn hinauf geschlossen war. Außerdem bemerkte er, daß die Hand, die sich am Treppengeländer festhielt, im Lichte der Straßenlampen funkelte.

      »Ich weiß nicht... genau. Ich bin allein im Haus, und mir war, als... hätte ich etwas gehört.«

      Drei Worte in einem Atem. Augenscheinlich war sie in großer Angst.

      »Haben Sie keine Dienstboten im Hause?«

      Der Schutzmann war überrascht und ein wenig unruhig.

      »Nein. Ich bin erst gegen Mitternacht von Paris zurückgekommen – wir haben das Haus möbliert gemietet – und ich befürchte, die Dienstboten haben sich im Datum meiner Rückkehr geirrt. Ich bin Mrs. Granville Fornese.«

      Er entsann sich dunkel dieses Namens, er mußte ihn irgendwann schon mal gehört haben – er klang vornehm, wie der Name einer hochstehenden Persönlichkeit. Und Bennet Street war eine Gegend wo »solche« Leute wohnten.

      Der Polizist starrte forschend in den dunklen Vorraum.

      »Wenn Sie Licht machen wollten, Madam, will ich mal nachsehen.«

      Sie schüttelte den Kopf; er fühlte beinahe, wie sie zitterte.

      »Das Licht ist nicht in Ordnung... und das hat mich ja so entsetzt. Als ich um ein Uhr zu Bett ging, funktionierte die Beleuchtung noch. Irgend etwas weckte mich auf... ich weiß nicht, was es war... ich schalte die Lampe auf meinem Nachttisch ein... und sie brennt nicht. Ich hatte in meiner Handtasche eine kleine Taschenlampe... die fand ich glücklicherweise und machte Licht.«

      Sie hielt inne und zeigte ihre Zähne in einem gezwungenen Lächeln. Dyer sah, wie ihre dunklen Augen ins Leere starrten.

      »Ich sah... ich weiß nicht, was es war... einen schwarzen Schatten, wie wenn jemand an der Wand entlang kroch. Auf einmal war er verschwunden... Und die Tür von meinem Zimmer stand weit offen... Und ich hatte sie doch zugemacht und abgeschlossen, als ich zu Bett ging.«

      Der Schutzmann öffnete die Tür ganz weit und ließ den Schein seiner Lampe in den Gang fallen. An der Wand stand ein kleines Tischchen und auf diesem ein Tischtelephon. Er trat in die Halle und nahm den Hörer auf. Der Apparat funktionierte nicht.

      »Ist das...«

      Er hielt plötzlich inne und lauschte.

      Irgendwo über sich hörte er ein schwaches aber anhaltendes Geräusch – das Knacken einer lockeren Diele. Mrs. Fornese stand immer noch in der offenen Tür, und er ging zu ihr zurück.

      »Haben Sie einen Schlüssel für die Haustür?« fragte er, aber sie schüttelte ihren Kopf.

      Er fühlte an der Innenseite des Schlosses, fand die Riegelsicherung und schob diese hoch.

      »Ich muß von irgendwo anders telephonieren. Es ist besser, Sie ...«

      Was war das Beste für sie? ... Er war ein einfacher Schutzmann und stand einer heiklen Situation gegenüber.

      »Können Sie nicht einstweilen woanders hingehen ... zu Bekannten?«

      »Nein,« sagte sie entschieden und fügte dann hinzu: »Wohnt denn nicht Mr. Reeder gegenüber? Irgendwer hat mir erzählt ...«

      Im Hause auf der anderen Seite der Straße brannte Licht. Mr. Dyer sah unsicher nach dem erleuchteten Fenster. Es war allgemein bekannt, daß dort die elegante Wohnung eines Mannes war, der im Rang über dem Polizeioberst stand. Bennet Street Nr. 7 war vor kurzem in einzelne Wohnungen aufgeteilt worden, und in eine von ihnen war Mr. Reeder aus seiner Wohnung in der Vorstadt gezogen. Warum er gerade in dieser vornehmen und eleganten Gegend gemietet hatte, wußte kein Mensch. Die Verbrecherwelt hielt ihn für fabelhaft reich; zweifellos lebte er in guten Verhältnissen.

      Der Schutzmann zögerte, suchte dann in seinen Taschen das kleinste Geldstück des Königreiches, ging über die Straße und warf den halben Penny gegen das Fenster – die Dame war in der Türschwelle stehen geblieben. Eine Sekunde später öffnete sich das Fenster.

