Edgar Wallace

John Flack


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der traurig von seiner Unterlippe herabhing. Seine Augen starrten düster durch das Fenster auf das Grün des Parks, durch den sie fuhren, und er schien gänzlich in die Betrachtung der Natur versunken zu sein.

      »Was hat aber das alles mit mir, mit meiner neuen Stellung zu tun?«

      Mr. Reeder wandte sich ihr zu.

      »Mr. Flack war ein sehr rachsüchtiger Mensch,« sagte er. »Ein wirklich ausgezeichneter Mann – es tut mir leid, das zugeben zu müssen. Und nun hat er begreiflicherweise etwas gegen mich ... und wie er nun einmal ist, wird er sehr bald herausgefunden haben, daß ich ... hm ..., daß ... hm ... Sie mir ziemlich nahe stehen, Miß – Margaret.«

      Jetzt ging ihr ein Licht auf, ihre ganze Haltung ihm gegenüber änderte sich, und sie packte seinen Arm.

      »Jetzt verstehe ich – Sie wollen mich aus London weghaben, falls sich irgend etwas ereignet. Aber was kann sich denn ereignen? Er ist doch in Broadmoor, nicht wahr?«

      Mr. Reeder kratzte sich am Kinn und betrachtete interessiert das Droschkendach.

      »Vor einer Woche ist er dort ausgebrochen. Ich glaube, er wird in diesem Augenblick in London sein.«

      Margaret Belman rang nach Atem.

      »Dieser Italiener ... Ravini meine ich ... weiß er das?«

      »Er weiß es noch nicht,« sagte Mr. Reeder vorsichtig, »aber ich glaube, er wird es sehr bald erfahren – ja, er wird es bald erfahren.«

      Eine Woche später – Margaret Belman war voll böser Ahnungen abgereist, um ihre neue Stellung anzutreten – – waren Reeders sämtliche Zweifel betreffs John Flacks Aufenthalt verschwunden.

      ***

      Zwischen Margaret Belman und Mr. Reeder war eine leichte Verstimmung entstanden, und zwar beim Lunch am Tage ihrer Abreise von London. Im Scherz fing es an – obwohl Mr. Reeder nichts weniger als zum scherzen aufgelegt war, – und zwar mit einem kleinen Vorschlag, den sie machte. Mr. Reeder widersprach. Woher sie jemals den Mut nahm, ihm zu sagen, daß er altmodisch wäre, wußte Margaret nicht – aber sie tat es.

      »Natürlich könnten Sie sich Ihren Bart abnehmen lassen,« sagte sie spöttisch, »Sie würden zehn Jahre jünger aussehen.«

      »Ich glaube nicht, meine liebe ... Miß ... hm ... Margaret, daß ich zehn Jahre jünger aussehen würde,« sagte Mr. Reeder.

      Eine gewisse Spannung war geblieben, und sie fuhr in etwas unbehaglicher Stimmung nach Siltbury. Trotzdem sprach ihr Herz mehr für ihn, als sie sich klar machte, daß sein Wunsch, sie von London fortzubekommen, nur von der Sorge um ihre eigene Sicherheit diktiert worden war. Erst als sie sich ihrem Bestimmungsorte näherte, kam es ihr zum Bewußtsein, daß auch er sich in großer Gefahr befand. Sie mußte ihm gleich schreiben und ihm erzählen, wie leid ihr der Zwischenfall tat. Sie überlegte, wer diese Flacks wohl sein könnten, der Name war ihr bekannt, obwohl sie in der Zeit, wo diese Bande von sich reden machte, wenig oder gar nicht darauf geachtet hatte.

      Mr. Daver – er sah mehr als jemals einem Kobold ähnlich – hatte bei ihrer Ankunft eine kurze Unterredung mit ihr. Er brachte sie selbst nach ihrem Bureau und erklärte ihr kurz, was sie zu tun hatte. Das war weder schwer noch verwickelt, und mit Erleichterung sah sie, daß sie praktisch nicht das Geringste mit der Leitung von Larmes Keep zu tun hatte. Diese lag in den bewährten Händen von Mrs. Burton.

      Das Hotelpersonal war in zwei kleinen Häuschen, ungefähr eine Viertelmeile vom Hause entfernt, untergebracht, und nur Mrs. Burton wohnte im Hauptgebäude.

      »Da bleiben wir mehr unter uns,« sagte Mr. Daver, »Dienstboten sind eine scheußliche Plage. Sie geben mir doch Recht? ... Das dachte ich auch! ... Falls man sie in der Nacht braucht, kann man beide Häuser anrufen, und Grainger, der Portier, hat einen Schlüssel für das Außentor. Das ist doch eine ausgezeichnete Einrichtung, die sicher Ihren Beifall findet? ... Natürlich stimmen Sie mir bei.«

      Die Unterhaltung mit Mr. Daver war ein wenig einseitig. Er beantwortete alle seine Fragen selbst.

