Dagmar Isabell Schmidbauer

Der Tote vom Oberhaus


Скачать книгу

sie sich, weil sie nichts Originelleres gesagt hatte, wie zum Beispiel: „Du siehst aber lecker aus!“, oder „Ganz schön heiß in deiner Gegenwart.“

      „Auf schöne Frauen warte ich gern auch ein bisschen länger“, wiegelte Walter lächelnd ab, trat aus der Wohnung und zog sie an sich, um sie auf beide Wangen zu küssen.

      Franziska spürte die Wärme seiner Haut, die Geborgenheit seiner Umarmung und schloss die Augen. Sie schnupperte an seinem Hals, bis ihr vor lauter Aftershave ganz schwindelig wurde, und sie wusste: Diesem Mann würde sie heute nichts abschlagen können.

      „Wollen wir?“

      Ohne auf ihre Antwort zu warten, schloss er hinter sich die Wohnungstür und nahm Franziska an der Hand. Er führte sie vorbei an den Proberäumen und zwei Praktikanten, die gerade über die verschiedenen Möglichkeiten, ein Modell zu bauen, philosophierten, die Treppe hinunter und bis in den kleinen Malsaal, in dem, im Vergleich zum großen Pendant, noch handwerklich gearbeitet wurde.

      Franziska fand weder Zeit zum Luftholen noch um zu fragen, warum er sie ausgerechnet hierher brachte. Als sie aus dem Nebenraum die Stimme von Carlos hörte, der seine Partie jetzt in Begleitung des Klaviers sang, war sie erleichtert, dass Walter die Tür hinter ihnen schloss. Nie würde sie sich an die Freizügigkeit des Theaters gewöhnen, und bestimmt sah man ihr das in diesem Moment mal wieder an.

      Doch Walter zeigte sich unbeeindruckt, wies mit einem Kopfnicken auf ein Podest, das mitten im Raum stand, und lud Franziska mit einer schwungvollen Geste ein näherzutreten. Als sie auf das kleine Treppchen steigen wollte, schüttelte er allerdings den Kopf. Sein Lächeln war breiter geworden, und mit sanfter Stimme sagte er: „Erst ausziehen.“

      „Was?“

      „Alles.“

      „Walter, bitte!“, flüsterte Franziska und sah schnell zur Tür. „Was ist, wenn jemand hereinkommt?“

      „Was machst du dir nur wieder für Gedanken? Jeder weiß, dass du dich ausziehen wirst!“

      Franziska wurde rot. Dass das jeder wusste, hätte er nicht unbedingt sagen müssen.

      Im Rahmen ihrer Ermittlungen im Fall Sophia Weberknecht hatte Franziska den Bühnenkünstler des Städtischen Theaters im vergangenen Herbst kennengelernt. Tatsächlich hatte es eine Weile so ausgesehen, als sei Walter Froschhammer in diesem Mordfall der Hauptverdächtige. Doch während Franziska damit beschäftigt gewesen war, ihm seine Tat nachzuweisen, waren sie sich näher gekommen – allerdings nicht zu nah, denn die Oberkommissarin hatte die Bekanntschaft mit Walter immer als einen Teil ihrer Ermittlungen betrachtet. Als dann der wahre Täter gefasst und der Fall abgeschlossen wurde, hatte Walter ihr eine SMS geschickt und sie gebeten, sich von ihm malen zu lassen. Monatelang hatte Franziska gezögert, ihn hingehalten und vertröstet. Und Walter hatte nicht lockergelassen, bis sie endlich zugesagt hatte. Doch das war nicht der einzige Grund, warum sie heute hier war.

      Viel zu schnell hatte Franziska sich in den Bühnenkünstler verliebt, und eigentlich wäre Walter auch der Richtige für sie gewesen, wenn, ja wenn er nicht diesen speziellen Ruf gehabt hätte. In Theaterkreisen tuschelte man, dass er jede Frau, die er malen wollte, zuvor verführte. In diesem delikaten Umstand begründet lägen das Mysterium seiner wunderbaren Bilder und das Schönheitsgeheimnis einer jeden Frau, die er auf der Leinwand festhielt. Natürlich hätte Franziska das Ganze für ein Gerücht halten können. Verwirrend daran war nur, dass Walter sich nie davon distanzierte, nie das Gegenteil behauptet hatte.

      Mit diesen Gedanken im Kopf öffnete Franziska der Reihe nach die Knöpfe ihres Sommerkleides, streifte die Träger über die Schultern und ließ den Stoff an ihrem Körper entlang zu Boden gleiten. Sie spürte seinen Blick auf ihrer Haut und sah auf.

      „Weiter.“ Er schien völlig unbeeindruckt.

