Dagmar Isabell Schmidbauer

Der Tote vom Oberhaus


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Annemarie zu, die den Beutel mit den zwanzigtausend Euro aus der Asservatenkiste holte und ihn in die Höhe hob. „Alles da!“

      Franziska schmunzelte, als sie den überkorrekten Eifer der beiden sah. „Mich interessiert lediglich, wo ihr den gefunden habt.“ Kopfschüttelnd grinste Franziska die beiden an.

      „Es war in seinem Sakko, in der Innentasche“, sagte Hannes. Franziska blickte auf das Jackett, das in einem Plastikbeutel neben dem Toten lag, und Annemarie beeilte sich zu versichern, dass das bei ihrem Eintreffen an der Stelle gelegen habe, wo die Blutspur begann, und dass Mona alles im Originalzustand fotografiert habe.

      Franziska schüttelte den Kopf und stöhnte. Sie hätte gern

      tief durchgeatmet, doch die Luft in diesem Raum war einfach zu stickig. Es roch nach süßem, schwerem Tod. Nichts, was sie besonders verlockend fand.

      „Mir schwirrt schon der Kopf.“ Zum Zeichen, dass sie es ernst meinte, verdrehte sie die Augen.

      „Wie sagtest du, heißt die Direktorin?“

      „Halmgaard, Samantha Halmgaard“, las Hannes von seinen Notizen ab. Zum Dank klopfte Franziska ihm auf die Schulter und verließ den Tatort.

      Kaum hatte die Kommissarin den Burghof überquert, stand sie auch schon vor einer der hölzernen Eingangstüren, die zum ehemaligen Gästehaus führten. Die Tür war versperrt, weshalb Franziska klingelte, und die Zeit, in der sie auf die Museumsdirektorin wartete, dazu nutzte, um den viel beachteten Farbfleck unterhalb ihres Schlüsselbeines zu entfernen. Dann hörte sie auch schon das leise Knarzen der Tür, die sich nur schwerfällig in den Angeln bewegte, und erblickte schließlich eine zierliche Frau, die sie mit großen Augen fragend ansah.

      „Ja, bitte?“

      „Oberkommissarin Franziska Steinbacher von der Mordkommission Passau.“ Sie zückte ihren Ausweis. „Sie sind Frau Halmgaard?“

      Die Museumsdirektorin nickte, während sie Franziskas Papiere studierte, und gab der Kommissarin damit Gelegenheit, sie näher zu betrachten. Ihr Kostüm saß perfekt, die braunen Haare waren zu einer raffinierten Hochsteckfrisur arrangiert, das Make-up war dezent.

      „Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.“

      „Ja, natürlich. Kommen Sie doch rein.“ Samantha Halmgaards Stimme war angenehm, der Händedruck fest.

      Während sie nacheinander die ausgetretenen Steinstufen hinaufstiegen, fiel hinter ihnen die Eingangstür geräuschvoll ins Schloss. Franziska erschrak ein wenig, weil sie gerade fasziniert die hohen zweifarbigen Lackpumps Samantha Halmgaards inspiziert hatte. Solche Schuhe trugen nur wenige Frauen, vor allem, wenn sie tagtäglich über Pflaster und Kies gehen mussten.

      „Wissen Sie denn schon, wie es passiert ist?“, fragte Samantha Halmgaard, nachdem sie die Tür zu ihrem Büro geschlossen hatte.

      „Allem Anschein nach wurde der Mann erstochen“, erklärte Franziska und beobachtete das Gesicht der Direktorin.

      „Erstochen, sagen Sie?“ Die zierliche Frau erschauderte.

      „Ja, mit einer Partisane.“

      „Doch nicht mit einer der historischen Prunkpartisanen?“

      Die Kommissarin nickte.

      „Oh, mein Gott, das ist ja furchtbar!“ Samantha Halmgaards Gesicht zeigte blankes Entsetzen. Franziska sah ihr an, dass sie wusste, von welcher Waffe die Kommissarin sprach. Doch eine Sekunde später hatte die Direktorin ihre Emotionen wieder unter Kontrolle. Mit einer einladenden Handbewegung zeigte sie zu einer kleinen Tischgruppe. „Bitte, nehmen Sie doch Platz.“

      Franziska wählte den Sessel, von dem aus sie den ganzen Raum im Blick hatte, und setzte sich. Ungefragt schenkte die Hausherrin Wasser in zwei Gläser ein und setzte sich ebenfalls.