      Er wollte gerade das Bureau verlassen, als ihr sein großes Werk einfiel.

      »Mr. Daver, wissen Sie vielleicht etwas über die Flacks?«

      Er runzelte die Stirn.

      »Flachs? ... Warten Sie mal; was meinen Sie mit Flachs?«

      Sie buchstabierte den Namen.

      »Ein Freund von mir erzählte mir neulich davon,« sagte sie. »Ich dachte, Ihnen würde der Name bekannt sein. Das ist eine Verbrecherbande ...«

      »Flack! ... Aber sicher kenne ich den Namen! ... Du meine Güte, wie interessant! Sie sind also auch Kriminalogist? John Flack, George Flack, Augustus Flack ...« – er sprach rasend schnell, als er die Namen an seinen langen, vom Tabak gelb gefärbten Fingern abzählte. »John Flack ist im Irrengefängnis, seine beiden Brüder entwischten nach Argentinien. Schreckliche Kerle, schreckliche, ganz schreckliche Kerle! Was für eine wundervolle Organisation ist doch unsere Polizei. Und Scotland Yard erst! ... Einfach großartig! ... Sie stimmen mir doch bei? ... Aber zweifellos ... Flack!« Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ich dachte, diese Gesellschaft mit ein paar kurzen Paragraphen abzutun, aber mein Material ist leider noch nicht vollständig. Kennen Sie sie denn?«

      Sie schüttelte lächelnd den Kopf.

      »Nein, ich habe nicht den Vorzug.«

      »Fürchterliche Geschöpfe,« fuhr Mr. Daver fort. »Erstaunliche Kreaturen! Wer ist denn Ihr Freund, Miß Belman?... Ich würde mich freuen, ihn kennenzulernen. Er könnte mir vielleicht mehr über diese Leute erzählen.«

      Margaret hörte diese Worte mit Bestürzung an.

      »O nein. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß Sie ihn treffen werden,« sagte sie hastig, »und ich glaube auch nicht, daß er darüber sprechen würde, falls Sie ihm begegnen würden – es war vielleicht falsch von mir, ihn überhaupt zu erwähnen.«

      Diese Unterhaltung mußte Mr. Daver sehr beschäftigt haben, denn am Abend, als sie ihr Bureau verließ, um nach ihrem Zimmer zu gehen – sie war sehr müde – klopfte er an ihre Tür, öffnete diese auf ihre Aufforderung hin und blieb auf der Schwelle stehen.

      »Ich habe die Berichte über die Flacks noch einmal durchgelesen,« sagte er, »und es ist überraschend, wie wenig Material über sie vorhanden ist. Ich habe einen Zeitungsausschnitt mit dem Bericht, daß John Flack tot ist. Das war der Mann, der nach Broadmoor geschickt wurde. Ist er eigentlich tot?«

      »Ich könnte es Ihnen wirklich nicht sagen,« sagte sie, nicht ganz der Wahrheit gemäß. »Er wurde mir gegenüber nur gelegentlich erwähnt.«

      Mr. Daver kratzte sich am Kinn.

      »Ich dachte, man hätte möglicherweise Ihnen ein paar Einzelheiten erzählt, die Ihnen ... als Laie ... sozusagen ...« er kicherte ... »unwichtig erschienen, die aber für mich –«

      Er zögerte erwartungsvoll.

      »Das ist alles, was ich weiß, Mr. Daver,« sagte Margaret.

      Sie schlief fest in dieser Nacht; das entfernte Rauschen der Wogen, die den langen Strand der Siltbury Bucht heraufrollten, sang sie in traumlosen Schlummer.

      Ihre Arbeit begann erst nach dem Frühstück, das sie in ihrem Bureau einnahm, und bestand hauptsächlich im Kontrollieren der Rechnungen. Anscheinend hatte aber Mrs. Burton bis jetzt diesen Teil der Verwaltung unter sich gehabt, so daß wahrscheinlich erst am Monatsende, wenn Schecks ausgestellt werden mußten, ihre Arbeit schwerer werden würde. Ihre Arbeitszeit war hauptsächlich mit Korrespondenz ausgefüllt. Einigen hundertvierzig Bewerberinnen um ihren Posten mußte geantwortet werden, hierzu kam noch eine Anzahl Briefe von Leuten, die in der Pension wohnen wollten. Alle diese Briefe mußten Mr. Daver vorgelegt werden, und es war auffallend, wie wählerisch Mr. Daver war. Hier ein Beispiel:

      »Se. Ehrwürden John Quinten? Nein, nein. Wir haben schon einen Pastor im Hause. Das genügt. Schreiben Sie ihm, es täte uns sehr leid, aber es wäre