      »Entschuldigen Sie, Mr. Reeder, könnte ich Sie mal einen Augenblick sprechen?«

      Der Kopf und die Schultern des Mannes verschwanden, und in sehr kurzer Zeit erschien Mr. Reeder in der Tür. Er war so vollständig angezogen, daß man glauben konnte, er hätte diese Aufforderung erwartet. Der Gehrock war fest zugeknöpft, der Hut saß auf seinem Hinterkopf und auf seiner Nase balancierte der Kneifer, durch den er niemals blickte.

      »Irgend etwas nicht in Ordnung, Schutzmann?« fragte er freundlich.

      »Könnte ich mal Ihr Telephon benutzen?... Da drüben wohnt eine Dame – Mrs. Fornese... sie ist ganz allein... hat jemand im Hause gehört... ich auch...«

      Er hörte einen kurzen Schrei... einen Krach und fuhr herum. Die Tür von Nr. 4 war geschlossen und Mrs. Fornese verschwunden.

      In sechs Sprüngen war Mr. Reeder über die Straße und an der Tür. Er bückte sich, drückte die Klappe des Briefkastens zurück und lauschte. Kein Geräusch als das Ticken einer Uhr... ein schwacher, seufzender Ton.

      »Hm!« Mr. Reeder kratzte nachdenklich seine lange Nase. »Hm... wollen Sie mir, bitte, diese ganzen... hm... Vorgänge noch einmal erzählen?«

      Der Beamte wiederholte die Geschichte mehr zusammenhängend.

      »Sie sperrten das Schloß, damit es nicht zuschnappen konnte? Sehr vernünftig!« Mr. Reeder runzelte die Stirn. Ohne ein weiteres Wort ging er über die Straße und verschwand in seiner Wohnung. An der Rückwand seines Schreibtisches war ein kleines Fach, das er aufschloß. Er nahm einen ledernen Werkzeugbehälter heraus, rollte ihn auf, suchte drei kleine merkwürdige Stahlinstrumente, die beinahe wie kleine Haken aussahen, heraus, setzte einen in den hölzernen Griff und ging zu dem Schutzmann zurück.

      »Ich fürchte, das ist... ich will nicht sagen ›gesetzwidrig‹, denn ein Mann in meiner Stellung ist nicht imstande, eine gesetzwidrige Handlung zu begehen... wollen wir sagen ›ungebräuchlich‹?«

      Während der ganzen Zeit, in der er in leiser und wie um Verzeihung heischender Weise sprach, arbeitete er an dem Schloß herum, indem er das Instrument bald in dieser, bald in jener Richtung drehte. Endlich faßte der Haken, mit einem kleinen »Schnapp« drehte sich das Schloß, und Mr. Reeder stieß die Tür auf.

      Er nahm die elektrische Taschenlampe ans der Hand des Polizisten und ließ einen weiten Lichtkreis durch die Vorhalle schweifen. Nichts rührte sich. Er leuchtete nach der Treppe und lauschte, mit gesenktem Haupte. Er vernahm keinen Laut und ging geräuschlos weiter in die Halle hinein.

      Der Gang führte an dem Fuß der Treppe vorbei und endigte an einer Tür, die wahrscheinlich zu den Dienstbotenräumen im Hause führte. Zum Erstaunen des Schutzmanns war es diese Tür, die Mr. Reeder zuerst untersuchte. Er drehte den Türknopf, aber die Tür öffnete sich nicht; dann beugte er sich nieder und schielte durch das Schlüsselloch.

      »Es war jemand... oben,« begann der Schutzmann mit achtungsvollem Zögern.

      »Es war jemand oben,« wiederholte Mr. Reeder abwesend. »Sie hörten eine Diele knacken, glaube ich.«

      Er ging langsam nach dem Fuß der Treppe zurück und blickte hinauf. Dann leuchtete er mit seiner Lampe auf den Fußboden der Vorhalle.

      »Keine Sägespäne,« sagte er zu sich selbst, »das kann es also nicht sein.«

      »Soll ich nach oben gehen, Sir?« fragte Dyer und hatte seinen Fuß schon auf der untersten Treppenstufe, als Mr. Reeder ihn mit einer Kraft, die man in einem so müde aussehenden Manne nicht vermutete, zurückriß.

      »Lieber nicht, mein Freund,« sagte er fest. »Wenn die Dame oben ist, muß sie unsere Stimmen gehört haben. Sie ist aber nicht oben.«

      »Denken Sie, daß sie vielleicht in der Küche ist?« fragte der verdutzte Polizist.

      Mr. Reeder schüttelte traurig den Kopf.

      »Leider