      „Wer tut so etwas?“

      „Ich hoffe, dass Sie mir bei der Beantwortung dieser Frage helfen können.“ Franziska lächelte kurz und konzentrierte sich auf das Gesicht ihres Gegenübers.

      „Ja, natürlich. Wenn Sie mir sagen, wie …“

      „Zunächst einmal müsste ich wissen, wer alles einen Schlüssel zu der Tür hatte, hinter welcher der Tote gefunden wurde.“

      Die Direktorin nickte, als habe sie schon die ganze Zeit auf diese Frage gewartet. „Normalerweise ist dieser Raum ja nicht abgeschlossen. Aber soweit ich weiß, gibt es zwei Schlüssel.“ Sie hielt kurz inne, schloss die Augen und massierte sich mit den Fingerspitzen beider Hände die Schläfen. Dabei blitzte ein funkelnder Diamantring im Licht der Deckenlampe auf. Fasziniert sah Franziska dem Lichtspiel zu.

      „Bitte entschuldigen Sie, aber das war heute alles ein bisschen viel. Wie war noch einmal Ihre Frage?“

      Franziska lächelte nachsichtig. „Ich wollte wissen, wer alles einen Schlüssel hatte.“

      „Ah ja, natürlich.“ Samantha Halmgaard ließ die Hände in den Schoß sinken und richtete sich auf. „Einen Schlüssel habe natürlich ich, er liegt immer in meinem Schreibtisch, und den zweiten habe ich dem Maler gegeben, der den Raum gerade umgestaltet.“

      „Das heißt nur Sie und der Maler hatten Zugang zu dem Raum?“, kombinierte die Kommissarin.

      „Im Moment. Ja, das ist richtig.“

      Franziska gab sich mit dieser Antwort zufrieden undwechselte das Thema. „Wie kam es eigentlich, dass Sie den Toten gefunden haben?“

      „Ich … Es war purer Zufall. Ich wollte mir die Skizzen des Malers ansehen, bevor morgen die Ausmalarbeiten beginnen.“ Samantha Halmgaard rückte ihre Brille zurecht und versuchte, sich zu konzentrieren. „Als ich auf die Tür zuging, sah ich die Blutlache. Das heißt, zunächst dachte ich, es sei verschüttete Farbe, und ich ärgerte mich, weil ich fürchtete, dass das schöne Parkett ruiniert sei.“

      „Und?“

      „Ich schloss die Tür auf und stellte fest, dass sie sich nicht öffnen ließ. Es war ganz merkwürdig. Ich spürte ja, dass sie offen war, aber sie wollte einfach nicht nachgeben. Da bückte ich mich noch einmal, um mir die Flüssigkeit genauer anzusehen, und stellte fest, dass es Blut war.“ Samantha Halmgaard schaute auf den Zeigefinger ihrer rechten Hand, als haftete noch immer das Blut des Toten daran.

      „Sie können sich bestimmt vorstellen, wie entsetzt ich war, als die Polizei die Tür schließlich aufdrückte und wir diesen Mann auf dem Boden entdeckten.“

      „Haben Sie den Mann schon einmal hier gesehen?“

      Die Direktorin schüttelte gedankenverloren den Kopf und schloss erschöpft die Augen. „Es war einfach grotesk, er sah so friedlich aus, und dann das viele Blut auf dem Boden. Ich glaube, das war alles ein bisschen viel für meine Nerven.“

      Müde öffnete sie die Augen und sah die Kommissarin an. „Aber wissen Sie, was wirklich seltsam war? Mir ist erst später aufgefallen, dass ich gar nicht mit meinem Schlüssel aufgeschlossen habe, sondern mit dem, der die ganze Zeit über im Schloss steckte.“

      Zur Bekräftigung ging sie zu ihrem Schreibtisch und holte einen weiteren großen Schlüssel heraus, der genau wie der aussah, der bereits am Tatort sichergestellt worden war.

      „Gut, dann spreche ich mit dem Mann, der den zweiten Schlüssel hatte. Wenn Sie mir bitte seinen Namen und die Adresse geben, unter der ich ihn erreichen kann.“

      „Sie glauben doch nicht, dass Froschhammer …“ Die Direktorin schien zu überlegen und zuckte dann unentschieden mit den Schultern, was Franziska jedoch kaum noch beachtete.

      „Froschhammer“, wiederholte sie tonlos und dachte für einen Moment, der Boden gäbe unter ihren Füßen nach. Soweit sie wusste, gab es nur einen Maler, der Froschhammer hieß. Walter Froschhammer.

      „Ja“, bestätigte