      Franziska löste den Verschluss ihres Büstenhalters und streifte die Träger über die Schultern, um ihn dann, versucht gleichgültig, neben ihr Kleid fallen zu lassen. Während sie noch zögerte, trat Walter auf sie zu und schob ihr den Slip über die Hüften.

      Als er sich wieder aufgerichtet hatte, ließ er seinen Blick prüfend von oben nach unten und wieder zurück wandern.

      „Weißt du eigentlich, wie schön du bist?“, fragte er und hob mit einer zarten Geste ihr Kinn in die Höhe, sodass sie ihn ansehen musste. Seine Augen fixierten die ihren, und Franziska wollte nur noch darin versinken, wollte vergessen, dass jeden Moment einer der Sänger hereinkommen konnte.

      So standen sie dicht beieinander, die Sekunden zogen sich in die Länge, aber nichts geschah. Franziska wünschte sich, er würde endlich seinem Ruf gerecht werden, sie umarmen und küssen und was auch immer mit ihr tun, doch er sah sie nur an, mit diesem Blick, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte. Wie ein hungriger Löwe, der beschlossen hatte, künftig als Vegetarier zu leben.

      Mühsam versuchte sie, sich zu beruhigen, nahm ihren Blick von dem Mann, den sie so sehr begehrte, und ließ ihn stattdessen durch den Raum schweifen. Sie registrierte den großen Tisch, auf dem neben unzähligen Malutensilien Skizzenbücher lagen. Unter Tüchern entdeckte sie einen Stuhl, in der Ecke einen Kleiderständer und an der Wand unter dem Fenster eine Werkbank mit allerlei Gerätschaften darauf. Daneben lehnten Bilder in unterschiedlichen Entwicklungsstadien und Größen, und in einem Regal lagerten Papiere, Pappe, Dosen und Schachteln. Am auffälligsten aber waren die großen Holzplatten, die im hinteren Teil der Werkstatt darauf warteten, bearbeitet zu werden.

      Während sie sich noch überlegte, was er wohl daraus bauen wollte, umfasste Walter auf einmal ihre Taille und hob sie wie eine Schaufensterpuppe auf das Podest.

      „Entspann dich, du siehst wirklich ganz bezaubernd aus“, schnurrte er und ließ seine Hände auf ihrer Hüfte ruhen. Franziska stand ganz still, versuchte zu nicken, doch ihre Gedanken überschlugen sich, und ihr sonst so vernünftig denkendes Gehirn versagte seinen Dienst.

      „Mit deinen Armen müssen wir allerdings noch etwas machen.“

      Franziska sah ihn an und musste lachen. Die ganze Situation war einfach zu verrückt! Da stand sie nun, nackt und erregt vor einem Mann, der vorgab, sie zu begehren, und über dessen Verführungskünste die halbe Stadt sprach, und alles, was ihm wichtig schien, waren ihre Arme! Walter deutete ihr Lachen falsch.

      „Du brauchst keine Angst zu haben. Es kommt bestimmt niemand rein. Die sind doch alle mit ihrer Probe beschäftigt.“

      Beim letzten Satz war seine Stimme zu einem sanften Flüstern geworden, das ihr wie ein sommerlicher Regenschauer über den nackten Körper lief.

      Franziska nickte, genoss seine Worte, die langsam über ihre Haut perlten, und fühlte sich sehr sexy, als Walter seine Hände in einer sanften Bewegung so weit nach oben schob, dass sie ganz automatisch ihre Arme hob und eine weitere Welle der Erregung Franziskas Körper überflutete.

      Sie schloss die Augen. Gleich würde er sie küssen. Ihre Lippen bebten in heißem Verlangen. Sie konnte sich nicht rühren, war betört von seinem Duft, dieser berauschenden Komposition aus männlichem Aftershave und seinem eigenen Körpergeruch. Sie wusste, dass er ganz nah vor ihr stand, konnte seinen Atem spüren. Sie beugte sich ein wenig vor und verging dabei fast vor Sehnsucht.

      Als sie die Augen schließlich öffnete, sah er sie zufrieden an. „Das ist perfekt, bleib so, wie du bist.“

      Er drehte sich von ihr weg und ging zu einem Stuhl, auf dem ein Stapel zusammengefalteter Tücher lag.

      „Ich hab noch was für dich“, rief Walter, und als er zurückkam, hielt er ein großes, helles Seidentuch in der Hand und lächelte geheimnisvoll. „Sonst fühlst du dich vielleicht ein bisschen nackt …“

      „Oh, ich fühle mich großartig!“, log Franziska und versuchte, wieder Herrin der Lage zu werden.

      „Dann lass auch schön die Arme oben“, forderte er, und sie gehorchte.

      „Ich habe heute etwas ganz Besonderes mit dir vor. Eine neue Kunstrichtung sozusagen. Es wird dir gefallen!“

      „Okay“, antwortete